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Tetris - Das haben mein Sohn und ich vor zwanzig Jahren schon gespielt...

"Spielt man das heute immer noch?"

Da liege ich also, gefesselt gewissermaßen, schreibe aus dem Knast für angeschwollene Füße, denn wenn man sich nicht bewegen kann, macht es keinen Unterschied, wo man liegt. Was sie mir im wahrsten Sinne des Wortes wegschlug, sie aufblähte und mich hierher brachte ins Krankenhaus, ist nicht ganz sicher und auf dem Weg der Besserung fast egal. Ich weiß nur, dass eine Woche und ein paar Zerquetschte mehr Freizeit sind, als man in einer technisch und personell recht, sagen wir, unauffälligen Station verbringen möchte, auch wenn man den Schlosspark Berlin vor der Tür hat.

So ein Mist, das alles.

Die Fernseher hier sind Relikte, die Tapeten mit ihren hellbraunen Holzverkleidungen sind es, die Betten und Tische auch. Bilder an der Wand sind gedrängt in klapprige Rahmen und krude zusammengestückelt aus diversen Naturaufnahmen, verblichen längst, fleckig, auf eine gewisse Art putzig. Wie passend: Neben mir auf dem Beistelltisch liegt der Game Boy, keiner von diesen farbigen neueren, sondern der alte mausgraue, der letzte Woche seinen 25. Geburtstag feierte. Sollen wir? Was meinst du, Alter? Seine Batterieleuchte blinkt einmal kurz auf. Ein Ja. Schauen wir mal. Der Schalter wechselt von „Off" auf „On".

Es gab keinen Ausweg.

„Mehr braucht man nicht zum Glücklichsein" wäre zu pathetisch und eine Lüge meinen geliebten Füßen gegenüber, aber wenn der Nintendo-Schriftzug runterfährt, löst das sicher in jedem, der damals so ein Ding hatte, etwas aus. Probiert es mal, falls ihr die Möglichkeit habt. Seit locker 18 Jahren lag kein Original-Game-Boy mehr in meiner Hand. Passt gut.

Das sind wieder die Neunziger, wieder mehr Spiel ohne ein Betriebssystem als Trennwand zwischen dem Programm und demjenigen, der im Bett liegt und für die drei Meter bis zum Klo unendliche Schmerzen durchsteht. Einschalten und losspielen. Unglaublich, wie weit die Technik Spiele, das Herz einer jeden Konsole, in den zweieinhalb dazwischen liegenden Jahrzehnten von dieser reinen Essenz entfernte und sie einpackte in ein Drumherum aus Features und Gimmicks.

„Tetris licensed to Bullet-Proof Software and sub-licensed to Nintendo" steht da. Damals wusste ich nicht mal genau, was diese Wörter bedeuten. Das Motiv auf dem Modul zeigt einen sphärisch-blauen, mit Sternen besetzten Hintergrund und Bausteine, als würden sie direkt vom Himmel fallen. So was schaffen heutige Cover-Bilder nicht mehr ansatzweise! Das hier sieht so verdammt cool aus, steht für Macht, unbändige Kraft und Abenteuer, egal wie abstrakt das Prinzip dahinter ist. Wer dieses Artwork sah, wusste, was er vorhatte. Oder auch nicht. Macht nix, Hauptsache cool.

Cool, Leute. Das ist einfach nur cool.

Tetris ist göttlich. Zeitlos in seiner Zusammensetzung einfachster Mechaniken, schier unendlich in seiner Abfolge verschieden geformter Steine, die in geschlossenen Reihen anzuordnen eines der motivierendsten, sich aus dem reinen Ablauf erklärenden Minispiele bilden. Und bis heute blieben. Diese Unsterblichkeit reduzierten, pixelgenau und unmissverständlich umrissenen Spieldesigns ist die größte Errungenschaft des Programms, dem damals das Etikett „Casual-Game" gepasst hätte, noch bevor der Ausdruck existierte.

Es ist so herrlich robust und wird nie totzukriegen sein, spendet Trost und frisst Stunden, macht aus lustlosen Männern mit kaputten Füßen welche mit kaputten Füßen, aber wenigstens keiner schlechten Laune beim Abliegen ihrer Zeit. Nach all den Jahren ist es immer noch der nervöse Blick auf das untere rechte Fenster, in dem man den nächsten herabfallenden Spielstein sieht; das sekundenschnelle Abschätzen, ob er sinnvoll hineinpasst oder alles verbaut, während man L- und Z-förmige Steine jongliert.

Tetris, das ist Warten auf den I-förmigen Stein - der Klassiker unter seinen entstehenden Spielsituationen. Das notgedrungene Aufschieben anderer Klötze in entlegene Ecken, solange es klappt, wenn sie nirgendwo anders einen Platz finden, der Puls, während das Falltempo zu- und die verfügbare Reaktionszeit abnimmt. Hier geht es um etwas! Es ist sehr sanftes, stückweises Zerlegen des Spielers, langsames Überfordern, bis Auge und Finger nicht mehr hinterherkommen. Ihr kennt das Geräusch sicher, wenn die Steine immer schneller aufeinanderkrachen, in der Mitte einen schiefen Turm bauen bis obenhin, alles entgleist in wenigen Sekunden. Und man fühlt sich in gewisser Weise erlöst.

Zeitlos.

Hier liege ich also, mit langsam abschwellenden Füßen und einem Haufen voller Blöcke, dank höherer Mächte nicht amüsiert, aber irgendwie unterhalten von einem Spiel, das nie alt wurde mit seinem Prinzip des griffigen Verzahnens. Es ist ein Vierteljahrhundert später das Monument für Geschicklichkeits- und Puzzlespiele. „Das haben mein Sohn und ich doch vor zwanzig Jahren schon gespielt", bemerkt ein älterer Herr, mit dem ich das Zimmer teile. Er schiebt seinen Ständer mit Geräten und einer daran hängenden Infusion auf den Gang. „Spielt man das heute immer noch?". Ohne weiter darüber nachzudenken, hat er sich selbst eine Antwort gegeben.

Eine bessere Definition für Klassiker kann es nicht geben.

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Sebastian Thor Avatar
Sebastian Thor: Steht auf Bier und Bloodsport. Mag weiche Sofas und verliert sich gern in Gedanken an dies und das. Seit 2014 bei Eurogamer dabei, aktuell als freier Redakteur.
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Tetris

PS3, Nintendo 3DS