Styx: Master of Shadows - Test
Der bessere Dieb.
Na das ist ja mal eine Überraschung. Cyanide gehört zu den Studios, deren Projekte ich fast grundsätzlich schätze, bei denen es aber eher selten ist, dass das final Ergebnis dann am Ende noch fasziniert. Ein Game-of-Thrones-RPG endete trotz Zusammenarbeit mit dem Schöpfer dieses Universums in Halbherzigkeit, Of Orcs and Men begeistere mit seinem Wechsel des Fantasyblickwinkels und enttäuschte als Spiel, lediglich Blood Bowl würde ich als durchgehenden Erfolg bezeichnen. Dass dieses Studio ein Spiel auf die Beine stellt, dass so ambitioniert ist wie Styx und es dann auch noch so umsetzt, dass ich trotz aller noch folgenden Einschränkungen am Ende fast begeistert das Pad niederlege... Respekt. Sorry, Cyanide, ich habe euch unterschätzt.
Styx: Master of Shadows basiert sehr lose auf dem Universum von Of Orcs and Men, der hier namensgebende Goblin Styx tauchte auch in diesem Spiel auf, aber wissen müsst ihr das nicht wirklich. Wo es nötig scheint, erklärt euch das Spiel die Hintergründe, was bei dem unter Amnesie leidenden Protagonisten auch nicht schwer zu rechtfertigen ist. Er kennt selbst seine alten Freunde nicht mehr, da können die ihm ruhig auch mal erklären, warum sie alte Freund- oder Feindschaft verbindet, ohne dass es in zu billige Exposition ausartet. Der Rest der Handlung ist komplett eigenständig, beginnt sehr stark und endet dann trotz des eigentlich recht simplen Ziels des Goblins in etwas konfusem Chaos, das sich aus einem Krieg zwischen Menschen und Elfen, Drogen und Visionen zusammensetzt.
Es geht um eine riesige Festung, die die Menschen um den "Weltenbaum" gebastelt haben. Riesig im Sinne von mehrerer hundert Meter in die Höhe und große wie eine kleine Stadt. Der Baum selbst sondert ein glühendes Harz mit magischen Fähigkeiten ab, hinter dem alle Welt her ist. Auch Styx, denn ihr sollt das Herz des Baumes stehlen. Keine einfach Aufgabe und ein komplizierter Plan, der euch durch viele Phasen seiner selbst und Bereiche der Festung führt. Wie schon gesagt, behaltet diesen einfach Grundplot immer im Hinterkopf, dann verwirren die anderen Details weniger. Der Hauptgrund, dass Styx inhaltlich so gut funktioniert, ist Styx selbst. Einen solch fiesen und gleichzeitig sympathischen, wirklich gefährlichen, aber doch in der Welt eigentlich schwachen Charakter zu erschaffen, der durch und durch glaubwürdig daherkommt, ist eine eigene kleine und hier absolut gelungene Leistung.
Was den Rest er Handlung angeht, scheint sie teilweise eh kaum mehr als eine Ausrede zu sein, um euch in möglichst viele gewaltige Areale zu locken. Und was das für Level sind. Das letzte Thief gab sich mit kleinen Gebieten zufrieden, durch die dann zwei bis drei recht definierte Wege führten. Styx dagegen wartet mit richtig viel Fläche auf, die sich fast grundsätzlich auch über ein halbes Dutzend Etagen in die Höhe oder Tiefe streckt. Darin gibt es natürlich immer wieder Stellen, die inszeniert sind. Drei Wachen stehen zusammen und es gibt drei Wege, um sie zu umgehen oder auszuschalten. Das Besondere ist, dass ihr dank der Größe der Level aber auch immer die Möglichkeit habt, ihnen ganz aus dem Weg zu gehen, ihnen vielleicht sogar nie zu begegnen, weil ihr einen ganz anderen Weg gesucht habt. Es erinnert in diesem Punkt weit mehr an ein Dishonored. Ebenso viel Freiheit, aber teilweise noch mehr verschachtelt. Styx' Leveldesign ist ein Fest für das Stealth-Genre.
