Sunrise
Mehr Unter- als Aufgang
Auf dem Papier klingt Sunrise wie der Traum eines jeden Adventure-Fans. Eines jeden Adventure-Fans, der ein klein wenig aufgeschlossen gegenüber Neuem, Innovativem ist: Verschiedene Lösungswege. Kein Inventar im klassischen Sinne. Eine Story, die sich zumindest vorübergehend verzweigt und so ein zweites Durchspielen interessant machen soll. Eine freundliche In-Game-Hilfe, die Schritt für Schritt knappe Tipps gibt. Keine allzu abstrusen Kombinationsrätsel, da Euch lediglich ein so genanntes Multitool, bestehend aus Messer, Zange und Schraubendreher, durchweg zur Verfügung steht. Und zu guter Letzt verspricht das Spiel sogar "Coole Typen - Harte Sprüche".
Lasst uns mit Letzterem anfangen, denn cool sind die drei Typen aus Sunrise wirklich - wenn man "cool" wie ein Teenager in der Pubertät definiert. Für einen durchschnittlichen Erwachsenen hören sich die meisten Dialoge hingegen so an, als litten die unfreiwilligen Helden unter einer mittelschweren Persönlichkeitsstörung.
Noch dazu quatschen und quatschen und quatschen sie, ohne jemals zum Punkt zu kommen. Ein großer Teil der Gespräche bringt Euch keinen Millimeter voran, gibt Euch keinerlei neue Informationen, ist aber unausweichlich, um weiterspielen zu dürfen. Der Sinn hinter diesem Redeschwall erschließt sich jedoch selten. Manchmal stellt er einen endlos erscheinenden Aufbau für einen kleinen Gag dar, häufig aber nicht einmal das.
Geschmackssache eben, mögt Ihr nun sagen. Und damit habt Ihr vielleicht sogar Recht. Aber ob die vermeintliche Zielgruppe, die pubertierenden Teenager, sich wirklich durch ellenlange Dialoge klicken möchten? Ob sie überhaupt Adventures spielen? Mutmaßlich nicht.
Aber festbeißen müssen wir uns an diesem Punkt nicht, denn Sunrise macht weitaus mehr wirklich falsch, und zwar unabhängig von der Betrachtungsweise. Am Schlimmsten ist ausgerechnet der gut gemeinte Verzicht auf ein Inventar. Das soll Euch (vermutlich) abverlangen, über die Lösung eines Rätsels ordentlich nachzudenken, anstatt einfach zig Gegenstände auszuprobieren, die Ihr Stunden zuvor irgendwo aufgelesen habt. Tatsächlich bewirkt es nur, dass Ihr Ewigkeiten sinnlos hin- und herrennt, weil Euch das Spiel viel mehr einschränkt, als es irgendjemandem lieb sein kann.
Das schwerwiegendste Problem ist, dass Ihr Gegenstände erst dann aufnehmen dürft, sobald der Protagonist erkannt hat, was er damit tun soll. Häufig muss er sogar erst seine Freunde fragen und sich von ihnen den entscheidenden Tipp geben lassen, während Ihr selbst längst verstanden habt, wie Ihr das jeweilige Rätsel löst. Nur dürft Ihr es eben nicht lösen, weil es das Spiel Euch verbietet. Einen schlimmeren Designfehler kann es kaum geben, zumal sich Held Rydec häufig wie ein kleines Kind verhält und ihm die Lösung regelrecht vorgekaut werden muss. Naja, immerhin passt das dazu, wie er spricht.
Ebenfalls sehr schön: Dass Ihr Hotspots regelmäßig mehrmals anklicken müsst, bevor Rydec sich mal dazu bequemt, etwas mit einem Objekt anzustellen.
Eine echte Stärke von Sunrise zu nennen, fällt dagegen schwer. Sogar die Grafik ist im Vergleich zur Konkurrenz - selbst zur zehn Jahre alten Konkurrenz - alles andere als berauschend, wenig detailliert und nirgendwo der Thematik entsprechend. In Folge eines Experiments, das Rydec und seine Freunde durchgeführt haben, scheint nämlich in New York City die Sonne nicht mehr - was im Intro geradezu erklärt werden muss, weil es nie offensichtlich wird.
Was den Titel vor dem totalen Absturz rettet, ist die Tatsache, dass sich die Entwickler immerhin Mühe gegeben haben, nicht einfach ein ganz gewöhnliches Adventure zu entwerfen. Ich mag die Ideen, auch wenn sie schlecht umgesetzt sind. Genauso wie die Geschichte einer urplötzlich menschenleeren, düsteren Großstadt, auch wenn die Charaktere und ihr Verhalten in dieser Situation vollkommen unglaubwürdig, die Dialoge deplatziert wirken. Aber alles in allem ist Sunrise leider ein nicht einmal durchschnittliches Spiel, das mehr falsch macht als es richtig machen will.
Sunrise ist im Handel erhältlich.