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Geheimakte Tunguska

Zwei Redakteure im Gespräch.

Streitpunkt 3 - Die Rätsel

Deftige Rätsel sind das A und O eines Adventures. Kommen sie zu einfach daher, ist schnell Langeweile angesagt. Sind sie zu knifflig gestaltet, wirkt es wie künstliche Spielverlängerung. Die Entwickler Animation Arts und Fusionsphere Systems versuchen es mit einer Portion Abwechslung. Reicht anfänglich noch bloße Kombinationsfähigkeit aus, kommt später eine “um die Ecke denken“-Variante hinzu, die zuweilen für überraschte aber auch belustigte Gesichter sorgt. Ein Beispiel: Nina will das Telefonat eines Mannes abhören, der sich in einem Haus befindet. Normalerweise öffnet man nun entweder vorsichtig das Fenster oder schleicht unbemerkt in das Gebäude. Nicht so hier: Ihr schnappt Euch ein Stück vergammelte Pizza, lockt damit die Katze des Hausherren an und pappt ihr mit Klebeband ein monströses Handy auf den Rücken. Damit sie jetzt wieder ins Haus tigert, streut Ihr Salz auf die Pizza. Folge: Die Katze hat Durst, geht in die Küche und zeichnet das Gespräch auf. Jetzt müsst Ihr das Handy lediglich wieder zurückbekommen. Um nicht zu viel zu verraten - ein Müllsack, ein Besenstiel und der Vibrationsalarm des Handys spielen dabei eine wichtige Rolle.

Sämtliche Hintergründe stecken voller Details und sind liebevoll animiert.

Damit Einsteiger - trotz der mitunter sehr anspruchsvollen Rätsel - nicht schwarz sehen, stellt Geheimakte Tunguska dem Spieler wirklich vorbildliche Hilfen zur Seite. Nina führt ein Tagebuch und notiert alle wichtigen Geschehnisse. Das lästige Absuchen des gesamten Bildschirms entfällt dank des so genannten Snoop Keys, mit dem Ihr Euch sämtliche Hotspots anzeigen lasst. Ist seit Simon the Sorcerer zwar keine Neuigkeit, aber brauchbar. Auch das Anklicken aller Gegenstände auf gut Glück ist überflüssig, weil ein Blick auf den Mauszeiger die Erfolgsaussichten jeder Aktion verrät. Und für die ganz seltenen Schieberätsel hält das Programm sogar eine leicht verständliche Erklärung parat, wenn es denn gar nicht weitergeht. Es gibt allerdings auch kleinere Fehler im Design: In Irland stoßt Ihr auf ein Schild, das Ihr verdecken könnt. Damit löst Ihr ein Ereignis aus und treibt die Geschichte voran. Dummerweise geht das aber erst ab einem bestimmten Zeitpunkt. Wenn Ihr vorher genau die gleiche Aktion ausführt, passiert rein gar nichts.

Fabian: Es gibt fünf Phasen der Trauer, sagt man: Leugnen, Wut, Verhandeln, Selbstmitleid sowie Akzeptanz - und ich finde, diese Theorie lässt sich gut in Bezug auf die dargebotene Rätselkost und deren Logik übertragen. Phase eins: "Das kann doch nicht sein, ich habe doch wirklich alles ausprobiert? Vielleicht ein Bug?" Dann: "Mann, du verdammtes Spiel, was willst du denn noch? So langsam hab ich echt kein Bock mehr!" Nummer drei: "Okay, pass auf: Ich probiere jetzt noch ein letztes Mal jeden Gegenstand überall aus, ja? Irgendetwas muss doch funktionieren." Phase vier: "Bin ich so blöd? Ist es so offensichtlich, dass ich nicht darauf komme? Warum meint es das Spiel nur so schlecht mit mir?" Und schließlich: "Na gut. Ich spiele jetzt solange weiter, bis irgendwann irgendetwas irgendwo passt. Was soll's." Mir scheint es zeitweise so, als hätten die Entwickler die fünf absurdesten Episoden von MacGyver geguckt und dann wild drauf los gebastelt. In den ersten ein, zwei Stunden dachte ich wirklich: "Was zur Hölle...?" Aber wenn man erst einmal akzeptiert, dass das Spiel seiner ganz eigenen Logik folgt, trotz seines realistischen Anstrichs keine auch nur ansatzweise realitätsbezogenen Lösungen bieten will und dabei konsequent ist, lässt sich mit den Rätseln durchaus leben. Etliche Rätsel sind sogar sehr gelungen - nur wären sie meiner Meinung nach in einem Comic-Adventure wahrscheinlich viel besser aufgehoben.

Rasante Exekution: Elektrischer Stuhl im Hochsicherheits-Zug.

