Test zu Blade Runner: Enhanced Edition - Ich nenne sie lieber "Verschlimmbesserte Edition"
Wenn der Klassiker besser ist als die Neuauflage.
Blade Runner ist nicht nur ein famoser Film mit einem in jeder Hinsicht mindestens gleichwertigem Nachfolger. Es ist auch ein großartiges Spiel, das seinerzeit in Sachen cineastischer Präsentation Maßstäbe setzte. Denn die von Westwood (ganz richtig: die Erfinder der modernen Echtzeitstrategie) geschaffenen Kulissen fingen Design und Atmosphäre des Films so gekonnt ein, dass die Welt von Rick Deckard, Rachel und Eldon Tyrell trotz spätestens heute klar erkennbarer technischer Grenzen sehr überzeugend zum Leben erweckt wurde.
Von langsam drehenden Ventilatoren gewälzter Rauch, riesige Videowände über leuchtenden Neontafeln und schwebende Fahrzeuge zwischen den Wolkenkratzern einer ewig finsteren Stadt: Das Spiel übertrug das ikonische Artdesign in ein interaktives Abenteuer, das sich auch erzählerisch nah ans Original hielt. Dabei spielt Deckard hier nicht die Hauptrolle. Bekannte Charaktere tauchen nur hin und wieder auf, während man als Deckards Kollege Ray McCoy parallel zur Handlung des Films einen ganz anderen Mordfall untersucht. Die Geschichten kreuzen sich nur am Rande, drehen sich aber um ähnliche Probleme und natürlich geht es auch im Spiel um die Frage: Wer ist Mensch und wer ein künstlich erschaffener Replikant?
Der Lösung nähert man sich in einem klassischen Point-and-Click-Adventure, indem man an Tatorten Indizien sammelt, Verdächtige verhört, Fotos auf versteckte Hinweise untersucht und schließlich die Entscheidung trifft, welcher Wahrheit man glaubt und welche Seite man unterstützt – was deshalb knifflig ist, weil für alle wichtigen Charaktere mit Beginn jedes neuen Spiels vom Zufall bestimmt wird, wer von ihnen Replikant ist und wer ein Mensch. Da man bei Befragungen zudem auf verschiedene Art mit den Personen reden kann und in manchen Situationen entscheiden kann, ob McCoy eine Waffe zieht oder gar schießt, entwickelt sich der Fall immer anders, was Spielern zum einen ein angenehmes Maß an Entscheidungsfreiheit verschafft und der Erzählung die aus dem Film bekannte Unsicherheit.
Ist euch das alles neu und ihr wollt diesen Klassiker endlich kennenlernen? Dann schlagt ruhig zu. Trotz der Enhanced Edition sieht man Blade Runner sein Alter zwar deutlich an, im Rahmen dessen überzeugt es allerdings heute noch mit seiner Geschichte und der dichten Atmosphäre. Nur: Kauft am besten die auf GOG erhältliche Version! Sie enthält als einzige nämlich das dank ScummVM hervorragend spielbare Original, während die Enhanced Edition es doch tatsächlich hinbekommt, schlechter auszusehen als die 25 Jahre alte Vorlage.
Gut, dass man heute nicht mehr mit mageren 15 Sekundenbildern Vorlieb nehmen muss (das war schon damals wenig), sondern das Ganze in überwiegend 60 genießen kann, ist natürlich angenehm. Und ich muss zugeben, dass es den Entwicklern der Neuauflage bis auf das etwas umständliche Durchsuchen der Hinweise, Indizien und Verdächtigen sogar sehr gut gelungen ist, die ursprüngliche und auf PC natürlich noch immer vorhandene Maussteuerung aufs Gamepad zu übertragen.
Kein Wunder: Nach Shadow Man, Quake, Turok sowie vielen weiteren Umsetzungen kennt sich Nightdive Studios doch bestens mit dem Restaurieren von Klassikern aus … sollte man jedenfalls meinen. Um dann festzustellen, dass viele Kulissen beim Hochrechnen der Texturen und Effekte so drastisch um Details erleichtert wurden, dass einige Aufnahmen extrem verwaschen aussehen. Schaut euch mal den folgenden Vergleich an und erklärt mir, was genau daran „Enhanced“ wurde:
An einigen Stellen ist es nur dieser bekannte Effekt, dass Texturen in einer niedrigen Auflösung gefühlt mehr Details darstellen als es tatsächlich der Fall ist. An anderen Stellen scheint es aber, als hätte Nightdive massive Milchglasscheiben in den Raum gestellt. Es macht keinen Spaß das zu sehen. Es zerstört zu großen Teilen die für Blade Runner wichtige Atmosphäre. Denn auch einige der Effekte wirken fehlerhaft, etwa vor Howie Lees Sushi-Imbiss, wo die Figuren nicht in dichtem Rauch gehüllt sind, sondern als knallbunte Pappaufsteller davor platziert werden.
