Test zu Evil West: Ein enttäuschend einförmiger – und trotzdem unterhaltsamer Western
Nur für den Kick im Augenblick.
Hättet ihr mich nach einer halben Stunde mit Evil West gefragt, ich wäre hochauf begeistert gewesen. Satte Nahkampf-Action, gewürzt mit knackigem Ballern, ziemlich gut sieht das Ganze auch noch aus – was sollte da schon schief gehen?
Hättet ihr mich allerdings eine halbe Stunde später gefragt, wäre ich beinahe enttäuscht gewesen. Das ist ja immer das gleiche. Kurze Levels, enge Gänge, ständig dieselben Angriffsketten. Wie soll das bitte zehn Stunden lang funktionieren?
Und dann hätte man das zu jedem beliebigen Zeitpunkt wiederholen können, um je nach Spielsituation eine Antwort zu finden, die irgendwo auf dem Spektrum zwischen diesen Extremen liegt. Interessanterweise ist Evil West dem ebenfalls vor kurzem erschienenen The Callisto Protocol nämlich gar nicht unähnlich: Beide sind vor allem auf Dauer recht stumpf, fahren im Kern aber herrlich energiegeladene Action auf, die im jeweiligen Augenblick stets eine Menge Sprengstoff enthält.
Ebenfalls gleich ist beiden Spielen, dass ihr jeweiliges Kampfsystem eins ist, das man in dieser Form noch nicht gesehen hat. Nur die Ziele sind andere, wenn man in Evil West untote Ärsche ins Nirvana boxt und sowohl Werwölfe als auch anderes mythisches Getier in die offenbar nicht ganz so ewigen Jagdgründe tritt. Die Kamera ist dabei immer nah dran, der Ton verleiht dem Vermöbeln einen satten Wumms und vielleicht waren es ja die brutalen Finisher, wegen denen die USK gesagt hat: „Meh, lass ma‘ nur für Erwachsene!“
Aber man prügelt sich ja nicht nur die Knöchel wund. Man lähmt die Kreaturen auch mit einer Art elektrischer Peitsche oder zieht sie damit an sich heran. Ein mächtiger Uppercut haut sie außerdem zwei Meter hoch aus den Latschen, von wo aus man sie mit Elektroschmackes wieder auf den Boden zurückknallen kann, auf dass der Aufprall gleich noch ihre Kollegen brutzelt.
Man könnte ihnen auch hinterher springen, um sie per Folgeschlag quer durch den Raum zu dreschen – praktisch, wenn an der gegenüberliegenden Wand dann mit TNT gefüllte Kisten stehen, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht den geringsten Zweck erfüllen.
Schusswaffen setzen bei alldem nur Akzente, wenn auch wichtige, und funktionieren ohnehin anders als im klassischen Shooter. Man lädt zum Beispiel nicht nach. Das geschieht über Cooldowns automatisch. Abgesehen davon wählt man den gewünschten Projektilverteiler nicht erst aus, um ihn anschließend abzufeuern. Stattdessen lösen verschiedene Tasten damit verknüpfte Waffen direkt aus.
Klingt komisch? Fand ich auch. Sorgt aber dafür, dass sich die Pistolen und Flinten sehr harmonisch in die Nahkampf-fokussierte Action einfügen. Ist ein cooles Prinzip. Ich mag’s!
Ach, ja: Und mit „man“ meine ich übrigens den Vampirjäger, in dessen Stiefeln man durch diesen Horror-Steampunk-Westen latscht. Der heißt – ich denke mir das nicht aus – Jesse Rentier, ist ansonsten allerdings völlig uninteressant. Auch seine Geschichte…
Das Szenario, in dem Vampire gegen eine Menschheit kämpfen, die kurz davor steht mithilfe mächtiger Technologie die Oberhand zu gewinnen, ist klasse. Handlung und Figuren des konkreten Abenteuers sind jedoch wenig mehr als dröge Erklärtexte, warum das nächste Level so oder so aussieht und mit diesen oder jenen Kreaturen befüllt ist.
Und leider zieht sich diese Langweile auch durch das eigentliche Spiel. Denn so launig das Zertrümmern Dutzender Fieslinge sein mag, so schrecklich einförmig geht es vonstatten. Die engen Levels mit ihren kleinen Arenen sind jedenfalls ebenso hübsche wie spielerisch leere Schläuche. Verstecktes Geld belohnt zwar aufmerksames Umsehen, im Kampf sind stets am Rand stehende TNT-Kisten und Abgründe aber meist die einzigen interessanten Interaktionspunkte. Wenn es sie überhaupt gibt.
