Spec Ops: The Line - Hinter den Kulissen - Gameplay
Von der Idee zum Spiel: Die Entwicklungsgeschichte im Detail - Teil 3: Wüstensand und Nolan North: Sound & Synchronisation
Dieser Bericht erscheint im Rahmen einer vierteiligen Artikelserie über die Entwicklung von Spec Ops: The Line. Die nächsten Teile über Grafik & Art Direction, Sound & Synchronisation sowie der Handlung des Third-Person-Shooters, der versucht, ein paar unbequeme Fragen zu stellen, lest ihr in den kommenden Tagen.
- Spec Ops: The Line - Hinter den Kulissen - Gameplay
- Spec Ops: The Line - Hinter den Kulissen - Grafik & Art Design
- Spec Ops: The Line - Hinter den Kulissen - Sound & Synchronisation
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In einem Kreuzberger Büro am Spreeufer werkeln mittlerweile über 100 Leute an einem Shooter, der für 2K im Sommer Schlagzeilen machen soll. Oder muss. Bei Mitarbeiterzahlen im dreistelligen Bereich und einer angesichts ihrer Länge erstaunlich unaufgeregten Entwicklungsgeschichte spielen die Berliner Entwickler von Yager - ob sie wollen oder nicht - schon mit ihrem zweiten Spiel in der eisenharten Oberliga dieses Business mit. Gerade im Bereich knalliger Action, egal, ob nun in Egosicht oder über die Schulter eines virtuellen Helden inszeniert, ist die Konkurrenz hart, die Marktanteile scheinbar schon verteilt.
Und doch wähnt sich Yager in einer Ausnahme-Stellung, soll Spec Ops: The Line doch für diese Sorte Spiele düstere und erwachsene Themen in die Hand nehmen. Tatsächlich wäre das Spiel den Angaben aller befragten Entwickler zufolge vielleicht schon viel früher fertig gewesen, hätte man nicht so viel Zeit und Arbeit darin investiert, die Handlung mit maximalem Fingerspitzengefühl tief mit dem Gameplay zu verweben.
"Wir haben mehrere Autoren an dem Konzept arbeiten lassen, damit wir wirklich etwas hinbekommen, das abseits der offensichtlichen Production Values hoffentlich die Inspiration ein bisschen kitzelt", erklärt Timo Ullmann, Managing Director und Teil des Fünfergespanns an Gründungsmitgliedern, die sich 1999 zu Yager Development zusammenschlossen. Hier will jemand über Inhalte eine ganz bestimmte Wirkung erzielen und sich so von der Konkurrenz abheben. In Zeiten, in denen die Platzhirsche im Action-Bereich unbegrenzte Mittel und hocheffiziente Entwicklerscharen auf Gameplay-Probleme werfen können, ist der Ansatz, sich thematisch abzuheben für ein bodenständig angelegtes Unternehmen sicher die größte Chance.
Dass man diesen Weg gehen würde, konnte man 2004 noch nicht ahnen. Nachdem Yager auch die letzte noch ausstehende Xbox-Version seines gleichnamigen Flug-Kampfspiels - die US-amerikanische - ausgeliefert hatte, widmete man sich eine ganze Weile der Arbeit an Konzepten und Technologien, evaluierte die Unreal Engine 3 als zukünftige Middleware. In der Vorbereitung auf die Next-Generation und auf der Suche nach dem zweiten Spiel entwickelten Ullmann und Co. eine Reihe an Konzepten und Technologien. "Wenn man mit dem richtigen Partner zusammen bestimmte Sachen entwickelt, ist es nicht ausgeschlossen, dass man da auch davon leben kann", beantwortet er die Frage nach der Beschäftigungssituation im Studio zwischen den Veröffentlichungen.
