Test zu Paranormasight: The Seven Mysteries of Honjo. Stilvoller Gruselkrimi - aber kein klassisches Adventure
Japans alte und neue Geheimnisse.
Um ehrlich zu sein, grübele ich schon seit einigen Tagen, wie ich diesen Test beginnen soll. Gut, teilweise musste ich mir damit ohnehin Zeit lassen, weil ich beruflich unterwegs war. Teilweise liegt das aber auch daran, dass mir Paranormasight: The Seven Mysteries of Honjo etwas sauer aufgestoßen ist. Und das liegt nicht daran, dass es ein schlechtes Spiel wäre!
Es hat vielmehr damit zu tun, dass es nicht ganz das ist, was es vorgibt zu sein. Oder was würdet ihr erwarten, wenn es in der Beschreibung heißt: „Führe Ermittlungen durch“? Später ist von „Erlebe strategisches Gameplay“ die Rede. Bei einem Spiel, das vom Publisher in den Genres Adventure, Rollenspiel sowie Simulation einsortiert wird.
Nennt mich verrückt, aber ich habe nach dieser Beschreibung mit etwas gerechnet, dass an Return of the Obra Dinn oder Ace Attorney erinnert – nicht allerdings mit einer Visual Novel, in der es außer lesen fast nichts zu tun gibt. Nun taucht zwar auch der Begriff „Visual Novel“ in der Beschreibung auf, nur gibt es unter denen durchaus solche, die neben dem Lesen auch ein spielerisch gewichtiges Eingreifen verlangen. Doch zu denen zählt Paranormasight nicht.
Es gibt ganz selten mal Momente, in denen man die Wahl zwischen zwei Optionen hat, von denen eine zum Tod des aktuellen Charakters führt. Passiert das, wird man aber sofort an die vorherige Situation zurückgesetzt, um die Geschichte von dort aus in der einzig angedachten Form fortzusetzen. Mehr als ein kurzes Luftholen vom Dauerlesen sind diese interaktiven Unterbrechungen also nicht.
Der Einstieg vermittelt da noch einen ganz anderen Eindruck. Da übernimmt nämlich noch vor dem Hauptmenü der Erzähler dieser Geschichte und weist auf die Optionen des Menüs hin und auf die Tatsache, dass man gelegentlich speichern sollte. Er bittet außerdem darum einen gewünschten Namen einzugeben – und fragt anschließend, ob man den mit dem Namen des Steam- oder Konsolenprofils angesprochen werden möchte. Dann hat man noch mal die Wahl entweder diesen oder den zuvor eingegebenen zu aktivieren. Was für eine clevere Art eine Verbindung zwischen Spiel und Spieler herzustellen!
Immerhin soll man hier mehr sein als das unsichtbare Lesemonokel, welches wie von Geisterhand die Dialoge voranbringt. Der Erzähler weist mehrmals darauf hin, dass die Protagonisten zwar die eigentlich Handelnden sind, man dieses Handeln aber mit dem Wissen, das man über sämtliche Geschehnisse hat, behutsam lenkt.
Das ist spätestens dann entscheidend, wenn die Erzählung nicht nur ständig wechselnd aus der Sicht mehrerer Charaktere erzählt wird, sondern man auch zu bereits abgeschlossenen Kapiteln zurückkehrt, um durch eine andere Entscheidung einen alternativen Handlungsstrang zu aktivieren. Versteht das nur nicht falsch: Diese Verzweigungen sind keine alternativen Enden. Sie sind vielmehr alle Teil desselben geradlinigen Plots, der sich unter anderem darum dreht, wie man zuvor getroffene Entscheidungen korrigieren würde. Gemeinsam mit dem Erzähler steht man ja quasi außerhalb der Geschichte.
Das für Steam und Nintendo Switch erhältliche Paranormasight: The Seven Mysteries of Honjo erhaltet ihr auf digitalem Weg direkt bei den jeweiligen Plattformanbietern:
Klingt interessant? Ist es auch. Führte nur leider zu der für mich enttäuschenden Feststellung, dass ich überhaupt keine Möglichkeiten habe, den Verlauf zu beeinflussen. Oder wie würdet ihr reagieren, wenn ihr gleich im Prolog drei Möglichkeiten habt eine andere Person zu töten und euch dagegen entscheidet – der Charakter, um den es geht, das aber jedes Mal trotzdem tut. Ich werde von hier an nicht weiter darauf herumreiten. Aber hätte ich keinen Key erhalten, sondern Paranormasight regulär gekauft, hätte ich es an dieser Stelle sehr frustriert zurückgegeben!
Na, sei’s drum. Spätestens dann war mir natürlich klar, dass ich hier nur als Dialogschieber angestellt bin – der dafür wenigstens einer sehr interessanten und gut geschriebenen Erzählung folgt. Einziger Haken: Man muss Englisch oder Japanisch verstehen, denn weitere Übersetzungen sind dem textlastigen Spiel derzeit nicht vergönnt.
Das gut Geschriebene dreht sich um eine Reihe japanischer Legenden, die sich um unheimliche und sogar todbringende Vorkommnisse in einem Stadtteil von Tokio ranken: Sumida, während der Edo-Periode Honjo genannt. Mehrere Protagonisten werden dort beginnend in einer lauen Nacht in eine Reihe von Ereignissen verwickelt, die mit diesen Legenden sowie einem Ritual zu tun haben, das der Wiedererweckung von Toten dient. Schließlich hat Harue ihren Sohn, hat Yakko ihre Freundin und haben die Polizisten Jun und Tetsuo einen Kollegen verloren.
