Tales of Xillia - Test
Konservativ ist doch nicht schlecht, oder?
Machen wir es ganz kurz und schmerzlos. Ihr mögt das klassische Japan-Rollenspiel? Ihr habt das Kampfsystem der Tales-Reihe seit seinem Start 1995 schon mal gesehen und könnt was damit anfangen? Innovation ist in dem Moment, in dem ihr Frage Eins und Zwei mit Ja beantwortet habt, etwas, das besser anderen Spielen passieren sollte? Super, kauft Tales of Xillia und schließt euch für ein sehr langes Wochenende ein.
So einfach kann es sein, sobald eine Serie derartige Verlässlichkeit an den Tag legt. Tales war immer und mit nur wenigen Ausnahmen wie dem letztjährigen Graces f eine ebenso sichere wie hochkonservative Bank für eine Heldenfahrt, wenn Joseph Campbell die Nebenquest gekannt hätte, gemischt mit viel Hochleveln, strategischen Echtzeitkämpfen im Überfluss und viel zu jungen Charakteren.
Nun, zumindest Letzteres wurde ein wenig zurückgefahren, auch wenn nicht alle in der Crew von Xillia alt genug sind, um Bier kaufen zu dürfen. Die weibliche Hälfte des zentralen Heldenduos wird zwar irgendwo mit 24 angegeben, da sie aber eigentlich ein uralter Schutzgeist in gesellschaftlich akzeptabel gewählter Form ist, zählt das aus meiner Sicht nicht wirklich. Der andere Part entspricht vor allem in den ersten Stunden aller Klischees des Genres, es ist der 17-jährige unwahrscheinliche Held, der ins Abenteuer torkelte und sich zurechtfinden muss. Zur Ehrenrettung von Jyde - im Original Jude - muss ich sagen, dass er seine Rolle aber weit schneller findet, als ich es erwartet hatte und die Reise mit ihm und dem Geistwesen/Holde Weiblichkeit Milla einen weit weniger schmerzhaft prä-adoleszenten Einstieg nahm.
Es dauert. Aber es lohnt sich.
Das ist auch das Gute, was ich über die ersten Stunden von Xillia sagen kann. Für Stunden schleppt ihr euch in Zeitlupe durch diese inhaltlich eigentlich simple Exposition, bis dem Spiel scheinbar einfällt, dass man mit den Charakteren ja auch mehr machen kann, als sie nur die übliche Weltrettungs-Geschichte ablaufen zu lassen. Diese beginnt denkbar banal: Irre Wissenschaftler und machthungriger Staat bauen Superwaffe und bedrohen das Gleichgewicht der ganzen Welt. Habe ich schon mal gehört. Irgendwo. Wo nur. Oh. Richtig. In jedem Japan-Rollenspiel vor diesem. Gefühlt zumindest. Dann jedoch muss irgendwas am Schreibtisch der Autoren passiert sein und plötzlich laufen die Figuren nicht mehr nur nebeneinander, sondern machen weitestgehend sogar glaubwürdige Charakterentwicklungen miteinander durch. Ihre eigenen Hintergründe und Schwächen werden in die Geschichten eingebunden und zum Ende hin muss ich zugeben, dass ich Interesse an dem hatte, was da passierte. Ich wollte wirklich wissen, wie es ausgeht. Schade, dass Xillia sich selbst zuerst diese „Oh, wie öde!"-Hürde der ersten Stunden aufbaut. Vielleicht sucht auch ein Spiel manchmal eine Herausforderung.
Ein Punkt, der dieser nach hinten hinaus immer lohnenderen Entwicklung der Figuren jedoch immer mehr in die Parade fährt, ist die Art, wie das JRPG seine Dialoge umsetzt. Während sich Firmen wie Naughty Dog um immer lebensechtere und glaubwürdige Gespräche bemühen, läuft das hier immer noch ab wie ein schlecht inszeniertes Kammerspiel. Man kann den einzelnen Akteuren nicht mal die Schuld geben. Ausnahmsweise wurden mal alle englischen Sprecher mit Bedacht gewählt und passen perfekt zu den Figuren. Der Austausch selbst ist jedoch einschläfernd. Satz, Pause, Gesichtsmimik, Pause, Antwort, Mimik, Pause, Satz, Pause, Mimik. Es entsteht nie ein natürlicher Redefluss. Zu Zeiten der Text-Quader in der 16-Bit-Zeit war das ja alles ok, aber inzwischen sollte das anders ablaufen.