Unter den Prototypen, die in diesen Jahren entstanden, war auch Eye of the Storm. Ein Mech-Spiel, mit dem man auf Publisher-Suche ging und irgendwann bei 2K an der richtigen Adresse war. Wenn auch zunächst mit dem falschen Produkt. "2K sagte uns, 'Das finden wir schon interessant, aber wir haben ein Franchise, das wir wiederbeleben möchten. Wäre das was für euch?'", verrät Ullmann. Zunächst habe man zögerlich reagiert, ob trotz oder wegen des Namens Spec Ops, den man damals vor allem mit mittelmäßigen Taktik-Schießereien in Verbindung brachte, ist aus seinem Tonfall nicht herauszuhören. "Da 2K aber als einzige Bedingung gesagt hat, das Spiel müsse Spec Ops heißen, war das für uns natürlich eine Carte Blanche."
Recht schnell einigte man sich auf die Third-Person-Perspektive. "Wir hatten damals schon ein Cover-System, bevor [indiziertes Epic-Spiel] draußen war", fügt Lead Level Designer Jörg Friedrich hinzu, was beim Publisher ebenfalls auf Gegenliebe stieß und sicher auch ein Grund war, dass Yager übrige Vorschläge leicht durchsetzen konnte. Etwa ein von der Wüste verschluckte Dubai als Szenario, das Friedrich als absoluten "Abenteuerspielplatz für Level-Designer" bezeichnet. Nicht nur die Möglichkeit, durch das Sand-Element ständig die Umgebung zu verändern, gefiel Yager. "Wir haben uns gedacht, 'das ist so eine absurde Stadt. So eine surreale Stadt. Mitten in der Wüste, an diesem Platz, so eine High-Tech Stadt, die dürfte es da eigentlich gar nicht geben.'", erklärt Friedrich den Gedankengang. "Das haben wir dann relativ schnell kombiniert mit dem Twist, die Sandstürme kommen rein. Was wäre, wenn sie die Wüste dieses Stück Land, das ihr die Menschen gerade abgetrotzt haben, wieder zurücknimmt? Was für Konflikte gäbe es da drinnen, was würde sich verschieben?"
Verschoben haben sich aber zunächst einmal die spielerischen Elemente. "Es war am Anfang taktischer", erinnert sich Ullmann. Mehr Kommandos für die Team-Mitglieder enthielt der Titel, die inoffizielle erste Tagline "Stealth Ranger" implizierte es bereits. Doch gewisse Dinge siebten sich in der Entwicklung gewissermaßen von selbst aus. "Am Anfang ringt man um die Details, aber wenn dann alles so zusammenkommt, ändert sich das". Viele der Befehle flogen folglich aus dem Spiel und von dem Taktik-Einschlag blieb am Ende nur ein Feuerbefehl für eure Untergebenen übrig. "Wir haben ziemlich früh entschieden, 'okay, das sind Delta-Force-Soldaten, die brauchen normalerweise keine Befehle, die wissen, was zu tun ist."
Dieses Wissen erhalten sie durch eine ausgewachsene KI, die es ermöglicht, gescriptete Verhaltensweisen der Squad-Mitglieder gering zu halten. "Wenn du sie zusammen mit Gegnern und Deckung alleine in einen Raum setzt, werden die sich bekämpfen, flankieren und so weiter. Die schalten eine Menge Gegner aus", versichert Friedrich. Der Fokus der Entwicklung verschob sich in enger Zusammenarbeit mit 2K immer mehr auf die Geschichte. "Es war einfach für das Spiel, das wir am Ende wollten, sinnvoller, es so zu machen", ergänzt Friedrich. "Wir wollten den Hauptfokus auf die Geschichte legen und das Squad als narratives Element nutzen. Das heißt, sie reagieren auf das, was du tust, und kommentieren es". "Man darf nicht vergessen", holt Ullmann aus, "im Militär-Shooter-Genre gibt es so einige Platzhirsche. Da ist es nicht so einfach, zu sagen, 'wir machen jetzt auch einen'. Wir wollten noch etwas bringen, was so in der Form noch nicht da war."