Nun hat die Sache mit dem Wiederbeleben einen hohen Preis, denn um das Ritual durchzuführen, muss man zuvor andere Menschen töten. Genauer gesagt muss man sie verfluchen, indem man eine der Skulpturen einsetzt, die diese Fähigkeit verleihen. „Wie weit würdest du gehen, um jemanden von den Toten auferstehen zu lassen?“, lautet daher die Prämisse beziehungsweise die Frage, die einige der Figuren für sich beantworten müssen.
Und es ist durchaus spannend ihnen auf dem Weg zu ihren Antworten zu folgen. Denn auch wenn man diese Entscheidung nie selbst fällen muss, lernt man das Ensemble als glaubhafte Charaktere mit interessanten Geschichten kennen. Wobei man selbstverständlich immer tiefere Einblicke in das erhält, was sich hinter den teils irreführenden Fassaden verbirgt. Gleichzeitig erfährt man vieles über die titelgebenden Mythen, also die sieben Wunder; warum deren Anzahl in Wirklichkeit neun beträgt und einiges mehr.
Das hat mich unter anderem deshalb fasziniert, weil alle Informationen in einem sehr übersichtlichen Notizbuch festgehalten werden. Diesen Aspekt bekommt Paranormasight ohnehin klasse hin: Man kann das Menü jederzeit aufrufen, um etwas nachzuschauen, um zu speichern oder ein früheres Kapitel zu wiederholen. Wenn man mit Gamepad spielt, ist der Mauszeiger nicht ständig im Bild, die Steuerung per Controller ist sowieso ausgesprochen komfortabel… Mir sind solche Sachen wichtig, weshalb ich das ganz bewusst herausstellen will.
Unterm Strich habe ich diese Visual Novel deshalb tatsächlich gerne gelesen. Sie überspannt gelegentlich die Logik – dass ein Privatdetektiv etwa ein Problem mit dem Töten hat, aber völlig gechillt darauf reagiert, dass seine Klientin ihren Fluch wohl nutzen wird, ist ein sehr unglücklicher Versuch, die Geschichte am Laufen zu halten. Gleichzeitig führt sie aber ausgesprochen stimmungsvoll Gegenwart und Vergangenheit in einem schaurigen Krimi zusammen, in dem jeder zum Täter werden könnte. Oder es vielleicht schon lange ist.
Hin und wieder hat mich das Spiel sogar kalt erwischt und mir einen gehörigen Schreck eingejagt. Keine Angst: Mit echtem Horror hat Paranormasight nichts zu tun. Es hilft aber, wenn man nach einem überraschten „Huch!“ über sich selbst grinsen kann.
Gelegentlich genießt man sogar ein wenig Freiheit, da man nicht nur wählt, in welcher Reihenfolge man Dialogoptionen anklickt, sondern gelegentlich auch die Wahl hat, welchen Schauplatz man als nächstes besucht. Das ändert im Kern nichts an der Geschichte, ihr zu folgen fühlt sich dadurch aber ein wenig offener an.
Und dann gibt es ganz selten sogar verdammt clevere Puzzles, bei denen man tatsächlich mal die grauen Zellen bemühen muss. Ich will aufgrund der Seltenheit solcher Momente nichts verraten, aber diese Rätsel gehören bei allem Meckern über die mickrige Interaktion zum Besten, das sich in den vergangenen Jahren Adventure genannt hat.
Test zu Paranormasight: The Seven Mysteries of Honjo – Fazit
Noch mal: Vergesst „Adventure“, „Rollenspiel“ und „Simulation“! Im Wesentlichen ist Paranormasight eine streng lineare Visual Novel, die euch nicht den geringsten Spielraum lässt, obwohl die große Entscheidung über Leben und Tod nicht nur zentrales Thema ist, sondern auch überdeutlich suggeriert wird, dass man Einfluss darauf nehmen könnte. Diese Einschränkung muss man also akzeptieren – und tut man das, verliert man sich in einer angenehm vielschichtigen, durchweg interessanten Erzählung aus dem Blickwinkel mehrerer Protagonisten. Die sorgfältige Aufarbeitung der Legende um die sieben Wunder sowie damit zusammenhängende Einblicke in die japanische Geschichte gefallen mir ebenso wie die elegante Nutzerführung und einige clevere oder gar unheimliche Momente. Falls ihr genau danach sucht, dann könnte Paranormasight also genau euer Ding sein.
Test zu Paranormasight: The Seven Mysteries of Honjo – Wertung: 7/10
Pro und Contra
Pros:
- Spannende Geschichte mit interessanten, vielschichtigen Charakteren
- Ausgezeichnete Handhabung, Menüs und Nutzerführung
- Ausführliche Informationen zu allen Figuren, Schauplätzen, Geschehnissen und Hintergründen
- Durchgehend stimmungsvoller Soundtrack
Contras:
- Praktisch kein sinnvolles spielerisches Eingreifen, obwohl selbiges suggeriert wird
- Kleine Logikfehler an entscheidenden Stellen
- Ausschließlich englische und japanische Texte
Entwickler: Square Enix - Publisher: Square Enix - Plattformen: PC/Nintendo Switch - Release: 08./09. 03. 2023 - Genre: Visual Novel - Preis (UVP): 19,99 Euro