Styx: Shards of Darkness - Test
Wie fies, das war ein Schleichender.
Styx: Shards of Darkness ist ein gutes Schleichspiel mit schöner Schwerpunktverteilung geworden. Vor allem wenn man es nicht auf dem Schirm hatte oder ausgelassen hat, wie der Vorgänger vor zweieinhalb Jahren die untrennbaren Themen Schleichen und Leveldesign anpackte (siehe Test), nachdem Thief ein paar Monate zuvor nach dem Krückstock greifen musste. Shards of Darkness baut das aus in Anlehnung daran, wo der Reiz von Schleichspielen jenseits strippenzieherischen Ablenkens mit Wurfobjekten liegen kann. All das gibt es auch hier, vom alten Flaschenmanöver bis zum Löschen entfernt stehender Fackeln mit einer Faust voller Sand. In erster Linie jedoch ist ihm am Schauplatz gelegen, dem feindlichen Gebiet, seiner Beschaffenheit, dem Weg hinein, den vielen Wegen.
Die Frage lautet "Wie komme ich von A nach B?", und Shards of Darkness kennt zig Antworten darauf. Oder besser: Die Leveldesigner beim Entwickler Cyanide kennen sie. Wo so manche Ecke mit kargen Objekten und die generelle Gestaltungsqualität manchmal das Produktionsbudget durchscheinen lassen, ist der Verlauf dazwischen überraschend nuanciert. Klar, wir haben hier in vielen Fällen massive Festungen, oft halb im Fels versenkt und mit hohen Mauern drumherum. Ein definiertes und physisch gewissermaßen undurchstößliches Einsatzareal, das man als gebrechlicher Goblin infiltrieren soll.
Wie viel die Entwickler darin mit Schächten, Höhenunterschieden und Griffkanten anstellen, ist unheimlich erheiternd und abwechslungsreich. Man ist genauso schnell mit einem anderen Ansatz zur Stelle, wie der Goblin von Wachen abgeschlachtet wird. Wirklich abgeschlachtet. Im Falle des Auffliegens entbrennt kein Kampf fairer Chancenverteilung, außer euch gelingt ein Konter mit dem bemitleidenswerten Dolch und der Gegner steht für einen Moment ungeschützt da.
Diese Wehrhaftigkeit aus der Not heraus ist das Höchste der Gefühle für einen sonst aufgeschmissenen Goblin. Aus "aufgeschmissen" und "Pech gehabt" wird schnell "aufgerissen" und "der Länge nach". Wenn es nicht die mit mannshohen Zweihändern dekorierten Gegner erledigen, dann ihre Kollegen mit den Wurfgeschossen. Kurzum: Gerät Styx ins Visier der Leute, die er zu umgehen versucht, hat er schon auf dem zweiten von vier Schwierigkeitsgraden ein Problem.
Eine einfache Beschränkung wie diese macht das Spiel aus dem Stegreif spannender. Sie ist mit fortschreitendem Spielverlauf nicht mal weiter auffällig, wo der Aufbau jedes Abschnitts sanft dagegensteuert. Styx' Stärke liegt nicht darin, stets angemessen auf handfest ausgetragene Konfrontationen reagieren zu können, sondern darin, diese nicht erst entstehen zu lassen, ungesehen zu bleiben. Dazu zählt auch, leicht gerüstete Gegner von hinten meucheln, sie über Kanten treten oder die Körper wegschleppen und in Schränken verstauen zu können. Vorsorge sozusagen, sollte sich die Gelegenheit ergeben.
In erster Linie haben wir die Level und ihren Verlauf in Höhe und Breite. Ähnlich wie Dishonored setzt Styx auf handgebaute Kompaktheit vorbereiteter Abschnitte. Handgebaut heißt in dem Fall "Apfel, durchstoßen von einem Korkenzieher". Es geht in alle Richtungen. Nach oben, findet man Kanten zum Festhalten, runter, findet man sie zum Fallenlassen darauf. An ein, zwei Stellen fühlte ich mich ein wenig wie in den Steinfangkatakomben in Demon's Souls bei der Abkürzung zum Flamelurker und auch hier gilt: Ist eine Plattform als fußbreit erkennbar, kann man auf ihr landen und sie in die eigene Route miteinbeziehen.
Jeder Raum ist aus mehreren Richtungen betretbar. Nachdem ich auf halber Route niedergestochen den letzten Spielstand laden durfte, merkte ich das stets aufs Neue. Das Vermögen der Wachen, einen im Schatten verborgenen Eindringling zu orten, steht und fällt besonders mit dessen Höhenpositionierung. Daher waren mir Greifpunkte an Wänden das Liebste. Man fühlt sich der bewegten Umwelt in dieser Position wunderbar überlegen, wo die statische Umwelt ihre Kistenstapel, Treppengeländer oder Tische für die Infiltration herrichtet.
Das läuft nicht immer reibungslos, spätestens wenn man an einem Seil hängend zum Balkon gegenüber schwingen möchte und der dämliche Goblin munter seinen Körper neu ausrichtet. Auch das kletternde Umgreifen, wenn man eigens dafür platzierte Sprossen erklimmt, seitlich zum einen Meter entfernten Vorsprung hopsen will und das Spiel einfach nicht die Richtung erkennt, kann holprig sein. Das Fallenlassen von einer Kante ist ebenso davon betroffen, wenn auch nicht so häufig wie im Vorgänger.