Und so wurde ziemlich früh klar, dass man einen düsteren Ton anschlagen würde. Zentrale Inspiration sollte Herz der Finsternis sein, der Roman von Joseph Conrad, der auch als Vorlage für Francis Ford Coppolas Apocalypse Now diente. Bei einem Hersteller wie 2K wundert es nicht, dass sich das Spiel so sehr auf seine Geschichte konzentriert. Allerdings sorgte gerade die für die eine oder andere Verzögerung bei der Entwicklung. "Einer der Gründe dafür, dass es so lange gedauert hat, war die Story, die auch erst relativ spät fertig geworden ist. Also der große Abschluss des Bogens stand im Groben schon relativ früh, aber die Details haben dann doch sehr lange gedauert", erklärt Ullmann.
"Einer der Gründe dafür, dass es so lange gedauert hat, war die Story, die auch erst relativ spät fertig geworden ist."
Timo Ullmann
"Das ist die Crux, wenn man eine Geschichte so tief ins Spiel einwebt. Wenn man dann noch Änderungen vornimmt, an der Handlung oder den Dialogen, muss man fast an jeden Level noch mal ran und wieder nachjustieren." Yager setzt darauf, dass die Zusammenarbeit in diesen kleinen Details, wie auch im Ganzen besser funktioniert, wenn man auf interdisziplinäre Teams setzt. Das bedeutet, dass vielerorts bei Yager Entwickler verschiedener Profession - Programmierer, Game Designer, Grafiker - in Gruppen zusammensitzen, und sich gemeinsam um bestimmte Aufgaben oder Spielbereiche kümmern. So schafft man Synergien, gewinnt ein Verständnis für die Arbeit des jeweils Anderen. Unterm Strich wird so der direkteste Weg zur Lösung vieler kleinerer Probleme gewählt. Yager schrieb sogar eigene Tools, damit Entwickler unterschiedlichster Disziplinen beim Bugfixing helfen und bestimmte Probleme grafisch visualisieren konnten.
Trotz allen Anspruchs der Geschichte, den Spieler ein wenig über sein Handeln reflektieren zu lassen, läuft man in einem gefechtsbetonten Spiel am Ende aber doch ein wenig Gefahr, die Gegner auf eine mordlustige Tausendschaft zu reduzieren, die dem User nur an den Kragen will, oder nicht? Friedrich sieht den Mittelweg als optimal an und erklärt das Dilemma. "Man will ja beides. Es ist am Ende immer noch ein Shooter, der über weite Strecken Spaß machen soll. Und auf der anderen Seite schaffen wir Situationen, in denen die normalen Shooter-Regeln plötzlich aufgehoben werden. Das war eine große Herausforderung. Du hast nicht so viele Vorbilder, auf die du da zurückgreifen kannst. Das ist etwas, das wir selbst entwickeln mussten."
Auch das kommt nicht von ungefähr, ist der Spieler Friedrichs Ansicht nach doch auf bestimmte Handlungsweisen konditioniert. "Egal wie gut die Story vorher und hinterher erzählt wurde, sobald du den Spieler in eine interaktive Umgebung setzt, schaltet er in der Regel auf einen Taktik-Modus um". Diese Denke zu brechen sei etwas, mit dem sich alle Spiele, die sich mehr auf ihre Erzählung stützen, auseinandersetzen müssten. Allerdings bringe gerade dies das Medium aktuell nach vorne. Friedrich beschreibt einen dieser Brüche mit Spiele-Konventionen anhand einer Szene, in der einer der Feinde nicht direkt auf euch anlegt oder mit einer anderen, in der der User unter vorgehaltener Waffe gezwungen ist, eine von zwei Personen zu exekutieren. Hier geht er ins Detail: "Das ist eigentlich etwas, was man im Game-Design vermeiden soll: Du hast die volle Steuerungskontrolle, bist aber in einer Situation, in der dir die Kontrolle eigentlich weggenommen wird. Der Spieler soll sich eigentlich immer autonom fühlen. Hier ist er das aber nicht." Das Ziel: "Dadurch, dass dir hier eine Situation aufgezwungen wird, bist du aber nicht sauer auf das Game-Design, sondern auf [die Person, die dich dazu zwingt - aus Spoilergründen entfernt]."
"Ich weiß nicht, ob es ein Anti-Kriegsspiel ist, ich weiß auch nicht einmal, ob es so etwas wie Antikriegsfilme überhaupt gibt."
