Supreme Commander
Strategie und Megalomanie
Echtzeitstrategiespiele sind eine Königsdisziplin vieler Hardcore-Spieler. Nur in wenigen anderen Genres wird gleichermaßen taktisches Denken, hohe Geschwindigkeit und ein hervorragendes Reaktionsvermögen gefordert. Der Spieler muss seine Aufmerksamkeit gleichzeitig auf mehrere Stellen konzentrieren und auf jede Taktik des Gegners blitzschnell eine passende Antwort parat haben. Dabei sind selbst einige der aufwändigsten Echtzeitstrategiespiele nicht dazu in der Lage, auch nur ansatzweise die komplexen Abhängigkeiten auf einem Schlachtfeld darzustellen. Schließlich müssen in der Regel künstliche Beschränkungen eingebaut werden, um dem ungeübten Hirn nicht die ganze Dimension der strategischen Möglichkeiten aufzubürden.
Doch es geht auch anders: Vollkommen ohne Gehhilfen ließ Euch seinerzeit das mittlerweile zehn Jahre alte Meisterwerk Total Annihilation über die unwegsame Welt der Strategie wandeln und bewies mit seinem Erfolg, dass es Spieler gibt, denen es gar nicht komplex genug sein kann. Der Kopf hinter diesem Paradebeispiel für Spieltiefe und Anspruch war Strategie-Vordenker Chris Taylor. Durch dessen radikale Gameplay-Ansätze zog das Spiel eine Fangemeinde heran, die ihm noch heute die Treue hält.
Leider blieb die Lizenz bei seinem alten Studio zurück und er musste viele Jahre warten, bis er endlich einen würdigen Nachfolger für sein Meisterstück produzieren konnte. Doch diesmal musste er den Titel nicht mit ein paar Kumpels im Hinterzimmer einer Programmierklitsche zusammenschustern: Mit seiner eigenen Firma Gas Powered Games im Rücken und – dank des Megahits Dungeon Siege – prall gefüllter Kriegskasse, konnte er für Supreme Commander aus den Vollen schöpfen.
Größenwahn in Reinkultur
Mit diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass der gute Chris Taylor für den Titel so ziemlich alle Konventionen der Echtzeitstrategie-Entwicklung der letzten Jahre über Bord warf, um seine ganz eigene Vision eines wirklich gewaltigen Strategiespiels auf den Markt zu bringen. In einer Zeit, wo Spiele, wie das inzwischen schon über sechs Jahre alte Warcraft 3 oder auch das moderne Dawn of War, die Bedienung und Komplexität immer stromlinienförmiger gestalten, setzt Supreme Commander auf pure Gigantomanie. Das beste Beispiel hierfür ist die Größe der Schlachtfelder, die bis zu 40 Kilometer Kantenlänge erreichen können. Dazu passend sind auch die im wortwörtlichen Sinne "gewaltigen" Unterschiede bei den Einheiten. Während sich die ersten Baureihen kaum von konventionellen Kampffahrzeugen unterscheiden, produziert man später im Spiel Schlachtschiff-große Kampfroboter, die im Alleingang eine ganze Basis in Bauschutt verwandeln können.
Chris Taylor möchte, dass sich der geneigte Strategie-Fan wie ein Maler fühlt: Mit der Karte als Leinwand und den Einheiten und Gebäuden als Farben. Hier soll er seinen strategischen Fähigkeiten freien Lauf lassen und seine ganz eigene Taktik entwickeln. Pinsel und Grundierung findet Ihr in Eurem Commander. Dieser ist Kämpfer, Bauherr und Mechaniker zugleich und findet sich anfangs allein auf dem monströsen Schlachtfeld in spe wieder. Zunächst gilt es natürlich Rohstoffe – hier Masse und Energie – zu gewinnen. Stehen die Ressourcen-Gebäude, gibt man die erste Fabrik in Auftrag. So fertigt man Baufahrzeuge und erste Grundeinheiten, die ihrem Level und Preis entsprechend weder viel Schaden ausrichten oder einstecken. Schon in dieser fragilen Aufbauphase, die sich oft recht lange hinzieht, wird man nur selten einen Blick auf den Gegner werfen können. Es ist zwar auch möglich. eine Art Rush mit Anfangseinheiten und Commander zu wagen, doch die extrem starke Basisverteidigung erstickt die allermeisten Blitzangriffe im Keim.
