Spelunky - Test
Es verlangt nach einer ganz neuen Definition von Schwierigkeitsgrad. Und trotzdem kann ich nicht aufhören, es zu spielen.
Machen wir uns nichts vor. In Videospielen hat der Tod seine ursprüngliche Wirkung fast komplett verloren. Sterben bedeutet in der virtuellen Welt bloß noch ein kurzer Verlust weniger Minuten, wenn nicht sogar nur Sekunden. Einfach den letzten Checkpoint laden und schon geht es weiter.
Spelunky bietet euch hunderte Dinge, die ihr im Spiel finden könnt. Von garstigen Yetis über tödliche Geister bis hin zum Necronomicon. Ein Checkpoint gehört jedoch nicht dazu. Einen winzigen Augenblick nicht aufgepasst, mal eben an der Nase gekratzt und schon hat euch ein Pfeil mitten zwischen die Augen getroffen. Ob dies nun in den ersten zehn Sekunden oder im letzten Level geschieht, macht keinen Unterschied. Der Tod in Spelunky ist endgültig und schickt euch jedes Mal direkt zum Anfang des Spiels.
Hinzu kommt die grausige Tatsache, dass Spelunky unglaublich schwer ist. Und diese Aussage stammt von jemandem, der Super Meat Boy zu 100 Prozent absolviert hat. Hier habe ich selbst nach über 15 Stunden gerade einmal die Hälfte aller Dinge gesehen. Verdammt, ich habe noch immer nicht den letzten Boss besiegt. Spelunky stellt sich selbst über die knallharten NES-Spiele und gehört zu den knackigsten Erfahrungen aller Zeiten.
Und dennoch verspüre ich keinen Zorn, sondern lediglich den Drang, mir nach jedem Bildschirmtod auf die Zunge zu beißen. Nie fühlt ihr euch vom Spiel bestraft und müsst euer Ableben stets auf die eigene Kappe nehmen. Dafür sorgt über allem die perfekte Steuerung eurer Figur. Vergleichen lässt sie sich am ehesten mit der von Super Meat Boy, mit der ihr ebenfalls normal laufen oder sprinten könnt. Auf Wandsprünge müsst ihr hingegen verzichten. Dafür könnt ihr euch an Kanten festhalten.
Neben dem fairen Ablauf mindert das Leveldesign euren Frust. Ihr werdet auch nach Tausenden von Spielen nicht ein einziges Mal den gleichen Level spielen, da diese bei jedem Versuch zufällig generiert werden. Zwar folgt ihr immer dem gleichen Ablauf von vier Welten mit jeweils vier Abschnitten, doch die eigentlichen Aufstellungen verändern sich bei jedem Neustart. So erhaltet ihr trotz komplettem Reset eine frische Erfahrung, könnt euch dafür aber keine Wege einprägen.
Wer also gut in Spelunky werden will, muss das Spiel beherrschen. Jeder Feind hat seine gewissen Schwächen und einige Situationen solltet ihr lieber gleich umgehen. Ein Profi kann die einzelnen Abschnitte in 15 Sekunden absolvieren, ein normaler Spieler sollte es aber langsam und mit Vorsicht angehen. Um euch einen besseren Überblick zu verschaffen, könnt ihr den Stick kurz nach unten oder oben gedrückt halten. Dann fährt die Kamera ein Stück in diese Richtung. Da euch öfters einige Schluchten erwarten und ihr nicht allzu tief fallen dürft, sollten eure Schritte gut überlegt sein.
Was die ganze strategische Vorgehensweise zum Überkochen bringt, sind die vielen Gegenstände, die ihr zufällig findet oder von Händlern erwerbt. Ihr startet jede Runde mit vier Lebenspunkten und einer Handvoll Bomben sowie Seilen. Der Zweck der Bomben sollte jedem offensichtlich sein. Seile dagegen bringen euch wesentlich mehr als zunächst erwartet. Werft sie vor oder über euch, um Abgründe unbeschadet zu überleben, an Gegnern vorbeizuklettern oder wieder zurück nach oben auf einen Vorsprung zu gelangen. Sie bleiben überall hängen, wo ihr sie platziert und transformieren schnell zum überlebenswichtigen Hilfsmittel.
