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StarCraft 2: Heart of the Swarm - Balance ist alles

Insektenhotels, Viperzungen, Transformers, Orakel und entkernte Mutterschiffe. Könnte auch ein Film von Tim Burton werden.

Mag die Kampagne von StarCraft 2: Heart of the Swarm ein feiner Klecks Butter sein, der Mehrspieler-Modus ist und bleibt das Vollkornbrot darunter. Sarah 'Königin der Klingen' Kerrigans Schicksal kann noch so spannend werden - für die Freizeitstrategen und Hardcore-eSportler ist entscheidend, was sich Blizzard an neuen Einheiten und Features für den Mehrspieler-Modus hat einfallen lassen.

Nach ein paar Runden in der geschlossenen Beta lässt sich absehen, dass die Neuerungen die volle Bandbreite von subtil bis brachial abdecken - abhängig von eurer bevorzugten Fraktion und Spielweise. Als bekennender Zerg-Fan hatte ich am Mehrspieler-Part von Heart of the Swarm nicht viel auszusetzen. Im offiziellen Forum wogen freilich die Diskussionen zum Thema Balancing munter hin und her - jeder findet "seine" Fraktion im Nachteil und versucht das Zünglein der Waage in seine Richtung zu ziehen. Blizzard wird einige Mühe haben, hier ein Gleichgewicht zu finden, das allen gerecht wird.

Mit Schwarmwirten und ihrer Schrecken-Brut blockiert man elegant Engpässe.

Spieler der Protoss zum Beispiel freuen sich über mehr Wumms in der Luft, während die Hellions der Terraner faktisch durch die Kampfhellions ersetzt werden. Abgesehen von den Protoss mit ihrem neuen Mutterschiffkern und den Orakeln profitieren in meinen Augen aber tatsächlich die Zerg besonders deutlich von der Erweiterung. Ihre Vipern und Schwarmwirte sind echte Sahnestücke: Simpel in der Anwendung und für extrem unterschiedliche Taktiken zu gebrauchen. Ansonsten ist es schwierig, die diversen Änderungen, Streichungen und Wieder-Einführungen von Einheiten während der bisherigen geschlossenen Beta zu verfolgen oder gar zusammenzufassen. Hier schraubt Blizzard von Patch zu Patch an den Feinheiten und man verliert schnell den Überblick.

Der Schwarmwirt machte mir jedenfalls auf Seiten der Zerg besonders Spaß und bescherte mir im Mehrspieler-Modus zum ersten Mal das Gefühl, die Möglichkeiten der neuen Einheiten richtig auszunutzen. Ich parke ein paar der wandelnden Insektenhotels in der Nähe einer feindlichen Basis und lasse sie sich eingraben. Von da an spucken die Schwarmwirte regelmäßig 'Schrecken' aus, die zum vorher festgelegten Wegpunkt krabbeln (hat was von einem nass gewordenen 'Gremlin'). Ich darf mich kurz zurücklehnen und genießen, wie mein Gegner verzweifelt versucht, dem konstanten Strom billiger Brut Einhalt zu gebieten. Oder man benutzt die Schwarmwirte, um schnell ein paar Dutzend kostenfreier Nahkämpfer ins Feld zu werfen, wenn ein Angriff bevorsteht. Damit bindet man die feindlichen Bodeneinheiten, während die eigenen Fernkämpfer in aller Seelenruhe ihr tödliches Werk verrichten. Gegenüber Einheiten mit Flächenschaden oder unerreichbare Lufteinheiten sehen die erzeugten Schrecken jedoch alt aus und man muss aufpassen, dass der vergrabene Schwarmwirt nicht selbst zur Beute wird, sollte der Feind ihn entdecken.

Get over here! Die Viper zieht feindliche Einheiten in Reichweite.

Auch die Viper der Zerg hat einige hübsche Tricks in petto. Ihr 'Schleier' setzt gegnerische Waffen außer Gefecht und kann im Zusammenspiel mit dem 'Pilzbefall' des Verseuchers die Truppen des Feindes zu hilflosen Opfern eurer Zerglinge degradieren. Immer wieder für einen Lacher gut ist 'Verschleppen'. Damit zieht die Viper eine beliebige feindliche Einheit per Klebezunge zu sich heran - diese darf ruhig auch weiter wegstehen. Eine Viper, über einer Einheit eurer starken Nahkämpfer schwebend, eignet sich prima dazu, große Pötte des Gegners direkt in die Mäuler eurer Truppen zu ziehen. So zerlegt man Verteidigungsstellungen elegant. Zu guter Letzt stärken sich angeschlagene Vipern auf Kosten eurer eigenen Gebäude, was ihre Langlebigkeit erhöht.

