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Tales of Berseria - Test

Aus dem Licht in die Dunkelheit

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Berseria zeigt in den Figuren wie auch der Handlung viel Mut, der bei der Spielwelt fehlt. Zum Glück hält der großartige Kampf es zusammen.

Was waren denn das für 40 Stunden? Das war kein Tales-Spiel. Ich weiß nicht, was das war, aber es hatte nichts zu tun mit der immer seichteren, netten, durch und durch positiven Attitüde praktisch aller Tales-Helden, die vor Berseria kamen. Und meine Güte, war das gut. Nichts wird gespoilert. Wer das spielen will, soll die ganze Ladung Misanthropie, Zynismus, Unmoral, Konflikt, aber auch ein wenig Humor dieser Heldentruppe mitnehmen. Ich tue nur wenigen in diesem unwahrscheinlichen Grüppchen Unrecht, wenn ich behaupte, dass sie nicht mal anführen können, dass der Pfad in die Hölle oft über gute Absichten führt. So gut sind diese bei kaum einem, weder dem berüchtigten Piraten, der eigentlich nur zu seinem blutigen Geschäft zurückkehren möchte, noch einem Dämon auf kleinem oder einer Heldin auf ganz großem Rachefeldzug. Nach ihr die verbrannte Erde, Freunde sind für Anfänger, Verbündete ein manchmal nützliches Übel. Wenn es ein durchgängiges Motiv in diesem Spiel gibt, dann wohl Rache um jeden Preis.

Teile des Charakterdesigns gehen in die für die dunkle Handlung richtige Richtung...

Das über eine so lange Spielzeit interessant zu halten ist keine leichte Aufgabe. Das Feuer muss glaubhaft in den Handelnden brennen, sonst dümpelt alles schnell im Grind vor sich hin und ist vergessen, bevor es zum Showdown kommt. J-RPGs fallen oft in diese Grube und schaffen es im Laufe ihrer fast grundsätzlich epischen Spielzeit selten, wieder rauszukrabbeln und erneut Fahrt aufzunehmen. Tales of Berseria braucht das gar nicht, da es alle Chancen elegant umgeht, zu sehr vor sich hin zu mäandern. Sicher, es ist keine Action-Handlung, es sind immer noch drei bis vier Dutzend Stunden an Laufzeit. Aber ihr wisst durchgehend, was ihr gerade tut, wo ihr seid und vor allem warum ihr es tut. Und zwar etwas genauer und eindrücklicher als "weil das so ist in unerklärtem Nebenplot 28". Ihr erfahrt viel über die Hintergründe der Figuren, das aber nicht mal in der üblichen Schnellexposition, sondern auf recht elegant zurückhaltende Art, die sowohl ihr Wesen erklärt, als auch ihrem Verhalten eine Bedeutung gibt. Am Ende steht ihr vor einem emotionalen Scherbenhaufen von einer Party und akzeptiert, dass zumindest für manche der Weg in besagte Hölle klar ist und gegangen werden muss, um eine Art Himmel zu erreichen. Und ja, religiöse Motive sind wie so oft im J-RPG stark in die Handlung eingebunden.

So weit, so fantastisch für alle, die mit Kulleraugen keine Probleme haben oder den Anime-Stil schätzen. Ich sehe das indifferent, ein möglicher Stil unter vielen, und rein qualitativ wird hier sehr Routiniertes in Charakterdesign und Animationen abgeliefert. Nur, so düster er auch für Tales-Verhältnisse sein mag, er ist für seine Handlung und die Figuren nicht düster genug. Anime kann weiter gehen, und das wäre für ein Tales ein noch mutigerer Bruch gewesen. Nicht "nur" in der Art und Stimmung der Handlung, auch in seinem visuellen Gefühl. Gerne auch der Musik, die ich als das üblich hochwertige Nichtssagende, das sich im Genre eingenistet hat, bezeichnen würde. Ein stilistischer Spin-off wäre vielleicht ein interessantes Projekt gewesen.

... aber zu viel ist immer noch sinnloses Sexy-Cosplay und ein zu bunt-generischer Tales-Stil.

Ist man im Stil noch nahe an den zahlreichen Tales, die vor diesem kamen, aber nicht ganz im üblichen Ton, sorgt das eigentliche Spiel für Gewissheit, welche Serie da im Laufwerk liegt. Ein guter Teil der Zeit, die ihr nicht in durchaus brauchbar geschriebenen Dialogen verbringt, findet auf dem Schlachtfeld statt. Die neueste Iteration des Systems nennt sich Liberation-Linear-Motion-Battle-System - LLMBS -, und das bedeutet, dass ihr wie bei jedem Tales eine Art Mischung aus Beat-'em-up-Bewegungen, MMO-Reichweiten, Active-Time-Rundenattacken und vielen, vielen bunten Effekten vor euch habt. Dazu diesmal die Möglichkeit, die Kamera frei zu drehen, wie auch mit der Figur noch etwas freier auf dem eingezäunten Schlachtfeld herumzuflitzen.

