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State of Decay - Test

Red Dead Redemption mit Zombies hatten wir zwar schon – aber das hier ist besser.

Zu sagen, ich hätte hiermit nicht gerechnet, wäre milde untertrieben. Da schart sich um World-of-Warcrafts Chef-Programmierer Jeff Strain ein kleines Studio namens Undead Labs, um einen Zombie-Titel für Xbox LIVE Arcade zu machen - für schmales Geld noch dazu - und dann das! Nicht, dass State of Decay euer Bild von Open-World-Titeln Rockstar'scher Prägung komplett überpinseln würde. Aber es wendet deren Regeln dermaßen elegant und einnehmend auf das Szenario des Zombie-Survival an, dass man sich schon wundern muss, dass diese komplette zombiezerfressene Konsolengeneration nicht schon jemand anderes auf die gleiche Idee gekommen ist.

Auch die Genres übergreifend sieht es nicht besser aus, dürfen sich doch Activision (The Walking Dead - Survival Instinct), Techland (Zombies im Urlaub), Name vergessen (WarZ) und sogar Capcom (Zombies im Kaufhaus) angesichts des hier zu schmalen 20 Euro Gebotenen gerne vor Scham die Rollkrägen über den Kopf ziehen und das obere Ende zunähen. Das hier ist schlicht das beste Spiel zu diesem Thema, sofern man den Schritt zum nicht komplett vergleichbaren DayZ nicht wagen möchte.

Und dann gab's keines mehr

Der Kniff war dabei, das Spiel von der richtigen Seite aus anzugehen: Anstatt einen Shooter, einen Ego-Slasher oder eine Art Final Fight in 3D als Basis zu nehmen und ihn um Survival-Elemente zu ergänzen, stellt Undead Labs die offene Welt und ihre Regeln an erster Stelle. Eine Gemeinde, vom Klima und Look her irgendwo zwischen US-Südstaaten und deren Mittlerem Westen, Tonnen an Zombies, die sich teilweise in Horden zusammenrotten, und mittendrin eine gute Anzahl Überlebender. Zu Beginn steuert man nur Marcus, der mit seinem Kumpel Ed eigentlich nur in den angrenzenden Bergen ein wenig wandern wollte, doch schon bald hilft man anderen aus der Patsche, die - sobald man ihr Vertrauen und sie zum "Freund" gewinnt - ebenfalls als spielbare Figuren zur Verfügung stehen.

Das Stealth-System ist eingängig und zuverlässig. Bis ihr Krach macht und auf bloße Körperkraft angewiesen seid.

Und so schart man anfangs in einer alten Kirche ein kleines Rudel Überlebender um sich und macht sich Gedanken, wie man den Status quo vernünftig getakteter Körperfunktionen der Gruppe am besten aufrechterhält. Zunächst durchforstet man dazu die fast durchgängig betretbaren Wohnhäuser, Geschäfte und Diners der umliegenden Dorfschaft. Ob man dabei schleichend den Untoten in den Rücken fällt, sie komplett meidet oder mit improvisierten Schalldämpfern die Schusswaffen sprechen lässt, bleibt einem selbst überlassen. Die Möglichkeiten sind in jedem Fall da und wer will, spielt mit einem der zahlreichen, aber nicht neu spawnenden Autos Zombie-Carmageddon, bis der Zielbereich frei ist. Nicht elegant, aber auch effektiv.

In jedem Fall bleibt eure Lautstärke immer ein entscheidender Faktor. Wer zu Fuß eine ungedämpfte Waffe abfeuert, während in der Seitenstraße eine Zombiehorde vorbeischlurft, hat ein großes Problem. Und auch verschlossene Türen gibt es immer wieder, die mit der Schulter aufzubrechen ebenfalls ein gewisses Risiko birgt, von einer Bande Untoter entdeckt zu werden. Das setzt sich auch im Innern der Häuser fort. Während ihr Schränke, Kommoden und Regale nach verwertbaren Gegenständen durchsucht, könnt ihr entweder langsam und leise vorgehen, oder das Gewühle auf Tastendruck beschleunigen, wobei natürlich schon einmal etwas lautstark zu Bruch geht.