Fliegende Kerne und feurige Transformer

Der Mutterschiffkern aufseiten der Protoss ist extrem nützlich und stellt einen vor die Wahl, auf die Vorteile eines "fertigen" Mutterschiffs zugunsten einiger schlagkräftiger Features des nackten Kerns zu verzichten. Ist das Mutterschiff einmal im Feld, darf man nämlich keine Mutterschiffkerne mehr bauen. Und ich muss zugeben, dass ich nach einigen Testläufen dem Kern den Vorzug gegeben habe. Das Teil ist nicht nur günstig (kostet ein Viertel des Mutterschiffs) und hilft durch 'Klarsicht' beim Aufspüren getarnter Einheiten, es kann einen Nexus auch per 'Photonenüberladung' in eine mächtige Strahlenkanone verwandeln. Der Albtraum aller Spieler, die sich auf frühe Offensiven spezialisiert haben. Zudem beherrscht der Kern "Massenrückruf" und teleportiert damit eure Truppen selbst im härtesten Gefecht in Sicherheit - ideal, um schnelle Schläge gegen feindliche Basen durchzuführen und abzuhauen, bevor der Gegner Gegenmaßnahmen ergreift.

Der Mutterschiffkern aufseiten der Protoss ist extrem nützlich und stellt einen vor die Wahl, auf die Vorteile eines "fertigen" Mutterschiffs zugunsten einiger schlagkräftiger Features des nackten Kerns zu verzichten.

Ein Tempest und ein Orakel der Protoss zerlegen einen Zerg-Außenposten.

Mit der neuen Protoss-Lufteinheit Tempest wurde ich nicht ganz warm. Die Flieger schlagen sich ordentlich gegen Distanzziele am Boden und in der Luft, haben vielleicht eine etwas zu niedrige Schuss-Frequenz. Vor allem fehlt mir bei dem Teil die Finesse. Tempests zementieren die Lufthoheit, eröffnen aber keine neuen Möglichkeiten. Außerdem sind die Teile teurer als Phasengleiter, die mir in den meisten Situationen lieber sind. Ganz zu schweigen von den Carriern - die wollte Blizzard zuerst mit der Erweiterung aus dem Spiel nehmen, ruderte jedoch nach Protesten aus der Community zurück. Das lässt die Tempest in der Praxis ziemlich blass aussehen.

Das Orakel der Protoss hat mir hingegen ganz gut gefallen. Nicht nur ist das fliegende Auge flott unterwegs und ideal zum Aufspüren getarnter Einheiten - es brutzelt mit seinem Pulsarstrahl feindliche Arbeiter wie Popcorn. Ein Orakel über einem schlecht bewachten feindlichen Außenposten erinnert mich ein bisschen an ein sadistisches Kind, das mit einer Lupe einen Ameisenhaufen traktiert. Selbst gegen dicke Brocken sind Orakel in Gruppen effektiv. Allerdings ist ihre Panzerung lachhaft. Sie werden im Verlauf einer Runde schnell vom Himmel geholt, sofern man sich nicht rechtzeitig um die Luftabwehr des Feindes kümmert. Verglichen zu früheren Versionen der Beta hat das Orakel übrigens stark Federn lassen müssen. Zum Beispiel wurde die Fähigkeit, Einheiten per Zeit-Manipulation zu verlangsamen, in einem aktuellen Patch wieder entfernt. Früher konnte das Orakel sogar Kraftfelder um Rohstoff-Quellen errichten, um die Produktionszyklen des Feindes zu stören. Wie gesagt: Blizzard schraubt ständig an Heart of the Swarm. Ironisch, dass nicht einmal ein Blick in die Kristallkugel hilft, die zukünftigen Änderungen des Orakels vorherzusehen.

Im Vergleich zu den anderen Fraktionen sind die neuen Einheiten der Terraner aktuell etwas konservativ geraten. Mit dem Kampfhellion gibt es eine neue Einheit für Transformers-Fans. Im Hellion-Modus sind die Teile schnell an der Front unterwegs und heizen Feinden mit ihren Flammenstrahlen ein, stecken aber nicht ganz so viele Treffer weg. Ein typischer Hellion also, der unter die Kategorie "Leicht-Mechanisch" fällt und nicht von Medivacs geheilt werden kann. Anders sieht es aus, wenn man den Kampfhellion-Modus aktiviert. Dann gilt die Einheit als "Leicht-Biologisch-Mechanisch" und wird automatisch geheilt. Außerdem haben Kampfhellions 50 Prozent mehr Trefferpunkte und tragen weiterhin den Flammenwerfer auf dem Rücken. Mit diesem feuern sie jetzt jedoch keine gerade Linie, sondern decken den Nahbereich großflächig ab. Zudem sind sie wesentlich langsamer als ihre fahrenden Kollegen. Trotzdem eine elegante Lösung, um früh im Gefecht einige schlagkräftige Soldaten ins feindliche Terrain zu schicken, die schnell wieder abhauen können, wenn es brenzlig wird.

