Tales of Vesperia
Ernstzunehmende Freakshow
Ok, was haben wir denn da: Ein androgynes Mischwesen auf halbem Weg vom Jungen zur Frau. Auch Held genannt. Eine Prinzessin, zu nett für diese Welt. Einen geschätzt 10jährigen Monsterjäger mit Riesenaxt. Einen Hund, der Pfeife raucht und ein Schwert benutzt. Kinder, der Zirkus muss in der Stadt sein, die Freaks sind schon da.
Und trotzdem kann ich diesem Cast, der noch dazu den Charme von Heidi auf Cellshading in den umfangreichen Cutscenes verströmt, die hier erzählte Geschichte abkaufen. Eine mit durchaus ernsten Themen um eine gespaltenen Gesellschaft, gefangen zwischen einer völlig der Realität enthobenen Oberschicht und den unterdrückten Armen in der Gosse. Die einer korrupten Regierung, einer aus der Balance geratenen Umwelt und einigem mehr, das man normalerweise nicht inmitten solch wunderlicher Gestalten erwarten würde.
So viel sei nach dem ersten Eindruck verraten, die Geschichte von Tales of Vesperia, dem inzwischen elften Spiel der Tales-Reihe – zumindest wenn man ein gutes Dutzend Spin-Offs außen vor lässt –, dürfte definitiv zu seinen Stärken gehören. Selbst wenn es damit beginnt, dass der Held eine Prinzessin rettet und nichts abgenudelter ist als dieses Klischee. Aber man kommt schnell drüber weg und hinaus in die weite Welt.
Auf der riesigen Karte seht Ihr nicht nur die Attraktionen in Form von verwunschenen Wäldern, mittelalterlich angehauchten Festungen und schnuffigen Dörfchen von weitem – ja, es ist Fantasykitsch, ich liebe es und ich steh dazu –, sondern auch die Monsterhorden, derer es wahrlich nicht zu wenige geben wird. Ein bunter Zoo seltsamer Gestalten in Form kugeliger Ratten, riesenhafter Federwildschweine und angriffslustiger Karotten stellt sich Euch entgegen. Und bei einigen solltet Ihr Euch nicht von niedlichen bis kuriosen Look täuschen lassen: Die Biester können richtig gut austeilen.
Die allererste Kampferfahrung in Tales of Vesperia zeigt Euch, wie dieses System nicht funktioniert. Mit nur einem Charakter seid Ihr dem Untergang oder zumindest extremer Genervtheit geweiht, da Ihr kaum Möglichkeiten habt, den Attacken mehrerer Feinde zu entgehen. Mit mehreren Mitstreitern verbessert sich das glücklicherweise schnell und drastisch, was aber nichts daran ändert, dass Deckung eine große Rolle in dem Action-System spielt. Sie zu vernachlässigen bringt Euch sichere Niederlagen ein. Blockt und geht dann in den Counter über, mit einer Kombination aus normalen Attacken gefolgt von Arts-Angriffen. Diese Spezialfertigkeiten in Form aller möglichen Angriffs und Zauberattacken lernen die Helden nach und nach automatisch und in Abhängigkeit eines vielseitigen Systems über verschiedene Kategorien.
Dank des Evolved Flex-Range Linear Motion Battle System – ein hoffnungslos überkandidelter Begriff dafür, dass Ihr frei auf dem Schlachtfeld herum rennen dürft – sollte die Dynamik stets erhalten bleiben und es damit gerade in größeren Gefechten sogar ein wenig zu viel des Guten werden. Mitunter war nicht immer klar, wer gerade mit wem verkeilt war und unfreiwillig Treffer mussten eingesteckt werden, weil beim besten Willen nicht erkennbar war, wer mich gerade attackierte. Da Ihr Euch aber nur um Eure gerade gelenkte Figur kümmern müsst und die KI der Mitstreiter auf den ersten Blick einen soliden Eindruck hinterließ, sollte sich das Problem trotzdem in Grenzen halten.
Die Rückkehr des Over Limit-Balkens mit besonders effektiven Burst Attacken sorgt für beeindruckende Schadenszahlen und auch wenn es sich etwas zäher spielt als das schnellere und flexiblere Bewegungssystem aus beispielsweise Star Ocean, machte es doch schon jetzt eine Menge Laune, Monsterhorden aufzumischen und damit einhergehend natürlich ganz klassisch hochzuleveln. Spätestens sobald Ihr mittels alles vernichtender Fatal Strike Chains aufräumt, springt der Funke über.
Tales of Vesperia wird wieder ein echtes Tales und sollten Euch die ersten zehn Spiele so gar nicht zugesagt haben, dann braucht Ihr auch jetzt nicht in innere Unruhe verfallen. Ganz im Gegensatz zu der Fangemeinde, die mit dem gelungenen Überkitsch des Animelooks gut zurecht kommen sollte. Story und Kampfsystem brauchten zwar eine Stunde, um in die Gänge zu kommen und ihre Stärken und Neuerungen zu präsentieren, dann zog beides aber deutlich an. Ich muss sagen, dass ich mich nicht ohne Bedauern fürs erste aus Vesperias Welt verabschiedete und schon jetzt freue, Ende dieses Monats zu sehen, ob das Spiel die viel versprechenden Ansätze bis zum Ende durchhält.
Tales of Vesperia erscheint am 25. Juni für die Xbox 360. Eine PS3-Version ist prinzipiell angekündigt, aber noch nicht mit einem Release-Termin versehen. Kann noch dauern...