Stardew Valley - Test
Besser spät als nie: Dieses Spiel ist Crack!
Das hätte echt in die Hose gehen können. Diese traumhafte Fusion der besten Dinge von Harvest Moon - eine große Portion davon -, Terraria und Animal Crossing hätte mit Leichtigkeit mein komplettes Privatleben ruinieren können. Im Grunde hätte Ein-Mann-Entwickler Eric Barone, alias ConcerendApe, sich nur noch das Echtzeitelement von Animal Crossing abschauen müssen, und ich würde wohl gar nicht mehr von Stardew Valley loskommen. Für nichts und niemanden. Dafür bin ich dankbar, Martin ist das auch und meine Frau sowieso.
Schwer zu beschreiben, was dieser Mix aus Farmspiel, Social-Life-Sim, Kreativkasten und Rollenspiel so gut und richtig macht. Oder auch nicht. Nehmt euch eimerweise Charme, schöne Musik und einen befriedigenden Kern-Loop aus Selbstversorgerschaft, Abenteuer und Entdeckung und ihr wisst im Grunde, wohin die Reise geht. Wann immer euch irgendwas zu langweilig wird, macht eben etwas anderes. Und es gibt so viel zu tun: Alles macht Spaß, alles lohnt sich und wirkt sich auf euren vor dem grauen Büroalltag flüchtenden Pixel-Avatar aus.
Gartenarbeit schärft eure Skills beim Pflanzengießen und Harken, unter Tage, auf der Suche nach Erz wird euer Spitzhackenbizeps stärker und auch in Disziplinen wie Angeln, Holzfällen und Kampf steigt ihr im Schweiße eures Angesichts bis auf Stufe 10 auf. Jedes Mal, wenn das passiert, setzt es eine Belohnung. Und sei es nur eine neue Rute, die beim Angelladen auf eure gesteigerte Fingerfertigkeit wartet, oder ein Crafting-Rezept für diese Ahornsirup-Zapfanlage, die ihr unbedingt mal ausprobieren müsst und dann ewig vergesst. Erwähnte ich bereits, dass es so viel zu tun gibt?
Das Wichtige dabei ist jedoch, dass ihr euch niemals genötigt fühlt, gewisse Aspekte besonders auszuloten. Nehmt den sozialen Part zum Beispiel: Bis tief in meinen ersten Sommer hinein, eigentlich noch darüber hinaus, waren sich die zahllosen netten Dorfbewohner wohl noch nicht einig, ob ich überhaupt sprechen konnte und ob das rigorose Abholzen und Planieren des Grund und Boden vor meiner geerbten Farm Anzeichen einer möglicherweise nicht ganz ungefährlichen Zwangsneurose ist. Ich hätte mich schon lange daran machen können, den Geschenkevorlieben der netten Rothaarigen auf den Grund zu gehen, um meinen Freundschaftslevel mit ihr zu steigern. So käme mein Burnout-Kandidat vielleicht doch noch zu einem erfüllten Lebensabend mit angetrauter besserer Hälfte (im Gegensatz zu Harvest Moon geht das Spiel danach weiter).
Alleine schon, weil zu Beginn das Geld knapp ist - immerhin wirft euch hier kein Halsabschneider wie Tom Nook schon am ersten Tag mit einem Schleudertrauma in die Schuldenspirale, danke dafür! -, habe ich mich noch immer nicht so wirklich mit der Gestaltung meines Hauses befasst. Im ersten Jahr ist "Mach-was-du-willst" angesagt - auch weil ihr jede der haargenau 28 Spieltage andauernden Jahreszeiten gewissermaßen neu kennenlernen müsst. In jedem Quartal wächst schließlich etwas anderes und hier ein bisschen zu min-maxen, um mit möglichst wenig Spielarbeit genug Kapital aus dem Herangezogenen zu ziehen, das ist das Spiel-im-Spiel, das das erste Jahr definiert.
Erst danach gelangt man auf die nächste Ebene, sieht vorsichtige Freundschaften heranwachsen, weil man mehr an den Festivitäten teilnimmt und Dinge mit seinen Nachbarn erlebt. Irgendwann ist genügend Geld für einen Stall für Hühner oder Schafe übrig, wenn man nicht schon längst das meiste Geld mit der Fischerei verdient. Und nebenher warten noch die übergreifenden Klischees aller US-Jugendfilme darauf, dass ihr euch mit ihnen befasst: das wiederaufzubauende Gemeindezentrum (in dem natürlich Mysteriöses vor sich geht) und die böse Supermarktkette, die nach Stardew Valley expandiert und die Naturbelassenheit des Tales und die Existenz der Händler dort bedroht.
Doch auch wirklich abgehobene Dinge können hier passieren, die einen wirklich auf dem falschen Fuß erwischen. Alleine wenn ich euch erzählen würde, was so alles in euren Ställen herumwuseln kann, grenzte das an Spielspaßtotschlag ersten Grades. Dieses Spiel macht so viele überraschende Sachen, dass ihr nie die Chance habt, in Routine zu verfallen. So sehr ihr auch jeden Tag euren Blumenkohl wässert (kein Euphemismus für irgendwas, das ist so gemeint, wie es da steht), jeden Tag an "eurer" Stelle am See die Rute auspackt oder euch tagelang bis in die Nacht in die Tiefe der Minen grabt, bis sich eure Figur ihren Schlaf einfach holt und euch der lokale Obdachlose nach Hause schleppt. Mehr drin als in diesem Spiel und zufriedener dabei kann man kaum sein.
Das ist auch das Gefühl, das einen überkommt, wenn man in den Momenten zwischen seinen Spielsitzungen unentwegt daran denkt, was man die kommenden Spieltage mit seiner Stardew-Valley-Zeit so anstellen will. Dieses Ein-Mann-Projekt beruhigt, macht beinahe selig. Es ist das Spieläquivalent zu den Stadtflucht- und Selbstverwirklichungsmagazinen, die aktuell so aus den Magazinregalen sprießen wie der Grünkohl aus dem Beet vor meinem virtuellen Hof. Aber während man dort nur blättert, staunt und sich anschließend sagt, dass das alles ohnehin nicht umsetzbar ist, passiert hier etwas mehr. Hier holt man sich einen kleinen verspielten Vorschuss auf die Ursprünglichkeit und Echtheit, die einem als Städter so manches Mal abgeht, und bekommt so richtig Lust, sich sein eigenes Stardew Valley zu suchen. Schon jetzt eines der besten Spiele dieses Jahres.