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Star Wars: The Old Republic - Test

Wer braucht Freunde? Ich hab' Gefährten!

Hinweis: Tests zu MMOs am Starttag - oder gar noch davor - machen nur bedingt Sinn, diese Spiele entwicklen sich ja erst, wenn die Server voll sind. Daher "erst" jetzt, nach ausreichend Spielzeit, der Test zu Star Wars: The Old Republic mit einer Wertung.

Mein Schmuggler sammelt Poster von Katzenbabys, geht nie bei Rot über die Straße und würde jeden gefundenen Geldbeutel sofort ins Fundbüro tragen. Das war nicht so geplant. Wenigstens taugt mein Weichspül-Krimineller jetzt als prima Beleg dafür, weshalb Star Wars: The Old Republic zurzeit das beste lineare Einzelspieler-MMO am Markt ist. Linear? Einzelspieler? MMO? Ja, das lässt sich unter einen Hut bringen.

An den harten Fakten hat sich seit dem Ersten Test/Vorschau-Text von vor fast zwei Monaten nichts geändert. BioWare legte mit seinem ersten MMO einen furiosen Start hin - nicht zuletzt, weil man Vieles beim "ewigen" Platzhirsch World of Warcraft abgeguckt hat. Die Spielmechanik hält sich an die üblichen Standards und kombiniert ein solides Kampfsystem mit der Innovationsfreude eines Sparkassenbeamten. Die Grafik ist höchstens leicht über Durchschnitt und Cartoon-artig, aber hübsch anzusehen. Das Star Wars-Universum wurde stimmungsvoll umgesetzt, aber Lizenzen alleine locken heute eh keinen Wookie mehr hinterm Baum hervor. Was den Herausforderer aus dem Stand auf Augenhöhe mit dem Genrekönig katapultiert, sind die individuellen Klassenstorys und die aufwendig vertonten Dialogsequenzen im typischen BioWare-Stil. Hier legt SW:TOR die Latte ein enormes Stück höher.

Doch zurück zu meinem Schmuggler. Wie wurde aus Han Solo ein Hans Wurst? Und was hat das mit dem "linearen Einzelspieler-MMO" zu tun? Zur Erklärung ist ein milder Spoiler nötig. Sobald ihr als Verfechter des illegalen Warentransports ins Star Wars-Universum aufbrecht, klaut euch ein hinterhältiger Dieb euer Schiff. Dieser unsympathische Zeitgenosse giert nach Geld und Macht. Er betrügt seine Auftraggeber. Er verführt reihenweise Frauen und treibt sie zu Verrat und Mord. Er handelt mal mit der Republik, mal mit dem Imperium. Loyalität kennt er nicht. Er ist rücksichtslos, verschlagen, zieht im Hintergrund die Fäden und macht sich feige aus dem Staub, sobald es brenzlig wird. Mit anderen Worten: ein leuchtendes Vorbild für meinen Schmuggler.

Aber Pustekuchen. Man arbeitet ja für die Republik. Hier schwingt General Proper seinen moralischen Wischmopp und tadelt jeden Fleck auf eurer weißen Weste. Eure NPC-Gefährten halten sowieso nichts vom Meucheln unschuldiger Zivilisten. Profitgier? Feigheit? Dafür kassiert man negative Zuneigungspunkte. Wirklich fies und frei fühlt man sich nur, wenn man auf solche Gängelei und sein Bauchgefühl pfeift. Das ist gar nicht so einfach.

Die Klassenstorys in Star Wars: The Old Republic sind zweifellos interessanter als alles, was die gesamte Konkurrenz bislang zustande bekommen hat. Während ihr euch in den instanziierten Storybereichen (Phasen) tummelt, entfaltet sich vor eurer Nase ein galaxieweites Netz aus Krieg, Politik und Einzelschicksalen. Leider gehen in den Dialogsequenzen häufiger die Grautöne flöten, weil die drei vorgegebenen Antwortmöglichkeiten ziemlich geradlinig auf Schwarz oder Weiß zulaufen. Entweder ihr lasst Unschuldige über die Klinge springen oder ihr spielt Mutter Theresa. Klar, musste so sein, der Spielmechanik zuliebe. Aber ein klein wenig mehr erzählerische Finesse bei moralisch verzwickten Entscheidungen hätte den Dialogen gut getan. Wäre mein Schmuggler zum Beispiel stets der dunklen Seite gefolgt, hätte sich die Erzählung einfach "falsch" angefühlt. Als ob man in Deus Ex auf das Schleichen verzichtet und sich mit der MG im Anschlag durch die Flure metzelt. Kann man machen. Es passt halt nicht so recht. Für mich wenigstens.

