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Splinter Cell: Conviction

Sam auf Abwegen

Moral und Zurückhaltung sind nicht unbedingt Luxusgegenstände in der zivilisierten Welt. Was aber, wenn einer kein Interesse mehr daran hat? Wir erinnern uns kurz zurück, so in etwa Mitte der letzten Dekade. Ein Höhepunkt, als aus French Fries über Nacht Freedom Fries wurden und die Rechtsordnung der ganz westlichen Welt schwer strapaziert wurde, nachdem plötzlich kreative Verhörmaßnahmen in den Katalog zulässiger Strafpräventionen eingeführt wurden. McCarthys Geist schien von den Toten auferstanden, um auf der ganzen Welt den neuesten Bedrohungen hinterherzujagen. Einige real, andere Gespenster. Alles zum Schutz vor dem Armageddon durch Terroristen, Massenvernichtungswaffen und Liberalen. Je nach Sendezeit auf FOX in variabler Reihenfolge.

Mit Splinter Cell: Conviction geht diese wundervolle Ära der ewiglichen und allgegenwärtigen Bedrohungsszenarios in die Verlängerung. Das Böse schläft nie und die freie Welt befindet sich unter Dauerfeuer aus einem Konglomerat diffuser Untergangsfantasien. Es spielt dabei nicht mal eine wirkliche Rolle, wer jetzt die Fäden in der Hand hält. Russen, Iraner, abtrünnige US-Generäle, Kim Jong oder Sun-Sun. Irgendwer wird irgendwo schon irgendwas machen, was um jeden Preis gestoppt werden muss.

Damit sind wir mitten im Spiel und der modernen Welt des politischen Thrillers angekommen. Eine Welt, die sich aus den Klischees des Kalten Krieges bedient und ihnen einen neuen Anstrich gibt. Einen weit brutaleren, sind die Einsätze doch ungleich höher. Die Russen wollten nie wirklich den Weltuntergang, genauso wenig wie alle anderen. Jetzt geht es aber um mehr, denn die neuen Feinde wollen vielleicht wirklich die Welt brennen sehen. Oder zumindest ein gutes Geschäft am Feuer machen. Sie sind nicht berechenbar. Und unser wichtigster Mann versucht nicht einmal, das Unberechenbare nachzurechnen. Sam Fisher ist raus aus dem Spiel.

Nicht spielbar, nur Cutscene. Aber ähnliche Situationen lassen sich im Spiel erreichen. Wenn man alles falschmacht.

Aber er ist noch nicht fertig mit der Welt. Ein gehauchter, vager Hinweis auf den Killer seiner Tochter reicht, um ihn auf Malta auf einen Killing Spree zu schicken. Weit über die Mittel der Selbsterhaltung hinaus treibt es den härtesten Mann der Spielebranche, den Jack Bauer der Videogames. Er hechelt einer wilden Spur hinterher und kennt schon in den ersten Minuten keine Restriktion. Folter ist gut, Tötungen selbstverständlich.

Sam Fisher verlässt die zivilisierte Welt und betritt diesmal wirklich das Terrain des Rogue Agent, des Außenseiters, der kaum mit seinen eigenen Dämonen klarkommt, geschweige denn einem hingeworfenen Brocken zum einzigen, was seine Humanität überhaupt noch festhält, entsagen kann. Es ist die gefühlte Verlängerung einer bedrohlichen und angsterfüllten Weltsicht, die man jedes Mal beim Gang durch einen Flughafenscanner spürt und die immer weitere Kreise zieht, immer tiefer in die Gesellschaft eindringt. Und dass ein Spiel wie Splinter Cell: Conviction daraus Stimmung und Inspiration zieht, zeigt, dass man allem etwas Gutes abringen kann: Dieses Spiel macht eine ganze Menge Spaß. Keinen gänzlich unschuldigen Spaß, mehr einen bösen, mit der Freude an Rache und Blutgerechtigkeit.

'Was heißt Folter und wieso 'Der Arm sieht komisch aus'? Er ist doch noch dran.'

Die Linie zwischen Gut und Böse wurde klar durch den Sand gezogen wurde und man weiß, dass man die richtigen treffen wird, wenn man nur alle erwischt. Der Kontext moralischer Werte verschwimmt zur Bedeutungslosigkeit, wenn zwischen dem Ziel und dem Helden eigener Ganden zwanzig Wachleute mit MPs und Taschenlampen suchen.

Musste man früher Zurückhaltung zeigen, ihnen ausweichen oder zumindest irgendwelche Proforma-Strafen für Tötungen in Kauf nehmen, dürft ihr bei Conviction so hemmungslos aufräumen wie ihr wollt. Oft genug müsst ihr es sogar. Und oft genug liegt die Entscheidung eh nicht in eurer Hand. Informationsgewinnung muss in der Welt der allgegenwärtigen Bedrohung vor allem auf eine Weise vonstatten gehen: Auf die schnellstmögliche Art. Sam Fisher hält sich nicht mit Wasserspielen und Elektrokabeln auf, er schleift seinen Gefangenen durch den Raum. Und wenn er es wagt, mit dem Ausspucken der Geheimnisse aufzuhören, habt ihr die Wahl zwischen Waschbecken und Spiegel. Beides reagiert zerbrechlich auf Kontakt mit dem Kopf des Befragten.

Am Ende wird der Böse sterben. Weil Sam ein harter Kerl ist. Dies ist kein Spiel der Handlungsdiffizilitäten. Auch keines, das euch Wahlmöglichkeiten im Handlungsverlauf geben möchte. Es ist ein Spiel, das seine Freiheiten aus der Vorgehensweise zum Erreichen des einzigen Ziels zieht. So ziemlich jede der bisher zu sehenden Szenen, sei es nun eine Villa auf Malta oder ein Flughafen im Nirgendwo, bieten einen Spielplatz voller Verstecke, Wege und Möglichkeiten. Hangelt an der Decke entlang, um ungesehen den Raum zu passieren, steigt durch das Fenster ein oder nehmt die Tür. Je nachdem, wie ihr spielen wollt, sei es mehr im Sinne eines Deckungsshooters oder doch lieber getreu dem Stealth-Motto von Splinter Cell - es gibt Gelegenheiten für jede Herangehensweise.