Was dem harten Fan sauer aufstoßen dürfte, ist die Abwesenheit der japanischen Tonspur. Stattdessen gibt es nur die englische mit erzwungenen deutschen Untertiteln, es fühlt sich schon ein wenig nach einer DVD der ersten Stunde an. Auch sonst ist die Präsentation kein Technikrausch. Immer noch wirken die weitläufigen Areale der nach der steampunkigen ersten Stadt doch recht handelsüblichen Gebiete sehr leer und verlassen, nur einzelne NPCs warten geduldig auf Ansprache, um ihre obligatorischen Sätze loszuwerden. Ni No Kuni war da zumindest etwas weiter. Auf die Oberwelt wurde diesmal verzichtet, stattdessen lauft ihr nur interessante Punkte an und sucht euch dort eure Gegner.
Mehr Balance.
Die Kämpfe gegen diese wirken auf den ersten Blick sehr vertraut und das ändert sich auf den zweiten auch nicht so sehr. Tales bleibt Tales, was bedeutet, dass jeder Kampf in einer Art Arena stattfindet, in der sich Freund wie Feind frei bewegen dürfen, um ihre Kontrahenten zu wählen, die Attacken zu landen oder diesen zu entgehen. Dass es trotzdem mehr ein taktisches statt ein Action-System ist, liegt daran, dass Angriffe und Konter-Manöver mehr von der nicht unbedingt geschicklichkeitsabhängigen Auswahl dieser abhängen. Dass die KI auf eurer Seite durchaus was kann, vor allem, sobald ihr sie zuvor richtig instruiert - was dank zahlreicher Einstellmöglichkeiten gut funktioniert -, ist wichtig, da ihr immer nur eine Figur dirigieren könnt. Solltet ihr Xillia mit ein paar Freunden erleben, bleiben sie nicht außen vor, sondern übernehmen dann die anderen Figuren, aber nur im Kampf. Eine nette Variante, um ein eigentlich komplett einsames Solo-Vergnügen, das dieses Genre nun mal sonst darstellt, erneut etwas geselliger zu machen.
Solltet ihr Xillia mit ein paar Freunden erleben, bleiben sie nicht außen vor, sondern übernehmen die anderen Figuren.
An den Grundlagen rüttelt Xillia nicht, sondern baut stattdessen die Interaktion der Figuren im Kampf aus. Praktisch alle Charaktere haben bestimmte Tag-Team-Moves, sobald sie zusammen in der Arena stehen. Während der eine die magische Deckung des Gegners durchbricht, sichert der andere seinen so nah an den Feind heranrückenden Freund mit Schutzzaubern. Spezielle Kombo-Blocks halten Attacken auf, die jede einzelne Figur fällen würden, zwei Angriffe kombinieren sich zu einer besonders starken Attacke und so weiter. Gerade bei den Bosskämpfen bringt dies eine weitere Ebene mit ein, die dafür sorgt, dass das Spiel über seine mit etwa 20 Stunden für das Genre ja fast schon kurze Spielzeit interessant bleibt.
Beim Balancing der Kämpfe hat sich zum Glück einiges getan. Das Grundproblem des JRPG, dass alle Kämpfe außer den Bossen eigentlich nur Level-up-Futter sind und praktisch nie verloren werden, außer ihr wollt es wirklich, beseitigt auch Xillia nicht. Aber im Gegensatz zum direkten Vorgänger Graces f ist es nun nicht mehr so, dass diese nur noch Autopiloten-Langeweile sind, während ein Boss euch dann plötzlich vernichtet und zum Leveln zurückschickt. Spielt ihr Xillia normal und weicht nicht jedem Feind aus - was oft eh gar nicht so einfach ist -, seid ihr bei den Bossen in der richtigen Verfassung, um eine gute Chance zu haben. So spielt es sich weit flüssiger.