Mick: Ausprobieren und das Unmögliche möglich zu machen, ist doch die Essenz eines Adventures. Ich würde mich langweilen, wenn eine Tür nicht verschlossen wäre. Wenn ich Gegenstände einfach einsammeln und mitnehmen könnte. Tunguska hat einige sehr spannende (und sehr schwierige) Rätsel. Etwa wenn Nina rausfinden muss, wie man mit Hilfe von etwas Baumharz, einem Blechbecher und einer Schwefelquelle ein verbranntes Pergamentstück restauriert. Viele Rätsel sind auch in witzige kleine Geschichten gebettet. Etwa die dralle Sprechstundenhilfe in der Nervenheilanstalt auf Kuba, die eigentlich Bürgermeisterin werden will. Und natürlich ist eine Menge McGyver-ismus nötig, um die Rätsel zu lösen. Aber genau das liebe ich ja. Und was die Tunguska-Macher gut geschafft haben: Man hat immer eine überschaubare Zahl von Gegenständen, die man auf relativ kleinem Raum einsetzen muss. Dadurch verzettelt man sich nicht. Trotzdem sind die Rätsel ganz schön knackig, aber so gut wie nie unfair. Zugegeben, warum man zweimal Kohlestückchen aus demselben Ofen in der Küche fischen muss, ist reichlich unlogisch. Aber so was passiert nicht oft. Stichwort Grafikstil vs. Realitätsbezug: Spätestens nach dem ersten Kapitel hat man die Spiellogik intus. Was ich dem Tunguska-Team ganz hoch anrechne: Sie haben nicht wahllos irgendwelche blöden Farbenrätsel eingeflochten. Die Knobelaufgaben sind ebenfalls sehr logisch... und zum Glück sehr selten.

Streitpunkt 4 -Die Grafik und die Vertonung

Fabian: Von meiner Seite gibt es hier nichts zu bemängeln. Die Hintergründe sind so farbenfroh, so schön ausgeleuchtet, so detailverliebt wie in keinem anderen Adventure. Und sie sind lebendig: Vögel fliegen umher, die Wolken am Himmel ziehen über mich hinweg, Regentropfen prasseln ins Meer - wundervoll. Abgerundet wird die überraschend starke Präsentation von guten Sprechern, denen es höchstens hin und wieder einmal misslingt, die richtige Emotion in ihre Stimme zu legen. Aber das ist letztendlich zu verkraften.

Mission: Schlüssel mopsen ohne das der grantige Barkeeper es merkt - das wird schwierig.

Mick: Schön, dass wir in diesem Punkt einer Meinung sind. Die lebendige, sehr stimmungsvolle Grafik trägt einen nicht geringen Teil zum erstklassigen Flair von Tunguska bei. Aber das Beste ist die spitzenmäßige Synchronisierung. Hier mal ein ganz großes Oberlob von mir an die Macher, vor allem die Tonregie. Nicht nur die beiden Hauptstimmen sind klasse, das hohe Niveau setzt sich bis in die Nebenrollen fort. Ganz besonders gut: Stephanie Beba (die deutsche Stimme von Kirsten Dunst) als Schlagerfan mit bissigem Eichhörnchen in Irland. Fast alle Stimmen kennt man aus Filmen oder Fernsehserien, fast immer treffen sie die richtige Tonlage. Dass so etwas auch trotz Promi-Stimmen kräftig daneben gehen kann, hat ja das Eulemberg Experiment gezeigt. Mir gefällt die Vertonung von Tunguska sogar noch besser als die gelungene Synchronisierung von Ankh.

Das Fazit

Fabian: Geheimakte Tunguska macht es einem wirklich schwer. Es sieht schlicht und ergreifend wahnsinnig gut aus und strahlt diese gewisse Gemütlichkeit aus, die ich an Adventures so schätze. Aber sobald man auf die ersten komplexeren Rätsel trifft, kann man sich nur fragen: Meinen die das etwa ernst? Ja, sie meinen es ernst und das ist verdammt ärgerlich. Denn mit etwas brauchbareren Rätseln hätte Geheimakte Tunguska der Sprung von Null auf Eins gelingen können. So und angesichts der totlangweiligen Charaktere ist es "nur" ein gutes Adventure, das zwar besser als ein Nibiru oder Syberia ist, an die ganz großen Namen jedoch nicht herankommt. Für mich somit nur eine 7!

Mick: Geheimakte Tunguska toppt sogar meinen Genreliebling Ankh. Vor allem gefallen mir die durchweg logischen Rätsel ganz ausgezeichnet. Hier zählt Hirnschmalz immer noch mehr, als stumpfes Ausprobieren. Und die exzellente Synchronisation hebt Deep Silvers Adventure weit über den Durchschnitt hinaus. Neben meinem Alltime-Favourite Indiana Jones and the Fate of Atlantis bekommen Max und Nina in meinem Genreregal einen Ehrenplatz. Ich freue mich schon jetzt tierisch auf den bereits angekündigten Nachfolger. Meiner Meinung nach verdient Tunguska eindeutig eine 9.

Die Geheimakte ist übrigens noch nicht geschlossen: Deep Silver hat bereits die Entwicklung eines Nachfolgers angekündigt.

8 / 10

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