Tearaway Unfolded (PS4) - Test
Kann man eigentlich zu viele Ideen haben?
In vielerlei Hinsicht mag vor allem der Retro-Spieler in mir dieses kleine, quirlige Tearaway. Es fühlt sich oft an wie ein Plattformer, der noch aus der der 3D-Frühzeit stammt. Nicht weil es so aussieht, ganz im Gegenteil, sondern, weil es sich ein wenig so spielt. Es scheint experimentieren zu wollen, was man alles tun kann, scheint erkunden zu wollen, was sich jenseits des Hüpfens in diese gefühlt neue Dimension einbinden lässt. Maskottchen-Charakter hat es eh und vor allem immer wieder keinen Plan, wie so eine Kamera in einer 3D-Umgebung funktioniert.
Wie schon damals schiebt sich erstaunlich oft ein Teil der hübsch papiernen Landschaft direkt in den Sichtbereich, während ihr mit dem rechten Stick herumhantiert, um den mitunter im Bewegungsraum begrenzten Bereich zurechtzurücken. Das ist so etwas wie der Klassiker unter den freien Kameras und wer weiß, ob er jemals ausgemerzt sein wird. Viel eigenwilliger jedoch ist, dass die Figur der Bewegung der Kamera folgt, obwohl ihr den Finger am Stick ruhig in eine Richtung haltet. Oft genug schwenkt die Kamera dem einen oder anderen gewundenen Weg nach, um etwas Bewegung in die Perspektive zu bringen. Was ja nicht weiter verwerflich ist. Statt jedoch einfach in der Mitte des Weges zu bleiben, also der ursprünglich gestarteten Bewegung zu folgen, beschriebt euer Papiermännchen eine etwas angeschickerte Kurve. Bei breiten Bahnen meist nie ein Problem. Bei den schnellen Sprungfolgen und schmalen Graten des letzten Drittels? Schon etwas nerviger. Aber dank seiner mehr als großzügigen Rücksetzpunkte, unendlich Leben und auch sonst vergebenden Art kein Beinbruch.
Außerdem hat das mit dem Vergleich der experimentelleren Phase der 3D-Plattform-Welt ja auch mehr als genug positive Seiten. Zum Beispiel seine extreme Freude an immer wieder neuen Bewegungen, Elementen und abwechslungsreichen Einlagen zwischendurch. Kurz mal Hüpfen, dann im Schweinsgalopp durch Gegner hindurch, hier mal ein Puzzle, da mal mit einem magischen Akkordeon im Saug-Blas-Strafing-Dauerfeuer, dazwischen eine Runde auf einem Papierflieger über einen Piratenozean. Das kann manchmal sogar fast ein wenig zu viel des Guten sein, wenn mitunter der Spielfluss arg ausgebremst wird. Eigentlich würde man ja gerne noch ein wenig hüpfen, puzzeln oder sonst was tun, aber wie ein kleines Kind in einem Spielwarenladen springt das Spiel schon wieder zum nächsten Element. Was bei Mad Max zuletzt zu wenig war, hat Tearaway im fast schon zu reichlichen Überfluss.
Das liegt auch daran, dass es nach wie vor bestrebt ist, jedes einzelne Element des PS4-Controllers ausreizen zu wollen und das gerne auch auf mehr als eine Variante. Das geht so weit, dass einer der neuen Level, die das Spiel auf knappe acht Stunden strecken - strenger Dauerlauf, wer gucken will, was ja auch dringend angeraten ist, verweilt länger im Papierland -, insoweit komplett dem Eingabegerät gewidmet ist. Wortwörtlich, nicht im übertragenen Eingabe-Sinn. Davon gibt es auch mehr als genug und kein anderes Spiel nutzt das Leucht-Feature so präzise und geschickt wie Tearaway. In dunkleren Bereichen - sehr relativ zu verstehen - leuchtet ihr mit dem breiten Dreieck und mit Motion-Bewegungen das Feld aus. Das wiederum verwirrt manche Feinde und hypnotisiert andere, sodass sie glücklich grinsend und geblendet in den Abgrund hopsen, wenn ihr sie dorthin lockt. Dabei sind sie so dermaßen verdammt niedlich, dass es einem in der Sekunde fast ein wenig leid tut.