Die Würze darin sind wie immer in Tales die Artes-Spezialangriffe - auch wenn ich glaube, dass sie irgendwann mal anders hießen -, die sich über Charaktere verteilt gut ergänzen. Nehmt noch die neuen Soul-Kräfte dazu, bei denen Velvet erst einen Balken über Seelenraub füllt, einen fünften Charakter, der im Kampf für Specials gerufen werden kann, und ein paar andere Eigenheiten - dann bekommt ihr diese ganze eigene Mischung aus genug Action, genug Tiefe und manchmal etwas zu viel Chaos. In einer Version, die noch etwas polierter und flüssiger läuft, nicht zuletzt dank der noch mal geschliffenen, alte Hürden endgültig entfernenden Tastenbelegung. Kurz gesagt: Wenn ihr mit gezogenem Schwert antretet, dann zeigt Berseria am besten, was für ein gutes Spiel es sein kann.

Selbst in den hübschen Momenten zeigt sich die Welt Genre-typisch immer noch ganz schön leer.

Als klassisches Weltenerkunder-RPG reißt es dagegen keine Bäume aus. Ihr habt eine eher funktionale Weltkarte und vor allem eine fast klischeehafte Auswahl an nichtssagenden Orten. Lineare, generische Dungeons wechseln sich mit tristen Sümpfen ab, das obligatorische Blumenmeer muss dabei sein. Für ein Tales, dessen Handlung so weit neben der üblichen Spur läuft, scheint es erstaunlich viel Panik zu haben, mir auch nur einen einzigen wirklich interessanten Ort zu zeigen. Sicher, alles ist tolerabel bis durchaus akzeptabel, aber das sollte bitte nicht der Maßstab für das jetzt schon garantierte nächste Tales sein. Immerhin habt ihr ein paar Minispielchen hier und da, eine Arena für das immer willkommene Bisschen an Extra-Grind und Sammel-Items mit Katzenohren, die ja bekanntlich alles besser machen. Trotzdem, als Spielwelt gehört Berseria in die Kategorie des zumindest noch Überdurchschnittlichen ohne darüber hinausgehende Ambitionen.

Was die Sprachbarriere angeht: Die Sprachausgabe ist gut, aber sie ist erwartungsgemäß nur in Englisch oder Japanisch zu haben. Die deutschen Untertitel sind jedoch solide und keiner muss sich fürchten, dass ihm etwas entgehen könnte. Außer natürlich zeitgemäße Grafik, denn ganz ehrlich: Das hier ist visuelle PS3-Zeit. Nicht, dass das hier wirklich schlimm wäre. Wir haben uns ja daran gewöhnt.

Hoverboards und Kartenminispiele. Egal wie düster ein J-RPG wird, auf manche Dinge ist Verlass.

Tales of Berseria kann man auf zwei Arten sehen. Wer in erster Linie seine Spielmechaniken betrachtet, wird nicht viel finden, was es von seinem letzten halben Dutzend Vorgänger abhebt. Das Kampfsystem wurde etwas mehr geschliffen, ein, zwei Mechaniken kamen hinzu und es funktioniert hervorragend. Außerhalb davon ist es das übliche Abklappern der Dungeons, der Level-Grind, alles, was zu einem J-RPG heute und teils schon immer eben dazugehört, vor allem im technischen Low-Budget-Bereich. Wo es sich jedoch dramatisch abhebt, das ist die zweite Sichtweise, der Blick auf die Charaktere und die Handlung. In der Welt des Genres fühlte es sich zuletzt immer austauschbarer an, immer vorhersehbarer, und Berseria weicht klar von der Route ab. Manchmal etwas zu plakativ und mitunter sehr gewollt, aber trotzdem: Es geht einen sehr dunklen Pfad und diesen nicht nur erstaunlich konsequent, sondern auch mit genug Raffinesse, sich in der langen Spielzeit nicht zu verlieren. Tales of Berseria ist ein trotz seines Desinteresses an einer spannenderen Spielwelt ein ausgezeichneter Vertreter des Genres, ganz sicher das interessanteste Tales seit sehr langer Zeit und aus meiner persönlichen Sicht sogar das beste Spiel der Reihe. Tales, est. 1995: JRPG, wie es sein soll. Das gilt wieder mal.


Entwickler/Publisher: BANDAI NAMCO Studios/BANDAI NAMCO - Erscheint für:PS4, PC - Preis: ca. 50 Euro - Erscheint am: Erhältlich - Sprache: Deutsch (Untertitel), Englisch und Japanisch (Sprachausgabe) - Mikrotransaktionen: Ja (Items, Extra-XP, Kostüme)

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