Timo Ullmann
Auch Ullmann will betont wissen, dass es einem nicht darum gehe, mit erhobenem Zeigefinger den Moralapostel zu spielen. "Ich weiß nicht, ob es ein Anti-Kriegsspiel ist, ich weiß auch nicht einmal, ob es so etwas wie Antikriegsfilme überhaupt gibt. Unser Ansatz war, die Leute in Situationen zu bringen, wo man, und ich glaube das haben wir ganz gut hingekriegt, sie dazu zwingt, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Bei den Fokus-Tests, bei denen in den letzten Monaten über 200 Leute das Spiel bereits beendeten, habe man die unterschiedlichsten Reaktionen beobachtet. "Es gibt Leute, an denen geht dieses Element vorbei. Aber es ist eben da. Ich glaube, das ist schon eine neue Art das zu präsentieren, die zeigen wird, ob das funktioniert und ob die Leute das auch annehmen."
Friedrich sitzt während unseres Gespräches vor dem Cover-Artwork, das mit seiner Ästhetik auch aus einem handelsüblichen "Hurra-USA"-Shooter kommen könnte. Ein trojanisches Pferd? "Ja, ja. Das ist auf jeden Fall so beabsichtigt, auch vom Story-Verlauf her. Ich komme da hinein als Spieler und denke, 'Oh, das kenne ich. Ich bin hier auf bekanntem Terrain. Erst eine Turret-Szene, dann kämpfe ich gegen Leute mit komischem Akzent, ...' aber es ändert sich dann relativ schnell."
Die besten Absichten sind also vorhanden. Nur fragt man sich, wie ein Team, das sich gerade im Anlauf auf seinen ersten Third-Person-Shooter und seinen zweiten Titel überhaupt befindet, rein vom Spielgefühl her mit der Speerspitze dieses Genres mithalten will. "Es ist zwar Yagers erster Shooter, aber wir haben ein sehr erfahrenes Team", entgegnet Friedrich auf unsere Bedenken. "Unser Lead Designer war vorher bei Monolith, das heißt, er hat vorher an [zum Index "verurteilt"] und Fear [ganz bestimmt nur die deutsche Version - d. Red.] gearbeitet. Francois, der Executive Producer war beim ersten Splinter Cell dabei, unser Technical Animator kommt von Gearbox. Wir haben viele, viele Leute, die große Erfahrung ins Team mit eingebracht haben."
Ein weiterer Schlüssel, um die Güte von Steuerung und Waffen-Feedback sicherzustellen, waren die zahlreichen Fokusgruppen-Tests, die sich bereits vor Alpha-Status des Spiels mit mechanischen Belangen befassten. "Zudem haben wir wahnsinnig viel und wahnsinnig lange iteriert." Ein bisschen Vertrauen in die eigenen Daumen kann Friedrich zufolge auch nicht schaden. "Am Ende kann man im Grunde nur gucken, fühlt es sich für mich 'smooth' an, für die Leute im Team und die Leute von der Straße? Das sind tatsächlich lange, lange und schwierige Kreisläufe, viel Balancing, Änderungen an den Animationen, um Gewicht und Physikalität in den Charakter reinzubringen. Daran haben wir lange gefeilt."
Und dann die Preisfrage: In einem Spiel, das Gewalt zumindest ein bisschen zu hinterfragen versucht, wäre es da nicht langsam mal Zeit, für Gegner, die in der Lage sind, sich dem Spieler zu ergeben. Nach einer schweren Verletzung ihre Waffen zu strecken, anstatt auf den Exekutions-Move des Spielers zu warten? Das ist ganz sicher kein Spec-Ops-eigenes Problem. Aber woran liegt es, dass Spiele sich noch nicht in diesen Bereich entwickelt haben? Eine KI oder Programmier-Frage ist es laut Friedrich jedenfalls nicht. "Das ist eher eine Spielerfrage. Eine Spieler-Erziehungsfrage. Ich glaube, es ist eine ganz eigene Aufgabe, Spieler dahin zu erziehen, dass man noch etwas anderes machen kann. Das ist fast schon eine Aufgabe für ein eigenes Spiel."