Doppeltes Durchspielen erwünscht.
Beim Leveln warf man scheinbar einen Blick auf die Konkurrenz und was Final Fantasy XIII beim linear verkorksten Crystarium falsch machte. Hier gibt es auch Kristalle auf einer Ebene, aber sie sind wie ein Spinnennetz angeordnet, bei dem ihr die Knotenpunkte freischaltet, darüber Attribute steigert und durch die richtige Verbindung neue Fertigkeiten freischaltet. Jeder nach außen führende Strang ist grob einem Attribut zugeordnet, sodass ihr bei einem Kämpfer die Stärke-Ecke mehr ausbauen werdet, aber euch vielleicht auch ein paar andere Talente durch gezieltes Freischalten dazuholen möchtet. Es ist ein recht hohes Maß der Individualisierung, was Xillia bietet, eine Richtung, die das Genre insgesamt gerne weiterverfolgen darf, nicht zuletzt, weil ihr dieses Spiele eigentlich zweimal hintereinander spielen sollt.
Gleich zum Start müsst ihr euch zwischen Jyde und Milla als euren Hauptcharakter entscheiden. Und auch wenn die Geschichte sich nicht grundlegend ändert, erhaltet ihr für beide jeweils viele Einblicke, wie es zu bestimmten Situationen kommt und wie sie sich aus der Sicht des jeweils anderen ausspielen. Den Gedanken mag ich wirklich, aber er hätte noch tiefgreifender sein können. Beide Figuren sind ein wenig zu nah aneinander dran, um für mich die nochmalige Spielzeit am Ende wirklich zu rechtfertigen, ich hätte hier gerne mehr Überraschungen gehabt. Trotzdem, der Gedanke ist gut und sicher etwas, was Tales in kommenden Teilen noch intensiver und vielleicht geschickter aufgebaut weiter verfolgen sollte.
Tales of Xillia ist Fan-Service der besten Art. Keiner, der bisher kein JRPG anfasste, wird mit diesem anfangen. Jeder, der Kulleraugen gerne mit vielen Kämpfen verbunden sieht, wird hier glücklich. Ich hänge da ein wenig zwischen den Stühlen. Ich will Xillia seine im Genre extrem hohe Qualität gar nicht absprechen. Das Level-System ist eine echte Stärke, alle Figuren sind zwar ebenso authentisch wie klischeebehaftet, sind sich dessen aber bewusst und spielen ein wenig damit. Das Kampfsystem legt dank des besser austarierten Schwierigkeitsgrades wieder deutlich zu, die Geschichte legt nach einem schwachen Start extrem zu. Es gibt vieles, das man an Xillia mögen kann. Aber der eigentliche Aufhänger, die beiden getrennt spielbaren Geschichten, ist nicht die Entwicklung, die mir wichtig gewesen wäre. Ich würde gerne durch nicht mehr nur sterile, leere Gegenden laufen. Ich möchte Dialoge sehen, die zumindest mit einem Minimum an Dynamik inszeniert werden, zumal sie ja hier teilweise wirklich gut geschrieben sind. Ich möchte mehr Leben in diesen Welten sehen. Sie so sehen, wie sie in ihren hübschen Anime-Sequenzen gezeigt werden. Zu PS1/2-Zeiten war das sicher ein ferner Traum und es muss ja auch nicht gleich Witcher-2-Level erreichen. Aber Ni No Kuni war eben ein zarter Schritt in diese Richtung und Xillia hängt da hinterher. Trotzdem, nach Graces f haben mich die inneren Werte Xillias wieder mit der Serie versöhnt, sodass ich mir so unterhalten gerne ansehe, wo es dann auf der PS4 mit Tales hingehen mag.