Das Arsenal des Kobolds steht dem nicht nach. Das Schleichen und eine Sichtbarkeits-Anzeige, die verdeutlicht, ob ihr im Schatten versteckt seid oder nicht, gehören zum Grundarsenal. Auch, dass viel mit Geräuschen gespielt wird. Rennen ist lauter, schnelle Attentate laufen laut ab, leise Attentate dauern länger und erhöhen so das Risiko. Leichen lassen sich wegtragen und verstecken. Abhängig von der Fallhöhe erzeugt ihr bei der Landung nach einem Sprung mal mehr, mal weniger Krach, auch abhängig vom Bodenbelag. Die Basics stimmen einfach. Dazu kommt dann die Magie. Dank ihr macht ihr euch für ein paar Sekunden unsichtbar, genießt einen ebenso kurzen wie lebenswichtigen Blick auf alles, was im Raum wichtig ist - Heißt das Feature eigentlich inzwischen offiziell "Detektiv-Sicht"? -, vor allem aber könnt ihr einen Klon von euch erstellen. Er kann sich durch Ecken quetschen, die ihr nicht erreicht, Wachen ablenken und ein paar Aufstiege im Fertigkeitenbaum später sogar in einer Rauchwolke explodieren und so für Verwirrung und schlechte Sichtverhältnisse sorgen. Jede dieser Fertigkeiten gibt dem eh schon durch die Level selbst unzähligen Möglichkeiten noch einmal ein paar zusätzliche Varianten, wie ihr eine Aufgabe bewältigt. Wie schon gesagt, eine große Stärke von Styx ist das Maß an Freiheit und Möglichkeiten, die ihr hier genießt. Es ist seltener geworden, dass euch ein Spiel so sehr von der Leine lässt.
Leider gibt es aber auch ein paar Bereiche, in denen man deutlich merkt, dass Cyanide so ein Spiel dann nun auch nicht jeden Tag produziert. Die Steuerung an sich funktioniert problemlos, aber es sind viele Details, bei denen sie scheitert. Und leider sind es ganz oft die, die euch zum erneuten Laden eines Spielstandes zwingen. Ein seltsamer Punkt ist das Fallenlassen von einer Kante. Ich würde grob sagen, dass es eine 50-50-Chance gibt, dass Styx sich festhält und dann an der Kante hängt. Die anderen Male springt er entweder in seinen Tod oder zumindest oft genug in einem Pulk nur sehr kurz erstaunter Wachen. Frustrierend wird das, wenn ihr zum Beispiel kurz vor der Entdeckung steht und schnell euch außen an eine Balkon-Brüstung hängen wollt, bis die Gefahr weitergezogen ist. Eine elegante Lösung, die leider sehr oft im Tod endet. So oft, dass ich die ab einem gewissen Punkt nicht mehr in Betracht zog und leider anderweitig flüchtete. Auch die Sprünge an Wandvorsprünge sind mitunter ein klein wenig vom Glück abhängig. Neun Mal klappt es tadellos und das zehnte Mal greift er einfach nicht zu, sondern segelt daran vorbei in die Arme einer Wache.
Diese zu bekämpfen, ist konsequenterweise in fast allen Fällen Selbstmord, zumindest sobald mehr als ein Gegner zur Stelle ist. Nicht nur die eigene kleine Größe ist der Grund, sondern vor allem, dass euch das Spiel beim Nahkampf in ein Quick-Time-Event schubst. Hier pariert ihr recht simpel die Angriffe so lange, bis ihr die Chance zum Gegenangriff bekommt. Während ihr so aber auf einen Gegner fixiert seid, greifen euch umstehende Feinde gnadenlos weiter an - was ja auch Sinn macht. Da ihr selbst auf dem normalen Schwierigkeitsgrad keine drei, vier Treffer aushaltet, ist der Kampf einfach keine sinnvolle Option. Rennt weg, macht euch unsichtbar oder noch besser: lasst euch erst gar nicht erwischen.