Da ihr im besten Fall alle Abschnitte erledigen wollt, habt ihr ein langes Spiel vor euch und wisst nie, welches Item euch erwartet. Darum expandiert jeder Einsatz zu einer tragischen Entscheidung. "Soll ich wirklich eine Bombe einsetzen, um schneller zum Ziel zu gelangen oder lieber die Schlangen bekämpfen und sie für später aufsparen? Was, wenn ich sie nachher für eine Riesenspinne oder Schatz benötige? Ich wünschte, ich hätte eben keine für diese dumme Truhe benutzt. Da waren eh nur ein paar dämliche Edelsteine drin. Mist verdammter!"
Manche Gegenstände können eine total versemmelte Runde auf einen Schlag umdrehen. Mit dem Jetpack schwebt ihr kurzzeitig und der Kletterhandschuh lässt euch an jeder Wand festkrallen, sodass ihr selbst die steilsten Wände in Windeseile erobert. Greift euch eine Schrotflinte und lehrt den Feinden das Fürchten. In keinem Spiel wechselt eure Stärke in solch plötzlichen Schritten. Und mit der gewonnenen Kraft folgt die wachsende Furcht. Natürlich ist das Spiel gerade ein gutes Stück leichter geworden. Aber wie lange wird es dauern, bis ihr wieder so eine gute Ausgangssituation erlebt? Jetzt wollt ihr auf keinen Fall sterben, wo es gerade so gut läuft. Dieser gleichsame Anstieg von Macht und Angst sorgt für einen ständigen Adrenalinschub.
Möchtet ihr nicht immer komplett von Anfang an starten, helft ihr einem Tunnelbauer, der am Ende jeder Welt wartet und euch eine Abkürzung graben kann, wenn ihr ihm die nötigen Sachen bringt. Dazu müsst ihr aber mindestens dreimal dorthin gelangen und dann die passenden Objekte haben. Ein oder zwei Bomben mitbringen hört sich noch relativ gemütlich an. Wenn ihr für die letzte Abkürzung zum Tempel dann den Schlüssel aus der ersten Welt mitbringen sollt, hört der Spaß auf. Hier muss für jeden Erfolg gearbeitet werden. Ihr möchtet einen weiteren Lebenspunkt abstauben? Gerne! Sammelt dazu nur die hilflose Dame in der Stage auf und bringt sie lebendig zum Ziel. Nachdem euch diese Rettungsaktion zum wiederholten Male das Leben gekostet hat, wägt ihr den nächsten Heldenversuch sehr genau ab, bevor ihr Blondi zur Hilfe eilt.
Mit der Zeit lernt ihr die Angriffsmuster und Schwächen der Feinde und observiert automatisch eure Umgebung besser. Seid ihr bei euren Babyschritten noch leichtfertig in die Pfeil-Falle gelaufen, erkennt ihr diese nach ein paar Stunden sofort auf dem Bildschirm. Erfahrene Spieler suchen dann nach Pfeilen, die auf eine frühzeitige Aktivierung hinweisen. Oder sie suchen nach einem Gegenstand, um sie zu entschärfen. Ganz mutige Abenteurer wehren das Geschoss sogar mit der Peitsche ab.
Spelunky bietet in seinem zunächst simplen Gameplay eine unglaubliche Tiefe an Möglichkeiten und kleinen Taktiken, die ihr euch mit der Zeit unbemerkt aneignet. Spielt einige Durchgänge im Dschungel und versucht euch anschließend erneut an den Minen. Verwundert fragt ihr euch, warum ihr einst Probleme mit dem Areal hattet. Keine Levelaufstiege, keine neuen Waffen und erst recht keine erlernten Fähigkeiten. Einzig und allein ihr seid besser geworden und fühlt euch dadurch wunderbar und angespornt zu größeren Herausforderungen.
