Spinnortality - Test: Das Unternehmen ist alles, der Mensch ist nichts!
Und du, du bist auch nichts!
"Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert", sprach Hannibal vom A-Team nach jeder erfolgreichen Operation. Und ich verstehe den Kerl, denn auch ich mag es, wenn meine perfiden, leicht menschenfeindlichen Vorhaben in Spinnortality aufgehen. Gerade erst habe ich den Leuten in Nordafrika durch eine ausgefeilte Marketingkampagne eingebläut, dass sie Social Media brauchen, um im Leben glücklich zu werden. Jetzt, nur wenige Jahre später, verkaufe ich, Chef des Megakonzerns Omnicorp, ihnen den Sozialleskönner, ein sensationelles Tool, das ihnen hilft, ihre zeitfressenden Social-Media-Aktivitäten wieder unter Kontrolle zu kriegen.
Meine Marketingkampagne läuft diesmal unter dem Claim "Auch mal Abstand nehmen" ab, was gut ist, denn die Leute vor Ort lieben Vertraulichkeit und scheuen allzu offensive Öffentlichkeit. Mein sensationeller Sozialleskönner wird ihnen jetzt helfen, manches aus ihrem Privatleben auch wirklich geheim zu halten.
Spinnortality ist eine Manager-Simulation, die, bezogen auf das bloße Gameplay, vergleichbar ist mit anderen Managerspielen für Fußballmannschaften, Handelsorganisationen, Pizzaketten oder was auch immer. Nur, dass ihr hier ein globales Unternehmen leitet, dass sich anschickt, die Unsterblichkeit zu erforschen - natürlich nur, um den verehrten Vorstand unsterblich zu machen. Was mit dem Rest der Welt passiert, ist relativ egal und letztlich spielt sich das ohnehin nur auf dem Papier ab. Ihr sitzt vor eurem Bildschirm und trefft Entscheidungen, die Auswirkungen seht ihr in Diagrammen.
Klar - Social-Media-Kanäle waren noch viele Jahre das finanzielle Rückgrat von Omnicorp, aber nicht mehr der Schwerpunkt der Forschung. Manipulationen an der menschlichen DNS sind doch letztlich viel interessanter und künstliche Intelligenzen werden auch erst spannend, wenn sie ein eigenes Bewusstsein entwickeln. Für den Fall, dass die dem Management Board doch mal gefährlich werden könnten, wäre vielleicht ein riesiger Todeslaser auf dem Mond keine schlechte Idee? Und bitte, bevor die werten Herren irgendeine bedeutungslose Krankheit wie Krebs dahinrafft, findet doch endlich heraus, wie ihr deren Geist in einen neuen Körper transferieren könnt.
Ihr merkt vielleicht schon, worum es in Spinnortality geht: Moral - beziehungsweise deren Abwesenheit. Mit absolut wahnwitzigen Zielen im Hinterkopf führt ihr ein globales Unternehmen in einem dystopischen Cyberpunk-Setting, das Runde für Runde neue Produkte und Technologien in die Märkte der Welt presst. Nicht jedes Gebiet hat Einwohner mit gleichen Wertevorstellungen, aber das ist völlig egal, so lang ihr nur die richtige Marketingkampagne wählt. Beides - Produkte und Kampagnen - könnt ihr erforschen, indem ihr eure Angestellten darauf ansetzt. Je nachdem wie ausgebaut euer Netzwerk ist, wie viele Spezialisten ihr also an eurer Seite habt, findet ihr heraus, wie gut oder schlecht eine Kampagne in einem Land funktioniert. In jeder Runde könnt ihr außerdem neue Leute einstellen. Aber das ist längst nicht alles: Denkt euch irgendeine Schmutzigkeit aus, die ihr dem Boss eines seelenvertilgenden Megakonzerns zutrauen würdet - ihr werdet sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendwo in den Menüs von Spinnortality finden.
Wenn ihr mögt, könnt ihr beispielsweise Einfluss auf das politische System eines Landes nehmen. Es handelt sich um eine Demokratie? Schön: Dann unterstützt doch einfach die Partei, deren Gesetzesvorhaben am ehesten euren Vorstellungen entgegenkommen. Großzügige Spenden werden mit Gefallen quittiert, die ihr gewinnbringend einsetzen könnt - etwa, wenn ein Gesetz die neuen Haushaltsroboter verbietet, die ihr gerade entwickelt habt. Schafft es doch einfach ab. Handelt es sich um einen Einparteienstaat ohne Wahlen? Auch kein Problem. Finanziert einfach so lange die Opposition im Untergrund bis es zu einem bewaffneten Aufstand kommt und sucht euch danach (entsprechendes Netzwerk vorausgesetzt) die Regierungsform eurer Wahl aus.
Und hey, klar kann so ein Politikwechsel nicht dafür sorgen, dass sich das Weltbild der Bevölkerung ändert. Aber die Medien können, unter gewissen Umständen jedenfalls. Sorgt für diese Umstände. Investiert Geld in die Medien und verschiebt so das Wertegefüge ganzer Nationen. Es ist ja so: Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet eben zum Berg kommen. Weil also keine eurer Marketingkampagnen zu den Leuten vor Ort passen, verändert doch einfach die Leute vor Ort. Sowas kann natürlich auffallen und dann sinkt euer Ansehen in der Öffentlichkeit, aber ein paar Charity-Aktionen reichen vielleicht, um das wieder auszugleichen?