Hinzu kommt übrigens ein Phänomen, um das sich die Geister streiten, dessen Wirkung aber von vielen Menschen als eindeutig nachteilig empfunden wird: der Soap-Opera-Effekt, wenn Filme und Serien nicht mit ihrer eigentlichen Rate von meist 24 Bildern pro Sekunde dargestellt werden, sondern mit 60 oder mehr. Das Gesehenen wirkt dann nicht mehr „groß“ und cineastisch, sondern wie eine billige Amateuraufnahme. Dass es sich dabei um reine Gewohnheit handelt, ist logisch – der Effekt greift aber nun mal. Und so sehr ich in Spielen praktisch immer die höher Bildrate bevorzuge: Hier entzaubert das Seifenoper-Empfinden einige der Filmszenen und Übergänge.
Dass einige Kamerafahrten übrigens nach wie vor mit auffallend wenigen Bildern dargestellt werden, ist nicht nur deshalb weniger schlimm. Ich vermute, dass die Umgebung dort, wo das vorkommt, nicht aus dreidimensionalen Objekten, sondern aus vorberechneten Bildern besteht und bei den betreffenden Übergängen lediglich ein paar solcher Bilder wie eine Diashow aneinandergereiht werden – so etwas lässt sich ohne einen kompletten Neubau des Sets nicht flüssiger darstellen.
Solche Ausnahmen sind verschmerzbar. Und das gilt auch für die Tatsache, dass sämtliche Charaktere aufgrund der damals verwendeten Technik (die Figuren bestehen aus teilweise Hunderten übereinandergelegten Querschnittsscheiben) heute noch sehr grobpixelige Zeitgenossen darstellen. Es gibt jedoch Berichte, denen zufolge die Konsolenversionen nicht nur gelegentlich mit einer niedrigen Bildrate laufen, sondern dauerhaft so dargestellt werden. Nun habe ich ausschließlich die PC-Fassung gespielt, aber das solltet ihr vermutlich im Hinterkopf behalten, bis Nightdive irgendwann hoffentlich nachbessert.
Es hört bei der grafischen Verschlimmbesserung ja nicht auf, sondern geht dort weiter, wo der Schießstand wahlweise überhaupt nicht funktioniert oder McCoy einfach nicht auf ein anvisiertes Ziel schießt. Deutsche Sprachausgabe könnt ihr euch ebenfalls abschminken, obwohl sie im Hauptmenü anwählbar ist. Ach, und apropos: Die neuen Menüs sehen absolut furchtbar aus, wie binnen weniger Minuten zusammengeschusterte Platzhalter. In einem visuell starken Spiel haben sie jedenfalls nichts verloren. Schon rein farblich wirkt das helle Blau wie ein Fremdkörper und ich frage mich ernsthaft, was Nightdive da geritten hat.
Aber weiter im Text: Der im Original anwählbare Designer’s Cut, mit dem ähnlich wie im Director’s Cut des Films einige über das Geschehen gesprochene Monologe wegfallen, ist in der Enhanced Edition schlicht nicht vorhanden. Man darf außerdem nicht mehr jederzeit ändern, ob McCoy in Gesprächen höflich, normal, mürrisch oder unberechenbar auftrifft – auf eins davon muss man sich jetzt vor dem Start eines neuen Spiels festlegen. Wobei ich ohnehin meist die fünfte Option wähle, bei der man als Spieler in jedem Dialog freie Wahl über das Gesagte hat.
Nicht zuletzt ist das Absuchen von Fotos nach zusätzlichen Hinweisen in der Neuauflage unnötig enervierend, weil das Scharfstellen jeder Vergrößerung jetzt mehr als doppelt so lange dauert. Konsolenspieler ärgern sich zudem darüber, dass sie ihr Alter Ego nicht frei bewegen dürfen, sondern McCoy immer nur dann losläuft, wenn man einen der Interaktionspunkte anklickt.
Blade Runner: Enhanced Edition – Test-Fazit
Das ist leider eine ganze Menge Ärger, den Nightdive hier verzapft hat. Von einer rundum gelungenen Neuauflage kann ja keine Rede sein – im Gegenteil: Wichtige Teile wurden nicht „enhanced“, sondern geradewegs verschlechtert. Besonders die einst schmutzigen, jetzt übermäßig glatten und stellenweise erschreckend detailarmen Kulissen erweisen dem prachtvollen Klassiker einen Bärendienst. Hinzu kommen technische Probleme sowie die Tatsache, dass der Umsetzung einige Inhalte bzw. Optionen fehlen. Ein Totalausfall ist sie damit nicht. Blade Runner überzeugt trotz der ärgerlichen Abstriche als stimmungsvoller, vor allem inhaltlich starker Science-Fiction-Thriller. Falls die Entwickler einige kritische Fehler ausmerzen, ist die Enhanced Edition ihre zehn Euro zumindest locker wert. Wartet mit dem Kauf nur, bis es so weit ist. Oder holt euch am besten gleich die GOG-Version und spielt damit das im Vergleich deutlich stimmigere Original!