Der Respekt vor den Wachen ist also vorhanden, aber er durch die KI abgemildert. Zum einen laufen sie ganz stur feste Bahnen ab, Überraschungen sind ausgeschlossen, wenn ihr die Muster studiert. Vor allem aber gibt es immer wieder Stellen, an denen ihr ihre schnelle Vergesslichkeit und begrenzten Radius ausnützen könnt, zumindest solange ihr es nicht auf das "Gnade"-Ranking abgesehen habt, bei dem ihr niemanden töten dürft: Erledigt eine Wache ohne Rücksicht auf Verluste, flüchtet euch in einen nahen, zuvor ausgekundschafteten Schacht und die zornigen Verfolger stellen die Suche nach nicht mal 20 Sekunden ein. Sie sind zwar nun etwas wachsamer, aber nicht annähernd genug, als das ihr das Spielchen nicht wiederholen könntet, bis ein Gebiet Frei von Gegnern ist. Sehr praktisch für die teilweise in gute Rätsel verpackten optionalen Aufgaben, um in Ruhe nachzudenken, aber eben auch KI-seitig etwas billig.
Was allerdings großartig umgesetzt wurde ist das Gefühl, ein kleines Monster in einer Welt voller Riesen zu spielen. Ihr krabbelt unter Tischen durch, um versteckt zu bleiben, quetscht euch vorbei, wo ein Mensch es nie könnte und springt wie ein tollwütiger Bonobo Feinden in den Nacken. Wenn sie euch jedoch entdecken, dann ziehen sie euch am Kragen unter dem Tisch vor, werfen euch herum und wie schon gesagt: Kampf ist hier nie ein gute Idee.
Was die Technik angeht: Nun, es ist Cyanide. Die Vision war wie immer größer als das Talent und auch wenn es zu weiten Teilen ein gar nicht mal hässliches Spiel ist, erwartet bloß kein State of the Art. Viele Texturen wurden aus der letzten Generation übernommen oder zumindest wirken sie so, im Halbdunkel gehen durch die teilweise zu diffuse Ausleuchtung viele Details verloren - was bei einem Spiel in den Schatten kein kleines Problem ist - und ich nehme an, dass die Charaktere eine Art Fable-Touch bekommen sollten, bleiben aber auf halben Weg dorthin in der Entwicklung stecken. Nichts davon ruiniert die Spielwelt oder den Spaß darin, aber man grübelt schon, wie gut dieses Spiel wohl aussehen würde, wenn es sich in einer Next-Gen-Variante des Dishonored-Stils präsentieren würde. Nun, zumindest läuft es auf allen Plattformen schön flüssig.
Styx: Master of Shadows mag nicht ganz so schick aussehen wie das letzte Thief, aber als Stealth-Spiel hat es dem ehemaligen Meister viel voraus. Die Areale sind weit größer, die Möglichkeiten sie zu durchqueren vielfältiger, die magischen Hilfsmittel nicht weniger mächtig und Styx ist einfach der bessere Dieb. Da verzeihe ich gern ein paar Grafik-Schwächen. Was ich jedoch nicht verzeihen kann und Styx leider unnötig oft frustrierend werden lässt, wenn man nicht ständig manuell zwischenspeichert, ist das Versuch-und-Absturz-System bei Sprüngen. Es darf einfach nicht sein, dass der Kobold mal die Kante greift und sich festhält und bei gleicher Eingabe sich dann wieder einfach fallenlässt. Das wiegt schwerer als die nach und nach immer schwächer werdende Handlung oder ein paar kleine KI-Unzulänglichkeiten. Nun, trotzdem: Styx: Master of Shadows ist noch ein wenig Politur vom Ideal entfernt, aber gleichzeitig bietet es ein freies, komplexes, oft forderndes Stealth-Vergnügen, dass euch deutlich weniger fest an der Hand durch die Level führt, als man es sonst die letzten Jahre gewohnt war. Es ist ein Grundgerüst, auf dem Cyanide gerne aufbauen darf und ihnen weit besser zu Gesicht steht als halbgare Rollenspiele.