Mir fehlen Optionen wie das Schleudern von Gegenständen oder die Möglichkeit Gegner etwa unter ein Gerüst zu locken, um selbiges durch einen sauberen Schuss zum Einsturz zu bringen. Dabei würde ich unheimlich gerne mit dem Lasso und durch die Gegend prügelbaren Bösewichten experimentieren – schon alleine deshalb, weil mich Evil West mit seinem brachialen Nahkampf an das famose Bulletstorm erinnert. Doch mehr als das Aneinanderreihen überschaubarer Faust-Gesicht-Kombinationen ist hier nicht drin.
Schlimmer noch: Bestimmte Kombos sind dermaßen vorteilhaft, weil sie nicht nur Schaden anrichten, sondern Jesse auch schnell außer Gefahr bringen und deshalb spätestens auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad unverzichtbar sind. Über weite Strecken habe ich daher dieselben Aktionen abgespult. Obwohl es recht unterschiedliche Bewegungen gibt, gleicht sich der Ablauf über weite Strecken also sehr und das sind dann eben die Punkte, an denen das eigentlich fetzige Spiel plötzlich öde wird.
Hinzu kommt das Ärgernis, dass die Kreaturen auffallend oft in der Umgebung hängenbleiben. Sogar einen kleinen Boss kann man auf diese Art cheesen. Auch Herr Rentier bleibt mitunter stecken, wenn er einen Gegner attackiert, der sich am Rand eines Levels aufhält.
Nun bringen neue Feinde hin und wieder Abwechslung ins Spiel, einige Bosskämpfe sind gut gemacht und es gibt mitunter besondere Situation, die das Abenteuer auflockern. Nicht zuletzt erweitert man nicht nur die Funktionsweise der Waffen (dafür das Geld), sondern auch Jesses Fähigkeiten bei jedem Levelaufstieg – naja… oder auch nicht.
Wenn ihr mich fragt, sind die meisten Erweiterungen nämlich ziemlich uninteressante Upgrades, weshalb ich einige Punkte zum Aufwerten lieber aufgespart habe, um später hinzukommende Fähigkeiten (das hängt vom Level ab) sofort aktivieren zu können. Viel hat auch das nicht gebracht, zumal man die Fähigkeiten an einigen Punkten komplett zurücksetzen darf. Aber es hat mir doch verdeutlicht, wie wenig die Charakterentwicklung zur Motivation beiträgt.
Test zu Evil West – Fazit
Und so schwanke ich eben ständig hin und her: Das Austoben in der mächtigen Faustschlag-Action macht Laune, ist auf Dauer aber dermaßen gleichförmig, dass dem Dampfhammer schnell die Puste ausgeht – bis er durch einen kurzen Impuls dann wieder angeworfen wird. Überspitzt formuliert ist es ein bisschen so, als hätten die Entwickler (Shadow-Warriors-Studio Flying Wild Hog) eine aufwändige Konzeptstudie erstellt, sie aber nicht vollständig ausgebaut, weshalb der ungewöhnlichen Mischung aus Shooter und Nahkampf ein motivierendes Leveldesign sowie besser abgestimmte Gegnergruppen fehlen. Unterm Strich habe ich mich diesem martialischem Guilty Pleasure allerdings ganz gerne hingegeben. Einen stark ausgebauten Nachfolger würde ich jedenfalls sehr willkommen heißen.
Evil West – Wertung: 7/10
Pro und Contra
Pros:
- Fantasievolles Szenario mit einer Mischung aus Horror, Western und Steampunk
- Herrlich energiegeladene und effektvolle Action
- Ebenso eingängige wie unkonventionelle Mischung aus Nah- und Fernkampf
- Kampagne kann online kooperativ gespielt werden
Contras
- Bestimmte Aktionen sind so mächtig, dass man sie ständig aneinanderreiht
- Auch eingeschränkte Umgebungsinteraktion in drögen Levels ermöglicht kaum unterhaltsames Experimentieren
- Uninteressante Geschichte und Charaktere
- Gegner und Alter Ego hängen häufig in Umgebung oder Feinden fest
Entwickler: Flying Wild Hog - Publisher: Focus Entertainment - Plattformen: PC, PlayStation 5, Xbox Series X/S, PlayStation 4, Xbox One - Release: 22.11.22 - Genre: Action-Adventure/Shooter - Preis (UVP): knapp 50 bzw. 60 Euro (PC bzw. Konsolen)