Äh ... wow!?"

In einem ordentlich belagerten Haus musste ich mich wegen einer Unachtsamkeit schon einmal ins Obergeschoss zurückziehen. Auch dort drohte ich allerdings der Lage nicht Herr zu werden, was daran liegt, dass die State-of-Decay-Überlebenden nach drei bis vier getöteten Zombies keuchen wie ein kaputter Blasebalg. Und ist die Ausdauer-Leiste erst am unteren Ende angelangt, ist auch sprinten nicht mehr möglich, was angesichts der recht agilen Ghoule schnell zur Todesursache Nummer eins wird. Am Ende musste ich jedenfalls blind aus dem Fenster des ersten Stocks springen, um den Menschenfressern zu entkommen. Ein großartiger Moment, der mir so noch in keinem Open-World-Titel untergekommen ist. Mit letzter Mühe und auf dem letzten Bisschen Ausdauer erreichte ich die rettende Kirche, wo ich mich wieder zusammenflicken ließ.

Die Figuren ermüden im Verlauf des beschleunigten Tag-Nacht-Zyklus' und büßen an Ausdauer-Kapazität ein.

Die exzellente Musik stammt aus der Feder des ebenso exzellenten Jesper Kyd.

Beim eigentlichen Kniff sind wir ja noch nicht angekommen: Die Figuren ermüden im Verlauf des beschleunigten Tag-Nacht-Zyklus' und büßen an Ausdauer-Kapazität ein. Dann müsst ihr notgedrungen zu jemand anderem wechseln, wollt ihr das Leben eures ermatteten Star-Überlebenden nicht aufs Spiel setzen. Auch Verletzungen stellen ein echtes Handicap dar und müssen für eine Weile auskuriert werden, was nicht mit der Einnahme eines bestimmten Items passiert, sondern je nach Ausstattung eurer Basis über einen bestimmten Zeitraum geschieht. Dieses Element zu vernachlässigen, kann die ganze Gemeinde dezimieren, denn der Tod eines Charakters in State of Decay ist permanent.

Da jede Figur eine ganze Reihe Charakterwerte besitzt, die man durch einfache Anwendung steigert - wer viel sprintet, kann später länger rennen und kämpfen; wer viel kämpft, landet schneller tödliche Treffer - entwickelt sich schnell ein interessanter Zyklus, der schlicht und ergreifend gut funktioniert. Natürlich bestimmt zu einem gewissen Teil eure bevorzugte Spielweise die Beschaffenheit eurer Figuren, sodass bei gleichmäßiger Verteilung fast alle alles gleich gut können. Aber ein bisschen darf und muss man auch spezialisieren, wenn zum Beispiel in meinem Fall Maya Torres gut mit Gewehren umgehen kann und Marcus mein Mann für stumpfe Kopftraumata ist. Das Personal ist die wichtigste Ressource eurer kleinen Enklave.

Deins = meins

Das Ressourcen-Management zieht sich durch alle Bereiche und betrifft weit mehr als die Überlegung, ob man für bestimmte Feinde nun Munition opfert oder nicht. Eure Basis verbraucht je nach Bewohnerstand alle 24 Echtzeit-Stunden eine gewisse Menge Nahrung, Treibstoff, Baumaterial und Munition, die mit den Erzeugnissen eurer gebauten Einrichtungen verrechnet werden. Je nachdem, ob ihr auf dem knapp bemessenen Grundstücksraum Küche, Schlafsaal, Lager, Trainingsraum oder Werkstatt errichtet habt (weitere folgen später), fällt eure tägliche Bilanz unterschiedlich aus. Andernorts findet ihr Rucksäcke voller wertvoller Materialen, die zu schwer sind, um mehr als einen zu tragen. Funkt ihr einen Kollegen herbei, der unter Umständen dabei draufgeht, oder macht ihr selbst einen zweiten Run? Oder belasst ihr die Beute sogar in dem Gebäude, um hier einen Außenposten zu errichten, der als Safe-House dient und euch täglich eine gewisse Menge der hier eingelagerten Dinge spendiert? Ständig verschieben sich in State of Decay eure Prioritäten.