Strategie-Overkill trifft Übersichtsproblem
Ab der zweiten Technologie-Stufe steigt die Komplexität enorm an. Immer wieder müssen Entscheidungen getroffen werden, die nur mit guter Aufklärung zum Erfolg führen. Durch den Zwang zu expandieren, um mehr Ressourcen sammeln zu können, öffnen sich immer wieder Lücken in der Verteidigung, die der Computergegner geschickt ausnutzt. Neben der taktischen Dimension spielt zudem die Steuerung und die Übersicht bei Supreme Commander eine entscheidende Rolle. So sehr sich Chris Taylor auch bemüht hat, das Spiel durch ein wirklich beeindruckendes Zoom-System unter Kontrolle zu halten, so sehr werden die ausufernden Dimensionen des Schlachtfeldes und die kaum differenzierbaren Einheiten der ersten Technologiestufe Anfänger in den Wahnsinn treiben. Erst später erreichen die Land-, Luft- & Wasser-Einheiten eine kritische Größe, die es ermöglicht, auch ohne ständiges Zoomen die Truppen zu indentifizieren.
Leider gestalten sich vor allem die ersten Levels der Kampagne enorm zäh, da durch die beschränkte Einheitenauswahl speziell stark befestigte Basen nur schwer auseinander zu nehmen sind. Auch verblüfft die KI schon im einfachsten Modus durch geschickte Einheitenwahl und gewitzte Taktiken, die Hardcore-Spieler begeistern, Einsteiger aber eher frustrieren dürften. Die Kunst der Strategie steht felsenfest und hervorragend ausbalanciert im Vordergrund, nimmt aber nur wenig Rücksicht auf die breite Masse.
Doch selbst ein so puristisches Strategiespiel braucht natürlich eine Story, die die Einzelspielerkampagne mit Sinn und Leben erfüllt. Der Spieler darf wie so oft, einer von drei Fraktionen helfend zur Seite stehen. Da sich diese aber nur minimal unterscheiden und wenige Sondergebäude und Experimentaleinheiten wirklich einmalig sind, kann es dem Spieler eigentlich egal sein, mit wem oder gegen wen er gerade spielt. Immerhin unterscheiden sich die Aufträge und die Vorgehensweise, sodass man nach jeweils sechs Missionen pro Fraktion zumindest einen vagen Eindruck ihrer Motivationen bekommt. Wahre Strategie-Fans werden sich wohl kaum an den blassen Abziehcharakteren und der eher plumpen Sci-Fi-Geschichte stören. Gerade der Platzhirsch Warcraft 3 beweist aber, wie sehr auch ein Strategiespiel über spannendes Universum und starke Protagonisten (und Antagonisten!) funktionieren kann. Das hätte man hier also deutlich besser machen können.
Irre KI und schwache Kampagne
Die eigentlich geringe Zahl von sechs Missionen pro Partei wirkt nur auf den ersten Blick mickrig. Ganz wie bei Joint Task Force entfaltet sich das Spielfeld erst langsam und sorgt so dafür, dass ambitionierte Spieler nicht gleich den Überblick verlieren. Die Missionen der Kampagne fallen allerdings selten sonderlich kreativ aus. Es müssen vor allem Basen verteidigt, Konvois beschützt und Gegner vernichtet werden. Bei jedem erreichten Ziel erweitert sich die Karte und ein neues Ziel wird aufgerufen. Man benötigt also schon mal ein paar Stunden pro Mission, manchmal sogar mehr als einem lieb ist. Quasi immer dann, wenn man blöderweise vergessen hat, regelmäßig abzuspeichern und der Computer abermals den kleinsten Fehler gnadenlos für sich ausnutzte. Und das trotz merkwürdigen Wegfindungsproblemen.
