Spec Ops: The Line - Vorschau
Das Grauen! Das Grauen!
Wie passend. Noch letzte Woche ließ sich Syndicate-Autor Richard K. Morgan in unserem Interview darüber aus, dass es für unser Medium ja so langsam an der Zeit wäre, die Idee von Krieg als "sauberem Spaß" und "unkompliziertem Heldentum" hinter sich lassen. Keine vier Tage später sitze ich bei Yager Development in Berlin-Kreuzberg am Controller von Spec Ops: The Line und kann mich des Eindrucks nicht erwehren, er hätte genau dieses Spiel im Sinn gehabt.
Natürlich kann Morgan den im Auftrag von 2K entstehenden Titel noch gar nicht kennen. Seit viereinhalb Jahren in der Entwicklung, wurde es eine lange Zeit verdächtig still um Spec Ops: The Line und erst im letzten Jahr gingen die Hersteller mit ihrem Spiel wieder in die Offensive. Besonders um Handlung und Charaktere habe man sich in der selbst verordneten Sendepause gekümmert, wie mir Studiogründer und Art Director Mathias Wiese versichert. Und zumindest im Ansatz dürfte Morgan das Resultat Yagers Meditation über die Inhalte des Third-Person-Shooters, doch sehr gefallen. Der Kleinkrieg, den ihr mit eurem dreiköpfigen Delta-Force-Team in einem durch Sandstürme verwüsteten und von der Außenwelt abgeschotteten Dubai führt, ist das Gegenteil von "unkompliziert und sauber".
Dabei sollte es ursprünglich nicht einmal zu einem Gefecht kommen: Mit dem vermeintlich einfachen Auftrag, einen Blick hineinzuwerfen und einen verschollenen Army-Trupp zu finden, bahnt ihr euch euren Weg in das noch immer von Stürmen geschüttelte Gerippe der Metropole am Persischen Golf. Wo ist Colonel John Conrad, der sich mit seiner 33. Infanterie Division nach der ersten Evakuierungswelle in den tobenden Sandsturm begab, um auch die noch zu retten, die zurückgeblieben waren? Der Name des heldenhaften Offiziers ist dabei nicht zufällig gewählt, spielt Yager hier doch auf Joseph Conrad an, der mit Heart of Darkness 1899 einen absoluten Romanklassiker über die Abgründe der menschlichen Seele veröffentlichte und damit indirekt die Vorlage für Apocalypse Now lieferte. Und so stoßt ihr, getreu der Vorlage im Geiste, in ein im Sand vergrabenes Wespennest vor, in dem längst eigene Regeln herrschen.
Wie genau die aussehen, das ergründet euer Dreiergespann um Captain Walker - einmal mehr exzellent gesprochen von Nolan North, den man hier zwar erkennt, aber in dieser Rolle weiter vom leichtherzigen Drake nicht entfernt sein könnte - im Verlauf der Handlung. Vollkommen ohne taktischen Einschlag, nur mit weitgehend autonomen Kameraden, denen ihr hier und da gebt mal einen Feuerbefehl gebt, werdet ihr Zeuge immer grausamerer Szenen in diesem von Conrads Männern reglementierten soziologischen Alptraum. Die Frage, was hier warum passiert, soll dabei laut Wiese über die gesamte Länge nicht so einfach zu beantworten sein. Immerhin ist auch der US-Geheimdienst CIA bereits vor Ort und wiegelt die verbleibende Zivilbevölkerung augenscheinlich gegen die vermeintlich vom Retter zum Besatzer umgekippten Soldaten und deren allzu frei interpretiertes Kriegsrecht auf. Und kann es überhaupt sein, dass Conrad, der Walker einst unter Einsatz seines eigenen Lebens den Hals rettete, zu einem solchen Tyrann mutierte? Es muss doch eine logische Erklärung dafür geben.
Das ist die Frage, die mir zu Beginn meiner knapp eineinhalb Stunden dauernden Anspielsitzung bei Yager Development durch den Kopf geht. Je tiefer ich mich aber entlang der Scheich-Zayid-Straße - Spec Ops' Analog zum Strom, der die Protagonisten von Herz der Finsternis beziehungsweise Apocalypse Now ihrem Ziel entgegenträgt - ins Zentrum dieser nicht nur ökologischen, sondern auch humanitären Katastrophe bewege, wird doch eines klar: Mit Logik ist unter diesen Umständen nichts mehr zu erklären. Ihr trefft auf Marodeure, die euch mit gezogenen Kalashnikovs bedeuten, keinen Schritt weiter zu tun, erlebt elend lange Momente, in denen man nie weiß, wann die erste Kugel fliegt. Regelmäßig seht ihr gebeutelte, weinende Zivilisten. Eine Frau fällt erschrocken vor euch auf die Knie, kauert sich winselnd zusammen, nur weil ihr eine amerikanische Uniform tragt. In diesen ersten Passagen des Spiels vielsagende Vorboten des Schreckens, der euch erwartet und den Hunderte sichtlich seit sechs Monaten durchmachen. Das hier ist die Hölle und ihr seid mittendrin.