Das Ressourcen-Management zieht sich durch alle Bereiche und betrifft weit mehr als die Überlegung, ob man für bestimmte Feinde nun Munition opfert oder nicht.

Die Welt ist überschaubar, aber dafür randvoll mit betretbaren Gebäuden. Rechnet mit gut 20 Stunden Spielzeit.

Forciert wird das noch dadurch, dass sich eure Karte unentwegt mit neuen Missionszielen füllt. Mal ist einer eurer Freunde entlaufen, mal streiten sich Überlebende in der Basis, weil einer mit seiner miesen Laune das Klima vergiftet. Hier machen sich dann zwar erste Open-Worlditis-Symptome bemerkbar, wenn die Lösung für solche Probleme häufig die gleiche ist oder man regelmäßig verschiedenen Nachbarn in häufig beinahe identischen Wohnhäusern hilft, einer Zombie-Belagerung standzuhalten. Aber es sagt trotzdem schon viel über das Spiel, dass ich trotzdem nur sehr, sehr langsam in der Kampagne vorangekommen bin, weil Undead Labs bei mir offensichtlich ein massives Helfersyndrom auslöste.

Irgendwann war es an der Zeit, umzuziehen. Und das geschah nur schweren Herzens, aber die nicht nachwachsenden Ressourcen im Kirchendörfchen waren erschöpft und das Gotteshaus erlaubte es nur, vier zusätzliche Einrichtungen zu bauen. Meine zwölfköpfige Gruppe blieb ohne Trainings-Raum hinter ihren Möglichkeiten zurück und viele meiner Ressourcen verdarben ungenutzt, weil ich einfach nicht genügend Lagerraum hatte. Das große Speditionsgebäude in der nahen Stadt Marshall bot aber ein tolles neues Zuhause voller neuer Chancen, wodurch die Moral sich schnell steigerte. Zwei warme Mahlzeiten täglich in einem extra eingerichteten Dinner-Raum einnehmen zu können, kann durchaus Wunder wirken.

Ich habe noch nicht einmal einen Garten - auch beim Ausbau der Basis muss man Prioritäten setzen.

Dennoch provoziert State of Decay nicht an allen Fronten tosenden Applaus. Ich hätte mir beinahe gewünscht, dass das Spiel meine Figuren noch erbarmungsloser tötet. Auch bleibt die Geschichte bei aller vom Spielanteil erzeugten Spannung über die gesamte Dauer emotional etwas flach. Die bereits erwähnten Abnutzungserscheinungen gewisser Missionstypen treten überdies zwar erst spät ein, dann aber spürbar. Verwirrend ist auch, dass sich das Spiel nur ungenügend erklärt, noch immer weiß ich nicht, wie man beschädigte Nahkampfwaffen repariert. Und die Grafik flimmert, schmiert, clippt, ploppt und teart, als wäre es tatsächlich das Ende der Welt. Bei einem Spiel für 20 Euro, noch dazu eines dieser Größe und dieser Ambitionen ist das verständlich. Die Augen leiden dennoch ein wenig, besonders wenn man mit dem Auto unterwegs ist. Ich warte schon sehnsüchtig auf die PC-Version, die leider immer noch keinen Termin hat.

Zum gefragten Preis sollte sich dennoch niemand mit Xbox 360 State of Decay entgehen lassen. Es ist der wohl komplexeste und aufwendigste Xbox-LIVE-Arcade-Titel, den es aktuell zu kaufen gibt und so clever und ausgereift, dass es mir schwerfällt, ein Open-World-Spiel der letzten zwei Jahre zu nennen, das sich frischer angefühlt hätte. Dass dies zugleich trotz und wegen der Zombies so ist, mag kurios erscheinen, aber letzten Endes bedingen in diesem speziellen Fall das Szenario und das Survival-Gameplay in einer Form einander, die man selten in die Finger bekommt. Insofern: Hut ab für ein Spiel, an dem sich einige größere und ältere Studios problemlos hätten verheben können. Mit Undead Labs ist fortan fest zu rechnen.

9 / 10

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