Das Tilt-Feature des DualShock wird erst erstaunlich spät und dezent genutzt, um ein paar Wippen zu bewegen, was auch tadellos funktioniert, nur eines der ursprünglichen Gimmicks, das Zeichnen von kleinen Elementen, die dann in die Welt gepappt werden, läuft auf dem winzigen Touchpad nicht ganz so sauber. Die Krone, die ich als eine der ersten Eigenkreationen dem Eichhörnchenkönig verpasste - definitiv eine der normalsten Gestalten hier -, hätte man nicht mal einem Dreijährigen als solche abgenommen, aber keine Sorge: Dem Spiel ist das egal. Der Nagerkönig freute sich trotzdem einen Keks und vor allem solltet ihr euch die App für ein Smartdevice herunterladen. Mit der funktioniert das Malen weit besser als je zuvor und eure Kreationen sehen nach den Sachen aus, nach denen sie aussehen sollen. Mehr oder weniger.
Erhalten bleib natürlich der ganz eigene Papier-Stil von Tearaway, der weit mehr ist als nur ein frischer Look. Mit einer Fingerbewegung über das Touchpad verursacht ihr einen Windstoß in diese entsprechende Richtung, was oft und gern für kleine Puzzles und Geschicklichkeitseinlagen genutzt wird. Ein Luftzug reißt einen Aufkleber von einer zuvor unbenutzbaren Sprungplattform ab, kippt einen Turm um und verwandelt ihn in eine Brücke, klebt eine Tapete an die richtige Stelle, um einen Weg freizugeben.
Erstaunlich selten spielt man mit der Zweidimensionalität der oft flachen Welt, die ja eigentlich ein Papier-Diorama ist. Nur an einer Stelle kam das ins Spiel und dann zeigte sich, dass Tearaway Unfolded wirklich gut für Kinder oder zum Spielen mit Kindern geeignet ist. Sie denken manchmal einfach unkomplizierter. Ihr steht vor einem Schlosstor, durch das Iota nicht einfach durchlaufen kann. Ich, der altgediente, erfahrene Veteran, vermutete sofort ein trickreiches Puzzle und begann mich umzusehen, fand aber keinen Lösungshinweis. Der kindliche Vorschlag von der Seite, sich doch einfach zwischen den Torstreben durchzuquetschen, wurde mit einem milden Lächeln quittiert. Aber genau das war die Lösung. Dreht die Figur seitlich und „strafed" durch das Tor. Fertig. Kinder gucken halt oft unkomplizierter auf die Dinge in der Welt und manchmal liegen sie damit völlig richtig.
Ihr dürft also jede Menge Kreativität im Ablauf erwarten, dass ihr alle paar Minuten was Neues probieren dürft, auch und sogar ein paar Dinge, die ihr bisher so in keinem Spiel getan habt. Was ihr aber auf keinen Fall erhoffen solltet, ist ein Technik-Hingucker. Stilistisch mag Tearaway noch so niedlich und kreativ sein, die monströsen Texturen, besonders gut bei den zahlreichen Fehlleistungen der Kamera ins Bild gerückt, sind definitiv nicht PS4-würdig. Seid aber nicht zu streng und genießt stattdessen lieber die hinreißende Musik-Auswahl, die zwischen Irish Folk, Polka und was zur Hölle auch immer das für Rhythmen sind leichtfüßig hin und her hopst, ganz wie es auch der Spielablauf tut. Immer wieder zwischendurch mal nicht spontan gute Laune zu bekommen, ist dabei fast unmöglich.
Tearaway ist eine Wundertüte der Ideen und meist werden diese sogar in eine solide spielerische Form gegossen. Wie schon gesagt, es erscheint einem wie ein Spiel aus den frühen Tagen des 3D, als alles noch probiert wurde. Hier werden jedoch zig Konzepte teilweise im Minutentakt abgeritten, aus jedem Einzelnen hätte man damals ein komplettes Spiel gemacht. Das hat den Vorteil, dass selten an Langeweile auch nur zu denken ist, aber auch den Nachteil, dass eben der Spielfluss der einzelnen Abschnitte immer gern mal etwas zu früh vom nächsten Einfall der Designer unterbrochen wird. Dazu nutzt es wie kaum ein anderes so konsequent wie auch geschickt die Eigenheiten des PS4-Controllers und dass auf eine Art, die sogar ich als Kostverächter solcher Dinge gutheißen kann. Da kann man sogar verschmerzen, dass wohl auch die Kamera dieses eigenwilligen Hüpf-Puzzlers aus der frühen Phase der dritten Dimension stammt. Man ist einfach zu oft ein klein wenig auf genau die richtige Art verzaubert, um es Tearaway übel zu nehmen, dass es einen mal wieder schuldlos in einen Abgrund schubste.