Stalker 2: Heart of Chornobyl schwingt sich auf der gamescom zum Most Wanted auf
Holt die Schrauben aus dem Schrank!
Ich ging mit einigen Sorgen in meinen Termin mit GSC Game World. Was mir im letzten Jahr auf der gamescom von Stalker 2: Heart of Chornobyl gezeigt wurde, war in Sachen Stabilität und Design nah an der Grenze zur Unspielbarkeit und ich verbinde mit Stalker nicht weniger als einen der großen Klassiker der Spielegeschichte. Zugleich wünsche ich den Entwicklern, die diesen Titel entwickeln, während sich ihr Land im Krieg befindet, alles erdenklich Gute. Es muss unfassbar schwer sein, in diesen Zeiten normal zu funktionieren, geschweige denn den Nachfolger eines Ausnahmewerks auf die Beine zu stellen.
Nach einer halben Stunde Anspielen kann ich allerdings sagen: Ich habe in meinen 18 Jahren bei diesem Magazin kaum einen Titel gesehen, der sich von einer Präsentation zur nächsten so dermaßen gesteigert hat, wie dieser. Ich erlebte den Einstieg ins Spiel, der mit einer eleganten Kamerafahrt beginnt. Aus der Luft verfolgen wir einem Lastwagen, der sich zu später Stunde der äußeren Grenze der verstrahlten Zone nähert. Der Schnitt zum Fahrer, der sich mit dem Spielcharakter Skiff auf der Ladefläche unterhält, die Ankunft am eingestürzten Zaun, der unser Eingang sein wird, und die Übergabe eines für die Mission wichtigen, urigen Gadgets… all das ist geradezu kinoreif eingefangen, die englischen Sprecher spielen das angenehm zurückhaltend.
Ein Spiel, das dich komplett verschluckt
Und dann bin ich auch schon drin. Nicht nur in der Zone, sondern auch bis zum Hals in der Atmosphäre dieser ausgesprochen gefährlichen, feindseligen Welt. Es spielt sich auf den Demo-Rechnern ausgesprochen flüssig (wer weiß, was da drinnen steckte!), die Welt ist detailverliebt, melancholisch dem Siechtum ausgeliefert. Immer wieder wird sie binnen Sekundenbruchteilen brandgefährlich, wenn man mal wieder vergaß eine rostige Gewindeschraube in den Bereich vor sich zu werfen, um tödliche Anomalien nicht mit dem Fuß zuerst zu entdecken. Auf jedem Meter schreit diese Welt, dass ich nicht hier sein sollte. Niemand sollte das.
Theoretisch hätte mir der spielbare Abschnitt der letztjährigen Version ähnliche Gefühle vermitteln können. Aber das ruckelte zu sehr, fühlte sich behäbig an, hellseherische Gegner gaben diesem von der wankelmütigen Technik überforderten Redakteur chancenlos den Rest. Es war ein bisschen Panik dabei - aber nicht die von der guten Sorte. Sondern die, die einen in ein kopfloses Huhn verwandelt, das wild durch die Gegend rennt, aussichtslos, irgendwo auch nur einmal Deckung vor dem unnachgiebigen Beschuss seiner Terminator-Feinde zu finden. Es war wirklich schlimm – und hatte mit dem, was ich letzte Woche sah, nicht im Geringsten was zu tun.
Das hier war Stalker, wie man sich daran erinnert. Sorgfältige Erkundung der Umgebung. Vorantasten, immer vorsichtig, nicht von einer Schwerkraftanomalie zerrissen zu werden. Und in Angst, von einem Bloodsucker als Beute gesehen zu werden. Game Director Ievgen Grygorovych bezeichnet den Tod in Stalker als wichtigen Teil des Lernerlebnisses, auch wenn das Spiel einen einfachen Modus haben wird, für all diejenigen, die es nur der Geschichte wegen spielen wollen. Gleichzeitig gibt er zu verstehen, dass er wohl im schwereren Modus die wahre Art sieht, dieses Spiel zu erleben. Die Zone sei nun mal gefährlich – und um das glaubwürdig rüberzubringen, ist eine gewisse Härte Voraussetzung.
Eines der ambitioniertesten Spiele des Jahres
Befürchtete ich letztes Jahr, GSC hätte seine Ambitionen im Vergleich zum Original an die Leine genommen, ist offensichtlich das Gegenteil der Fall. Die aus 20 Bereichen bestehende offene Welt wird nun nicht mehr durch Ladebildschirme unterbrochen. Neutrale, freundliche und feindliche Fraktionen existieren auf der Karte und sogar ihre Führung wechselt dynamisch, mancher Verbund löst sich sogar auf. Wohl auch als Folge eurer Taten, wie es in den Ausführungen des Designers klang. Die KI sei unterdessen laut Grygorovych insofern ungewöhnlich, dass die Spiel-Engine ihr keinerlei Informationen über den Aufenthaltsort des Spielenden gibt. Stattdessen analysiert sie Hinweise und trifft auf deren Basis Entscheidungen.
Die KI werde etwa niemals kopflos zu dem Leichenberg rennen, den ihr aus einer günstigen Ecke heraus gerade auftürmt, sondern dann lieber abwarten, weil die Gefahr doch zu offensichtlich ist. Allzu bequeme Stealth-Taktiken sollt ihr daher nicht anwenden können. In den meisten Fällen führt smartes Schleichen und gezieltes, stilles Ausschalten einzelner Soldaten dazu, dass ihr für einen späteren Kampf in eine bessere Position kommt. Aber da man der KI ihre Wege nicht vorgeben will, wird man einige seiner Stealth-Angewohnheiten hinterfragen müssen.
Für mich klang das alles wahnsinnig gut und die ersten 20 Minuten, die ich spielen konnte, gaben mir alles, was auf meinem Stalker-2-Wunschzettel stand. Intensives Umschauen und die Freiheit, einfach nur Bewohner der Zone zu sein, anstatt der Story zu folgen. Mein FOMO im Kampf mit Rucksack-Ballast-Sorgen, dieses ungesunde Gefühl, das einem den Hals zuschnürt, weil man die Luft eigentlich nicht atmen sollte. Dazu Gadget-Einsatz zum Lokalisieren von Artefakten und Paranoia in jede Richtung. Alles da, wo es hingehört. Es sieht wahnsinnig gut aus, läuft flüssig (wie gesagt: Keine Ahnung, auf was für einer GPU) und fühlt sich gut dabei an. Regelmäßig hätte ich gerne Screenshots gemacht, bis ich mich erinnerte, dass ich nicht am heimischen Rechner saß.
Und ja, trotz aller augenscheinlicher Politur endete ausgerechnet meine Session nach meinem ersten Bildschirmtod durch einen der unsichtbaren Bloodsucker mit einem korrumpierten Save-File. So ganz fertig ist das Spiel dann doch noch nicht. Mich konnte das nicht schocken. Bis dahin hatte ich ein Stalker 2 gespielt, wie ich es noch letzte Woche nicht zu hoffen gewagt hatte. Schön, dass es auch mal gute Nachrichten gibt.