Feuer und Flamme für Transformers? Dann freut euch auf den Kampfhellion.

Die Arachnomine ist ein weiteres neues Spielzeug für Taktiker auf Terraner-Seite. Das gute Stück buddelt sich an einem beliebigen Ort ein und fungiert dann als automatischer Raketenturm. Die abgeschossenen Wächterraketen sind zielsuchend und richten sowohl direkten- als auch Splash-Schaden an. Die lange Nachladezeit von 40 Sekunden ist allerdings ein Problem. Vor allem bei einer Belagerung, wenn konstant nachströmende Feind-Einheiten an einem Engpass aufgehalten werden sollen. Doch eine Handvoll dieser Babys, an der richtigen Stelle vergraben, kann einen verheerenden Raketen-Erstschlag gegen eine Armada anfliegender Lufteinheiten oder schwerer Bodentruppen durchführen.

Übung macht den Großmeister

All die schönen neuen Spielzeuge bringen jedoch nichts, wenn man die Grundlagen nicht beherrscht. Um Anfängern den Einstieg weiter zu erleichtern, serviert Blizzard mit der Erweiterung einen überarbeiteten Trainingsmodus, der mich aber bis jetzt nicht recht überzeugt hat. Die Missionsziele und Herausforderungen am oberen Bildrand ändern sich je nach Spielsituation und sollen euch als Anhaltspunkte für die sinnvollste Aktion dienen. Sobald ihr mit der Maus drüberfahrt, gibt es zusätzliche Infos. Als Anleitung von Null zu Großmeister sind sie jedoch nicht zu gebrauchen - da lernt man mehr während der Kampagne oder durch einen Sprung ins kalte Wasser.

Wesentlich nützlicher finde ich die neue Replay-Funktion. Schon zuvor war es außerordentlich lehrreich, vergangene Partien zu analysieren und aus eigenen Fehlern zu lernen. Jetzt ist es sogar möglich, an jedem Punkt eines Wiederholung aktiv einzusteigen und dabei in die Haut eines der beteiligten Kontrahenten zu schlüpfen. Schaut man sich ein Replay mit Freunden an, darf dann jeder eine beliebige Rolle übernehmen. Warum also nicht einmal die Seiten vertauschen und sehen, ob der Kumpel das Gefecht besser gemeistert hätte als man selbst? Außerdem ist dieses Feature jetzt prima geeignet, um gewisse Abläufe zu üben oder sich gemeinsame Strategien einzubläuen. Leider fehlt die Funktion, dass die KI den menschlichen Gegenpart übernimmt, wenn grad kein Kollege zur Hand ist. So hätte man auch allein diverse Szenarios durchprobieren können. Schaut ihr euch jedoch eine Partie an, in der ihr gegen die KI gespielt habt, könnt ihr euch an jedem Punkt einklinken und das Match gegen den Computer fortsetzen. Ein Seitenwechsel funktioniert leider nicht. Trotzdem steckt im Replay-Feature unheimlich viel Potenzial - soviel ist sicher.

Blizzard hat noch ein paar weiterer Asse im Ärmel, Stichwort 'Stufensystem', 'Clansystem' und 'Interface-Verbesserungen'. Die Menüs sind jetzt tatsächlich etwas sinniger aufgebaut, man braucht weniger Klicks. Außerdem gibt es ein paar neue Statistiken zu durchforsten. Das Clansystem konnte ich noch nicht ausprobieren - das sehe ich mir beizeiten noch mal genauer an. Das neue Stufensystem ist ein nettes Zuckerl, bei dem ihr während der Matches Erfahrungspunkte für alle möglichen Aktionen sammelt und zur Belohnung Decals oder Porträts erhaltet. Nichts Weltbewegendes. Eine kleine Extra-Motivation, durch die man sich nebenbei vor anderen Spielern mit tollen Avatar-Bildchen aufplustern kann.

Obwohl es noch etwas dauern dürfte, bis Blizzard das Feintuning der neuen Einheiten und Features abgeschlossen hat, lässt sich zumindest eines mit Sicherheit sagen: Der Mehrspielermodus wird durch Heart of the Swarm insgesamt eher subtil erweitert, denn komplett über den Haufen geworfen. Groß Umdenken wird kein Profi müssen und Gamebreaker habe ich aktuell auch nirgends ausgemacht. Etwas anderes erwarte ich aber auch nicht von Blizzard - schließlich ist eine ausgewogene Balance in StarCraft 2 deren Kapital. Sehr neugierig bin ich als nächstes auf die Kampagne. Die Evolution der Zerg zwischen den Missionen zu beeinflussen, klingt verführerisch. Bis man sich davon ein Bild machen kann, bleibt genügend Zeit, ein paar alte Scharten per Replay auszuwetzen. Sobald die Kumpels online gehen, fordere ich Revanche.

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