Die spielerischen Konsequenzen eurer Dialogwahl sind weit weniger relevant als befürchtet - oder vielleicht erhofft? An der linearen Schnitzeljagd von Planet zu Planet ändert sich durch eure Entscheidungen rein gar nichts. Ab und zu runzelt ein NPC skeptisch die Augenbraue. Manchmal erleichtert ihr euch das Leben, wenn ihr den dunklen Pfad wählt. Ihr verpasst als Bösewichte hier und da einen zusätzlichen Dialog oder bekommt später keine schmalzige Dankesmail von geretteten Zivilisten. Mehr passiert nicht. Das Imperium schmeißt keinen Sith raus, weil er alten Damen über die Straße hilft und die Republik setzt keinen Soldaten wegen Selbstjustiz und Mord vor die Tür. Negative Zuneigungspunkte bei den Gefährten macht man einfach mit Geschenken wieder wett. Punkte auf der hellen und dunklen Seite könnt ihr mit der Crew-Fähigkeit "Diplomatie" sammeln oder in täglich wiederholbaren Flashpoints farmen. Die einzige wirkliche Veränderung geschieht in eurem Kopf. Auf Triumph folgt Reue, auf Zorn folgt Vergebung.

Ihr haltet inne und wägt eure Entscheidungen ab. Nicht nur weil euch das Punkte bringt, sondern weil es die Identität eures Charakters bestimmt. Euer Gefühl für ihn.

Star Wars: The Old Republic - Kaon wird belagert

Das ist der geniale Trick bei der Fusion zwischen BioWares Dialogsystem und einem MMO. Ihr haltet inne und wägt eure Entscheidungen ab. Nicht nur weil euch das Punkte bringt, sondern weil es die Identität eures Charakters bestimmt. Euer Gefühl für ihn. Die Freiheiten des Handlungsverlaufs bleiben reine Illusion. Selbst mit eurem eigenen Raumschiff könnt ihr die Klassenstory immer nur auf bestimmten Planeten fortsetzen und werdet außerdem durch die Levelanforderungen auf der Spur gehalten. Trotzdem möchte ich dem Spiel daraus keinen Strick drehen, denn bis zum Maximallevel von 50 werdet ihr über hundert Stunden bestens bespaßt und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Und das bei jeder Klasse aufs Neue. Als Sith-Krieger in Ausbildung schlachtet ihr euch rücksichtslos durch euren Jahrgang, um dann von eurem Meister auf das Universum losgelassen zu werden. Als Jedi ist es gar nicht so einfach, der hellen Seite treu zu bleiben, wenn überall in der Republik Korruption und Intrigen lauern. Bei einem Einzelspieler-Titel würde man solche individuellen Handlungsstränge erwarten. Bei einem MMO muss man vor derart reichhaltigem Solo-Content seinen Hut ziehen.

Da verzeiht man sogar, dass viele Missionen das Etikett "08/15" tragen. Hier ein paar Monster töten, dort ein paar Gegenstände sammeln, zwischendurch einige Maschinen deaktivieren, Postbote spielen, NPCs eskortieren oder Hinterhalte überleben. Alles nicht neu, aber diesmal von einer schlüssigen Handlung eingeklammert. Das steigert die Motivation erheblich.

Ein wenig schade ist, dass einige Quests zwar auf eure Klasse, nicht aber auf eure Spezialisierung zugeschnitten sind. Der Schmuggler zum Beispiel wird ab Level 10 entweder zum Revolverhelden (Fernkampfschaden) oder zum Schurken. Mein Haudegen wählte letzteren Weg. Als Schurke kann er sich unsichtbar machen. Er greift aus dem Hinterhalt an und verdrückt sich danach wieder in den Schatten. Wenn also eine Mission lautet: "Infiltriere den Stützpunkt" sollte er in seinem Element sein, oder? Falsch! Denn Boni gibt es nur für getötete Soldaten und nicht für erfolgreiches Schleichen. Wer nicht kämpft, verschenkt Erfahrungspunkte und Belohnungen.

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Frank Erik Walter: Tagsüber arbeitet Frank als freier Journalist. Nachts jagt er seit 2010 flüchtige MMOs für Eurogamer.de und die MMO PRO. Skittles und Tetris sind sein Kryptonit.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

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