Wer die kostenlose PC-Version von Derek Yu aus dem Jahre 2008 kennt, dem kommen diese Erkenntnisse sicherlich altbacken vor. Wofür soll ich jetzt 15 Euro auf den Tisch knallen, um das Ganze auf der Xbox zu spielen? Nun ja, der auffälligste Unterschied der beiden Versionen trifft euch direkt in den Sehnerv. Im Gegensatz zur pixeligen PC-Version erhielt die HD-Fassung eine putzige Cartoon-Optik, die euch allein beim Zusehen ein breites Grinsen auf die Backe zaubert. Ebenso tauschte man die Musik, wobei sich eindeutig die Geister scheiden werden. Ich könnte keine Variante als die bessere deklarieren. Ein optionales Wechseln zwischen den beiden wäre da schon nett gewesen.
Damit endet die Aufzählung der Neuerungen für das Hauptspiel auch schon. Das eigentliche Gameplay blieb unangetastet und wurde 1 zu 1 übernommen. Als Zusatz spendierte man einen verrückten Deathmatch-Modus, in dem ihr euch mit bis zu drei Freunden oder Bots bekriegt und damit Erinnerung an Bomberman erweckt. Ebenso können eure Freunde in der Kampagne dazustoßen und euch auf dem Weg in die Tiefen unterstützen. Stirbt einer aus der Truppe, kann er als Geist weiterhin mitspielen und durch kleinere Windschübe den aktiven Spielern helfen. Somit wird keiner zum Zuschauen degradiert und fühlt sich bis zum Tod des letzten Mannes als Teil des Teams. Eine unglaubliche intensive Erfahrung, selbst wenn sie strenges Teamwork und ständige Absprache erfordert. Zwar gehöre ich zu den Leuten, die so einen Modus lieber mit Freunden auf der Couch erleben, dennoch gibt es einen Strafzettel für die fehlende Online-Anbindung.
Als weiterer Dämpfer gilt für mich die relativ kleine Auswahl an Gegenständen, von denen nur die wenigsten wirklich nützlich sind. Vielleicht habe ich in den letzten Tagen zu oft The Binding of Isaac gespielt, doch gegen den Titel von Edmund McMillen wirkt die Anzahl an Objekten hier fast schon traurig. Bei dem ansonsten brillanten Humor hätten ein paar bekloppte Neuerungen und Ideen das Spielgefühl wirklich perfektioniert. So bleibt bis zuletzt eine fiese Stimme im Hinterkopf, die permanent daran erinnert, dass etwas fehlt, auch wenn sich schwer sagen lässt, was genau.
Doch daran möchte ich mich nicht zu sehr verbeißen. Denn eigentlich könnte ich stundenlang von meinen Erlebnissen in der verrückten Welt erzählen. Von meiner ersten Entdeckung des Schwarzmarktes oder dem Versuch, als ich fast die Goldene Stadt erreichte. Von den Momenten, in denen der Level stockdunkel wurde oder ich es durch eine Kettenreaktion schaffte, meine kompletten acht Lebenspunkte mit nur einem Fehltritt zu verlieren. Findet einen weiteren Spelunky-Spieler und ihr habt schier unendlichen Gesprächsstoff. Und trotzdem hätte ich mir ein wenig mehr Inhalt gegenüber einem kostenlosen Titel gewünscht.
Aber in welchem Spiel könnt ihr schon einen Grabstein mit der Aufschrift "ASH" finden und nach der Zerstörung eine Schrotflinte erhalten. Allein dafür solltet ihr Spelunky lieben. Es mag nicht für jeden geeignet sein, doch hat es euch einmal gepackt, gibt es die nächsten Tage kein Entkommen. Schaut euch einfach die PC-Version an und wenn ihr beim nächsten Blick auf die Uhr die verflossene Zeit bestaunt, seid ihr euch den Kauf bereits schuldig.