Erneut machen gerade die ersten Missionen der Fraktionen hier keinen wirklichen Stich: Durch die ewig gleichen Einheiten, das steril wirkende Szenario und die erwähnten Sichtprobleme, sorgen sie für gepflegte Langeweile. Richtig in Fahrt kommt Supreme Commander erst, wenn alle Einheiten zur Verfügung stehen oder Ihr Euch im Skimish-Modus austobt, der mit adaptiver KI und umfangreichen Einstellungsmöglichkeiten glänzt.
Selbst bei einem Titel wie diesem, ist natürlich Gameplay nicht alles. Auch der härteste General freut sich über schöne Bilder, wenn er mal wieder seinen Gegner mit einer Atomwaffe einäschert. Und genau bei solchen Events kann Supreme Commander voll überzeugen. Gewaltige Explosionen, physikalisch nachvollziehbare Waffeneffekte und -Animationen und schließlich beeindruckende Experimentalwaffen verwandeln das Endgame auf einem starken PC zu einer beeindruckenden Angelegenheit. Mit Betonung auf "starken PC": Auf einem AMD 3500+, 2GB RAM, Geforce 7800 GT lief das Spiel in maximalen Details überwiegend flüssig. Bei schwächeren PCs ruckelte es wie die Seuche und ließ sich nur auf niedrigen bis mittleren Details zocken.
Nicht so prickelnd sieht es dagegen in den ersten Spielminuten aus. Die kleinen Panzer und Flugzeuge werden nämlich nicht nur relativ polygonarm dargestellt, sondern sind auch noch schrecklich gestaltet. Dabei haben doch Titel wie Homeworld bewiesen, dass sich Komplexität, anspruchsvolles Gameplay und schickes Design nicht ausschließen müssen. Doch wer sich schon für Total Annihilation begeistern konnte, wird sich an solchen vermeintlichen Oberflächlichkeiten nicht stören.
Der Multiplayer wirkt da auf den ersten Blick ausgereifter, schließlich sorgen viele Optionen und das wirklich perfekt abgestimmte Balancing-System für fordernde Schlachten, die sich schon mal ein paar Stunden hinziehen können. Das dazu passende Matchmaking System GPG.net ist nicht von schlechten Eltern, doch erst in den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob das Netz dem Ansturm der Spieler trotzen kann. Leider macht die Länge der Schlachten einen vernünftigen Einsatz im E-Sport nahezu unmöglich. Jedes Netzwerk-Turnier würde durch die ausufernden Schlachten gesprengt werden, während die Zuschauer in den ersten Spielminuten gelangweilt die Lust verlieren. Der Kreis der Hardcore-Fans dürfte das Spiel – wie schon Total Annihilation – aber im Alleingang noch viele Jahre am Leben erhalten. Chris Taylor hat nämlich auch bei den Modifikationen ganze Arbeit geleistet und Hobby-Entwicklern einige hervorragende Tools an die Hand gegeben.
Selten ist es mir so schwer gefallen eine abschließende Wertung zu fällen, wie bei Supreme Commander. Für echte Hardcore-Strategen bietet der Titel wirklich alles, was das Herz begehrt. Fernab des stumpfen Stein, Schere, Papier-Prinzips genießen Profi-Spieler die Freiheiten, die ihnen dieses Programm vorlegt. Doch bis selbst erfahrene Spieler an den Punkt gelangen, an dem das Gameplay seine ganzen Stärken ausspielt, vergehen viele Stunden langwierigen Scrollens und Zoomens. Zudem präsentiert sich die Kampagne größtenteils als seelenlose Staffage für das komplexe Spielprinzip und ist weit weniger spannend als die klassischen Scharmützel gegen den Computer. Aber: Ab der zweiten Hälfte macht der Titel richtig Spaß und schöpft aus den Vollen. Da stört es kaum noch, dass die Szenarios trist und leblos wirken, manche Panzer trotz Befehl partout nicht schießen wollen und die Produktion der Einheiten unglaublich viel Zeit in Anspruch nimmt. Man ist schlicht und ergreifend gefangen, schickt hier noch eine Truppe in die Schlacht, befestigt dort seine Anlagen mit Mauerstücken und bastelt im Hinterstübchen bereits seinen riesigen Roboter.
Kurzum: Für Hardcore-Strategen zu empfehlen, für die breite Masse definitiv nicht.
Supreme Commander ist ab heute erhältlich.