Spore
Schön vs. Schade
Phase 2, die Kreaturenphase, reizt diese Motivation noch gehörig aus. Der Editor offenbart nun mehrere Bereiche, bietet Arme und Beine an, Füße, Greifer, Augen und Sinnesorgane, Waffen sowie sonstige Details. Und er ist mit etlichen leeren Stellen gepflastert, die es noch mit neuer DNA-Struktur zu füllen gilt. Im Gegensatz zum Zellen-Editor darf man sich jetzt auch mit den Formen der Gliedmaßen vergnügen. Beine können beispielsweise mit der Maus beliebig in die Länge, Körperpartien mittels Mausrad in die Breite gezogen werden. Die Neugier, was sich alles im Handumdrehen damit anstellen lässt, erfährt eine neue Ebene, der Sammeltrieb wird angesprochen und der Kreativität sind – wie man so schön sagt – keine Grenzen gesetzt.
Abgesehen von zwei kleinen Einschränkungen: Erstens richten sich die verfügbaren Münder nach der finalen Ausrichtung der Amöbe. Selbst jene, die man später an Land ergattert. Ebnete man sich zum Beispiel vorrangig seinen Weg durch die Zellenphase, indem man seine Kollegen verputzte, limitiert sich das Kontingent in Phase 2 ausschließlich auf Fleischfresser-Mäuler. Und zweitens ist die Komplexitätsanzeige irgendwann voll. Eine Schöpfung mit 400 Augen, 50 Beinen und 30 Armen wird demnach nie das Licht der Spor'schen Welt erblicken. Leider.
Zuzüglich der Fülle an Formungsvarianten bringt der Großteil der Gliedmaßen eine neue Komponente ins Spiel, die mehr Komplexität verspricht. Spezielle Fähigkeiten und Talente, die der Kreatur helfen, sich in ihrer neuen Umwelt zurecht zu finden, mit anderen soziale Kontakte zu knüpfen oder sich Gefahren zu erwehren.
Mit einem Mund lässt es sich leicht singen und beißen, Krallen oder Klauen bestückte Füße fügen einem unter anderem die Technik „Rammen“ bei und ohne Hände kann man weder posieren noch Holzstöckchen oder Muscheln aufheben. Welchen Partien man den Vorzug gibt, hängt einerseits davon ab, was die Kreatur alles können soll. Sprich: Ob sie neben dem regulären Laufen noch springt, sprintet, schleicht oder gleitet. Und andererseits von der Gesinnung, die man der Schöpfung angedeihen lassen möchte. Ergo: Sozial, anpassungsfähig oder Raubtier.
Will man die Kreaturenphase bar jeglicher Gewalt bestreiten – was übrigens als Fleischfresser nahezu ein Ding der Unmöglichkeit ist, mit irgendwas muss man ja seinen Hunger stillen –, konzentriert man sich auf all jene Teile, die einen Bonus auf die Anfreunden-Techniken mit sich führen. Beispielsweise Bezaubern und Tanzen. Und selbige setzt man bei der Verbrüderung mit freundlich oder neutral gesinnten Spezies ein.
Stimmt die andere Gattung ein Liedchen an, tut man es ihnen gleich und trällert fröhlich aus voller Kehle. Vollführt das Gegenüber eine komplette Drehung und blickt einem neckisch über die Schulter entgegen, zeigt man sich ebenfalls von der bezaubernden Seite und umgarnt sie. Kleiner Anflug von Anspruch: Je weiter entwickelt das Objekt der Begierde, umso mehr Finesse, also eine höherstufige Version der Technik, ist bei der Prozedur erforderlich. Welche abgesehen vom tristen Fossilien-Aufklauben den einzigen Weg darstellt, um an neue DNA-Punkte und -Strukturen zu gelangen.
Außer, man entscheidet sich für das brachiale, das kampflastige Vorgehen und gibt sich der aufreibenden Alternative hin. Dann sagt man all den hübschen Flügeln, Puscheln und Federn ade und fügt seiner Schöpfung Stachelschwänze, spitze Hörner und Klauen hinzu, um die Angriffstechniken zu verstärken. Statt zuckersüßem Ringelrein bespuckt man die abstrakten Gestalten mit Gift, rammt ihnen den Körper in den Leib, schlägt mit den Krallen zu und beißt sie nach und nach in die ewigen Jagdgründe. Alles natürlich so gehalten, dass auch Kinder des Nachts nicht von Alpträumen geplagt werden und Mama und Papa in Ruhe das Spielen erlauben können.
Während dieses steten Kreislaufes aus Gegend erkunden, Knochen ausbuddeln, neue Freunde finden oder ganze Gattungen ausrotten, füllt sich wie gehabt die Evolutionsanzeige und die eigene Spezies zieht es mehr und mehr ins Landesinnere. Und hier, so ungefähr ab der Mitte der Evolutionsleiste, verliert Spore erstmals etwas von seinem Reiz, von der „Magie“. Hauptsächlich, weil man merkt, dass außer den soeben angesprochenen Elementen das Angebot an sonstigen Vergnügungen rar gesät ist. Sicher, man ist ähnlich der Zellphase dazu motiviert, sämtliche Körperpartien freizuschalten, will seiner Schöpfung das bestmögliche oder verrückteste Aussehen verpassen. Oder man kann versuchen, sich mit den umher streifenden Elite-Kreaturen zu verbrüdern und stampft – sofern es die Evolutionsstufe erlaubt – mit zwei oder drei von ihnen durch die Gefilde. Und ja, es ist sogar möglich, eines der riesigen, epischen Biester ins Nirwana zu befördern, die hier und da ihre monströsen Schädel durch die Baumkronen schieben. Aber abseits davon bleibt nichts, was man in der Stunde davor nicht schon unzählige Male erledigt und erlebt hat.