Hier und da stellt euch Yager im Laufe der Kampagne vor die Wahl. Diese ist allerdings weniger dazu gut, in irgendeiner Form den Ausgang der Story zu beugen oder dehnen, wie das in Mass Effect oder Heavy Rain ein Hauptverkaufsargument ist. Die Handlung ist - obwohl der Verlauf eures Einsatzes hier und da kleinere Abzweigungen nehmen kann - mehr oder weniger in Stein gemeißelt. Studiogründer Wiese bezeichnet die Entscheidungen, die sich oft darin erschöpfen, ob und auf wen ihr nun das Feuer eröffnet, als "Reflexionstool". Der Spieler soll darüber nachdenken, was er da gerade getan hat. Die erste Situation, in der das deutlich wird, ist ein Verhör eines gewissen Leutnant McPherson, das man aus sicherer Entfernung Deckung beobachtet. Ein CIA-Agent nimmt ihn in die Mangel, wird aber von dem Offizier, der sich aus seinen Fesseln befreien kann, getötet. Als McPherson euch erspäht, legt er seine Pistole auf euch an - es bleibt euch überlassen, ob ihr ihn erschießt oder laufen lasst.
Hin und wieder machen euch auch eure Untergebenen Adams und Lugo auf eure verschiedenen Möglichkeiten aufmerksam. In einer späteren Szene erlebt ihr ein umgekehrtes Schauspiel: Das Squad findet einen CIA-Mann in den Fängen der 33. Infanterie vor. Der Agent verfügt offensichtlich über Wissen, das den Soldaten wichtig ist. Gleichzeitig bemerkt man aber, wie einige zivile Rebellen ihrer Exekution entgegen sehen. Lugo und Adams wirken simultan auf euch ein, was nun zu tun sei, wer zu retten ist. Keine einfache Entscheidung, auch wenn sich anschließend im Gespräch mit Wiese herausstellt, dass man in dieser Situation niemanden wirklich retten kann. Allerdings könne man mit seiner Entscheidung sehr wohl aber einer direkten Konfrontation mit dem 33. aus dem Weg gehen. Und auch wenn man hier trotz seiner Wahl für eine von beiden Möglichkeiten nichts bewirkt, stellt man sich an dieser Stelle die Frage, welche Art Soldat man sein will.
Zumindest in meinem Fall hat meine Entscheidung für den CIA-Mann ihre Wirkung nicht verfehlt: Ich brauchte dessen Informationen, zumal zu diesem Zeitpunkt die Situation immer noch nicht geklärt war, fühlte mich aber sehr mies dabei. Und Yager zieht später die Schraube weiter an. Die eindringlichste Szene: Ihr seht ein Killerkommando der Armee nach einem grausamen Bombardement mit weißem Phosphor durch die Aschewolken stapfen und wie in Zeitlupe die wenigen winselnden Überlebenden exekutieren. Dieser Abschnitt hallt lange nach und sorgt für Bauchweh, das nur noch schlimmer wird, weil ihr im späteren Verlauf keine andere Wahl habt, als diese schreckliche Waffe selbst gegen amerikanische Soldaten zu wenden.
Auch hier wird wieder deutlich, wie sehr Yager daran gelegen ist, den Konflikt so hässlich zu zeigen, wie er nun mal ist. Nachdem ihr mithilfe einer Drohne in Modern-Warfare-Vogelperspektive hübsch anonyme weiße Punkte und Vielecke zum Abschuss freigegeben habt, führt euch euer weiterer Weg nämlich durch die verstümmelten, schreienden und um Hilfe flehenden Überreste eurer ehemaligen Kampfgefährten. Man fragt sich unweigerlich, wie viel das noch mit Spaß zu tun hat, kommt aber nicht umhin, Yager für die zweifellos so beabsichtigte Wirkung ein Kompliment zu machen. "Don't do it. There's always a choice", hatte Adams noch gebettelt, bevor man den Feuerbefehl gab. "There really isn't", entgegnete Walker und trifft damit in gewisser Weise die vermeintliche, moralische Entscheidungsfreiheit dieses Spiels, die man getrost als Stilmittel begreifen kann, wie den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf. Und das in einem resignierenden Ton, wie ihn wohl nur ein Stimm-Schauspieler vom Kaliber eines Nolan North überzeugend rüberbringen kann. Dieser Terror zieht auch an euch und eurem Trupp nicht ohne weiteres vorbei. Das wird später deutlich, als sich der pragmatische Lugo und der menschelnde Adams vehement aneinander zu reiben beginnen.
Dass ich mich in diesem Text doch eher auf inhaltlicher Ebene mit dem Spiel auseinandersetze, ist zum einen sicher ein Kompliment an dieses so ambitionierte Projekt. Zum anderen sagt es aber auch etwas über den Spielanteil aus, denn der ist mit Abstand das am wenigsten bemerkenswerte an Spec Ops: The Line. Das soll nicht heißen, dass dieser Part nicht auch gelungen wäre. Für mich ist das solide spielbare und aussehende Third-Person-Spektakel mit ordentlichem, aber hier und da noch etwas fummeligem Deckungssystem nur ein Vehikel, diese Geschichte zu erleben. Ich gebe zu, "Mittel zum Zweck" klingt so abwertend, aber es ist nicht so gemeint. Die Shooter-Mechaniken greifen und wissen dank der schön abwechslungsreichen und stimmungsvoll gestalteten Umgebungen zu unterhalten. Es ist nur nicht der Grund, warum wir hier sind und dieses Worst-Case-Szenario menschlichen Versagens ergründen.
Das war vielleicht zuerst so. Noch bis etwa 16:00 Uhr am vergangenen Donnerstag, als ich bei Yager in Kreuzberg klingelte, um mir einen Third-Person-Shooter mit Deckungssystem anzuschauen, der seit Jahren einfach nicht herauskommen will. Zwei Stunden später ging ich. Ungern, aber zugleich froh darüber, dass man in diesem Business hin und wieder noch mal eine Überraschung erlebt - und mit Gedanken, die sich zur Abwechslung mal nicht um KI, Grafikengines und Waffenfeedback drehten.