Die Möglichkeiten in Spinnortality sind tatsächlich unheimlich vielfältig und das müssen sie auch sein, denn es gibt nicht nur eine Siegbedingung. Siegpunkte erhaltet ihr, indem ihr euch für bestimmte Agenden entscheidet, die ihr durch Geld und Einflussfaktoren in Militär, Gesellschaft und unter Hackern freischalten könnt. Diese Siegpunkte gibt es für die vier Bereiche Imperialismus, Konsumismus, Neue Weltordnung und Humanismus, 15 braucht ihr jeweils. Es empfiehlt sich, von Anfang an einen bestimmten Sieg anzustreben, es gibt aber auch genug Unvorhergesehenes, was dazu führen kann, dass ihr zumindest vorübergehend von eurem Weg abweichen müsst.
Das kann einerseits der Vorstand sein, der bestimmte Vorstellungen hat, wie ihr euren Job machen sollt und der euch deshalb immer wieder Zielvorgaben macht. Das kann heißen, dass ihr nur innerhalb der nächsten Jahre den Umsatz ein bisschen steigern müsst, es kann aber auch bedeuten, eine Regierung zu stürzen, selbst wenn euch das gerade gar nicht in den Kram passt. Denn an Ansehen beim Vorstand wollt ihr nicht verlieren - ist das nämlich am Boden, kann es schlimmstenfalls passieren, dass ihr entlassen werdet.
Und dass ihr euren Job verliert, das kann schneller passieren als ihr denkt. Nicht nur ihr könnt nämlich schmutzig spielen, eure Gegner machen das auch. So werdet ihr ausspioniert, die Korruption im eigenen Unternehmen steigt, die Ineffizienz nimmt mit der Unternehmensgröße ebenfalls zu und während ihr häufig zwar genug Geld habt, um darin zu schwimmen, mangelt es euch allzu oft an Unterstützern in Militär und Gesellschaft. Und dann müsst ihr auch noch euren Absatzmärkten helfen, denn dass dort niemand mehr eure Produkte kauft, ist schließlich auch nicht in eurem Interesse. Wenn ihr also in Südafrika eine Epidemie bekämpft, bringt euch das vielleicht ein bisschen Ansehen und sichert langfristig ein gewisses Einkommen, es kostet euch für den Moment aber einen Haufen Geld.
Spinnortality wurde von James Patton entwickelt, einer Einzelperson ohne großes Team hinter sich. Dass es sich hier um ein Autorenwerk handelt, merkt man dem Spiel an. Es hat zwar ein Tutorial, das euch beibringt, wie jede Mechanik funktioniert, aber bis ihr die letzte Lektion gelesen habt, vergehen eineinhalb bis zwei Stunden und auch dann fühlt ihr euch auf dem normalen Schwierigkeitsgrad noch relativ hilflos.
Spinnortality ist äußerst komplex und ihr werdet sicher mehrere Anläufe brauchen, bis ihr zum ersten Mal so richtig erfolgreich seid. Grafisch aufwändig ist der Titel auch nicht, bisweilen fühlt sich das Spiel eher an wie eine wirklich komplizierte Excel-Tabelle. Aber es macht nichts, wenn ihr scheitert, weil auch der Weg bis dahin Spaß macht. Weil ihr bis dahin nämlich auch Erfolgserlebnisse hattet, indem ihr beispielsweise die liberale Partei Russlands gestürzt oder eine Technologie entwickelt hat, die für ihren Besitzer automatisch den aktuellen Status in sozialen Netzwerken postet.
Habt ihr die grundlegenden Mechaniken einmal verstanden, dauert es etwa sieben bis acht Stunden bis ihr eine Partie auf die eine oder andere Weise erfolgreich beenden könnt. Schneller geht es später, je souveräner ihr beim Spielen werdet. Weil ihr Spinnortality allerdings auf viele verschiedene Weisen angehen könnt, gibt es prinzipiell jede Menge Wiederspielwert, zumindest, falls ihr der nüchternen Präsentation nicht überdrüssig werdet. Grundsätzlich spricht übrigens nichts dagegen, auch den humanistischen Lösungsweg auszuprobieren. Lustig ist nur, dass auch der kapitalistischen Verwertungsmechanismen folgt. Menschenrechte sind kein Selbstzweck, sie bleiben eine Marketingstrategie. Tut ihr in Spinnortality also ausnahmsweise doch mal was Gutes, geschieht das nie ohne Hintergedanken.
Spinnortality ist ein bemerkenswertes Spiel und das gar nicht mal nur aufgrund seiner spannenden Thematik. Es ist unheimlich tiefgreifend und es bietet eine solche Vielzahl verschiedener Lösungsmöglichkeiten, dass ihr euch im Management eures Unternehmens wirklich so lange frei fühlt, bis euch der Vorstand wieder irgendwelche nervigen Vorgaben macht oder ihr gezwungen seid, einen Skandal aus der Welt zu schaffen - durch Einfluss, Geld oder eben ein paar kriminelle Hacker. Spinnortality ist kein allzu zugängliches Spiel, aber es lohnt sich doch, sich ein wenig darin zu vertiefen und es macht Spaß, über jeden Zug nachzudenken. Ihr könnt frei speichern und demzufolge auch herumexperimentieren. Bedenkt nur: Nicht alle eure Entscheidungen haben sofort eine Auswirkung. Manches geschieht auch viel später. Was das ist und wozu euer Todeslaser auf dem Mond wirklich gut ist - das findet ihr am besten selbst heraus.
Entwickler/Publisher: James Patton - Erscheint für: PC - Preis: 9,99 Euro - Erscheint am: 1. Februar - Getestete Version: PC - Sprache: deutsch - Mikrotransaktionen: Nein