So zog ich mitunter ein bisschen irritiert, aber nie genervt durch diese rund zwölf Stunden Spielzeit. Später gibt es sogar Geschicklichkeitseinlagen mit beweglichen Plattformen in alten Tempeln oder Rutschpartien an Seilen mit phänomenaler Aussicht auf die darunterliegende Landschaft. Speichern darf man ohnehin überall - außer die Wachen suchen nach euch -, und so lässt sich ein Fehlgriff als Motivation begreifen, es noch mal mit einem besseren Plan als "Augen zu und rein" versuchen zu wollen. Vielleicht an einer ganz anderen Ecke des Areals.
Und selbst wenn der Alarm schrillt, kann man sich retten. Im einem cleveren Sinn, hat man am Auslöser vorher eine Todesfalle angebracht. In einem tölpelhaften Sinn, indem man guckt, wie weit man notfalls kommt. Shards of Darkness stanzt Schlupflöcher in Form von Truhen, Vasen oder Zwischenräumen unterhalb von Tischkanten, die als Versteck dienen. Das kann klappen oder nicht. In Habachtstellung versetzte Gegner stecken ihre Nasen mitunter in Schränke oder unter Tische und ziehen den Störenfried am Schopf aus seiner Komfortzone in die brutale Realität.
Die ersten Male ist es richtig unangenehm, seinen mühevoll erarbeiteten Rückzugsort aufgeben zu müssen. Das funktioniert in kleinem Rahmen, weil menschliches Verhalten in Spielen notdürftig imitierbar ist, aber nie so, dass diese oder jene Person in einem größeren Ausschnitt der Welt und abseits des ihr gegebenen Zwecks bestehen könnte. Beim nächsten Mal läuft es banaler. Oder er läuft banaler. Der Goblin nämlich, immer in den Schächten zwischen zwei Räumen hin und her. Die Wachen eiern währenddessen vor und zurück - hinein können sie ja nicht -, bis Gras über die Sache gewachsen ist und sie wieder auf ihre Positionen schlappen. Es ist fast, als schnipste jemand mit dem Finger und die Kerle wachten plötzlich auf.
Ihre Routen sind nie besonders ausladend oder überraschend, und wenn zwei Meter neben ihnen ein Kollege erdolcht niedergeht, ohne dass es sie kümmerte, bewegen wir uns im Rahmen eines Videospiels. Mir fiele auch keine Möglichkeit ein, das Geschehen im Sinne eines spaßigen Ablaufs natürlicher zu gestalten und den Frust außen vor zu lassen. Styx ist, wie Stealth-Spiele in dieser Hinsicht nun mal sind.
In vielen Fällen und vor allem in diesem bedeutet das hilfreiche Gadgets, an Werktischen herstellbar mit Krempel, den man so auf Kisten und Tischen findet. Gegnern in den Wein zu kotzen gehört nicht dazu, ist aber zu witzig, um es nicht zu erwähnen. Hinzu kommen Giftfallen, Wurfpfeile und Dietriche für verschlossene Türen (wieso lassen sich geöffnete Türen eigentlich nicht schließen? Noch dazu in einem Spiel, in dem es auf Sichtlinien ankommt).
Der Grund für derlei Gewese kommt erst danach. Die Geschichte und das Drumherum sind eine Nummer kleiner und einer Produktion dieser Größe angemessen. Sie erzählen von einem formwandlerischen Elfen, Orks sind auch irgendwo dabei und eine Indiana-Jones-2-mäßige Gottheit mit Blutopfern. Der Goblin ist zynisch und eigentlich nur Kommentator im Rahmen der ihm auferlegten Agenda, was sich sprachlich in einem Spiel besser abbilden lässt als das Verhalten. Bei der Erzählung ist nicht viel zu holen, außer neckische Schnippischkeit, wenn man darauf steht.
Aus irgendeinem Grund erinnerte mich Styx an Morrigan aus Dragon Age, vermutlich weil auch ihre Kratzbürstigkeit auf Biegen und Brechen in jede Dialogzeile gepresst werden musste. Nach jedem Fehlversuch blickt euch Styx aus dem Game-over-Bildschirm an und durchbricht die vierte Wand mit schnoddrigen Sticheleien bis zu plumpen Beleidigungen. Eine nette Idee, bis sich die Sprüche zu wiederholen beginnen.
Hier ist Styx über die Schmerzgrenze hinaus bemüht, woanders in seinem Element und dem der Schleichspiele. Immer wenn es um die Gestaltung der Areale geht. Wenn es selbstbewusst über seinen Beschränkungen steht, den an kurzer Leine gehaltenen Wachen und dem manchmal zermürbenden Grauschleier seiner Welt. In diesen Momenten strahlt das Leveldesign und gibt euch zig Ansätze, in individuellem Tempo fliegende Schiffe und alte Tempel zu infiltrieren. Es schöpft die Essenz der Schleichspiele an der Wurzel ab und zeigt, wie der Weg von A nach B den Tüftler wachkitzeln kann. Eine schöne Überraschung, wenn man es so nennen möchte.
Entwickler/Publisher: Cyanide/Focus Home - Erscheint für: PC, Xbox One, PS4 - Gespielt auf: Xbox One - Preis: ca. 40 Euro (PC), 50 Euro (Konsole) - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: Nein