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That Dragon, Cancer - Test

Der Kampf mit dem eigenen Glauben.

Ein mutiges Werk, das in erster Linie seinen Erschaffern als Ventil für ihre Trauer dient, nach objektiven Spielmaßstäben aber versagt.

Wie kritisiert man so ein Spiel? Wie kann ich irgendetwas Negatives darüber sagen, ohne mich selbst schlecht zu fühlen? Schließlich haben die Eltern eines an Krebs gestorbenen Jungen ihre grauenhafte Erfahrung mit der Krankheit damit verarbeitet. Überhaupt den Mut zu besitzen, sich diesem Thema auf eine unfassbar persönliche Weise zu nähern und das Ganze auch noch der Welt zu zeigen, beweist den Willen, eine gewisse Bedeutung aus dem Tod ihres Sohnes ziehen.

Krebs ist scheiße. Entschuldigung, wenn ich das so offen herausschreibe, aber es gibt keine schonende Bezeichnung dafür. Es ist eine abartige Krankheit, die einem oftmals falsche Hoffnung vorgaukelt, während man seinen Geliebten tatenlos zusieht, wie sie über Monate oder Jahre hinweg langsam zerbrechen. Und natürlich glaubt man zu jeder Zeit an eine mögliche Heilung, weil es theoretisch besser werden könnte. Man will sich den Glauben daran nicht nehmen lassen und wird nach jedem Rückschlag deswegen noch tiefer in einen schmerzhaften Sumpf der Verzweiflung gezogen.

Symbolik und Metaphern werden einem leider zu offensichtlich auf die Nase gebunden.

Ein wenig komplizierter ist es sicherlich für äußerst religiöse Familien. Im Fall von That Dragon, Cancer ist der christliche Glaube der zentrale Konflikt. Wie kann ein anscheinend fürsorglicher und allmächtiger Gott so etwas wie den Tod eines kleinen Jungen zulassen? Gibt es dafür wirklich einen Grund oder belegt es nur, wie unbedeutend jede einzelne Person ist, gemessen an den unendlichen Weiten des Universums? Diese Fragen stellen sich die Eltern des im März 2014 gestorbenen Joel Green. Während der Vater nach der finalen Diagnose den Halt verliert, klammert sich seine Frau verzweifelt an ihre Religion. Sie glaubt lieber an ein unmögliches Wunder, als in der Trauer unterzugehen.

Dargestellt werden diese Ängste und Konfrontation von mehreren stark abstrahierten Spieleinlagen, die durch ihren christlichen Bezug auf mich sehr esoterisch und ebenso befremdlich wirken. Ehrlich gesagt sehe ich das als großes Problem. That Dragon, Cancer weiß nicht, wie es die einzelnen Episoden in sich interessant gestalten soll, und versagt komplett bei den Übergängen. Es fehlt eine übergreifende Struktur. Ständig springt man hin und her, was nicht nur für die Orte, sondern auch die Perspektive gilt. Meist bin ich ein stummer Betrachter. Manchmal schlüpfe ich für wenige Sekunden direkt in die Haut eines Familienmitglieds und in anderen Teilen bin ich dann wieder ein Vogel. Der plötzliche Wandel sorgt für eine ständige Neuorientierung und hilft nicht im Geringsten, mich besser in die Position der Eltern versetzen zu können.

Die gesichtslose Darstellung von Joel führte bei mir zu einer noch stärkeren emotionalen Distanzierung.

Leider behandelt das Spiel seine komplexe Thematik viel zu oberflächlich. Nicht alle Stadien der Trauer werden abgebildet und ganz besonders die Auseinandersetzung mit dem Glauben wird nur kurz gezeigt und dann fallen gelassen, bevor am Ende schlagartig Akzeptanz erreicht ist. Bei einer Länge von weniger als 90 Minuten verliert sich That Dragon, Cancer zu sehr in seinen langatmigen Spielmechaniken. Ehrlich gesagt hätte ich sämtliche Ereignisse lieber auf YouTube geguckt, als mich selbst damit auseinanderzusetzen. Viele Passagen sind schlicht anstrengend und führten teilweise zu Frust. Hauptsächlich wegen der grausigen Steuerung. Ich gehe davon aus, das Entwicklerteam wollte die Erfahrung so zugänglich wie möglich machen, und reduzierte die Steuerung allein auf Mauseingaben. Richtungstasten ändern nur eure Kamera aber nicht die Position im Raum. Zur Bewegung klickt ihr in die gewünschte Richtung und hofft, dass eure Figur nicht an der Umgebung hängen bleibt.

Da ihr nur auf ganz bestimmten Pfaden laufen könnt, dreht ihr oft die Kamera und sucht verzweifelt nach der vorgeschriebenen Richtung. Mehrfach wollte ich an einen bestimmten Punkt wandern, jedoch erschien kein passendes Symbol. Erst als ich ein paar Schritte weiter nach links rückte, erreichte ich die unsichtbare Kreuzung und durfte endlich an mein gewünschtes Ziel. Wegen der abstrakten Darstellung vieler Abschnitte kann es leicht zu Momenten kommen, in denen ihr nicht wisst, was genau das Spiel von euch will. Statt also gedanklich und emotional vollkommen in das Erlebnis einzutauchen, scheitert dieser Versuch viel zu oft am schrecklichen Leveldesign. Ganz besonders die Abschnitte aus der Sicht eines Vogels können ziemlich nerven, wenn man trotz der offensichtlichen Bewegungsfreiheit nur an willkürlich platzierte Positionen fliegen kann und manche Stellen erst erreichbar sind, nachdem bestimmte Handlungspunkte aktiviert wurden.

Eine der Szenen, die ich viel lieber als Video gesehen hätte.

Statt mich also besser in die Lage der Eltern hineinversetzen zu können, fühlte sich die aufgesetzte und zwanghaft in offensichtlicher Metaphorik erzählte Erfahrung sehr distanziert an. Es sind ein paar gelungene Momente enthalten, bei denen einfach nur ganz normale Situationen ohne unnötige Verkomplizierung gezeigt werden. Ich glaube schon, dass That Dragon, Cancer als Videospiel hätte funktionieren können. Aber nicht in dieser Form, die zu sehr versucht, einzelne Aspekte künstlerisch darzustellen. Dabei vernachlässigte man leider Spielbarkeit, Struktur und Pacing. Es fühlt sich mehr wie eine zerstückelte und in wirren Ausführungen erzählte Handlung an, die als simple Präsentation der Ereignisse wesentlich besser gewesen wäre. Oftmals sprechen Charaktere und ihr hört die Emotionen in Joels Stimme, seht aber selbst nur eine leblose Schaufensterpuppe.

Ich habe mich beim Spielen an meine persönliche Erfahrung mit der Krankheit erinnert. Aber das liegt weniger an der Qualität des Spiels und mehr an der offensichtlichen Konnotation. Praktisch alles mit einer Krebsthematik würde diese Gefühle in mir hervorrufen. Wenn es aber darum geht, die Situation der Greens besser nachfühlen zu können, versagt That Dragon, Cancer in fast allen Punkten. Als ich im Abspann zum ersten Mal echte Bilder von Joel sah, die ihn auch in verschiedenen Stadien der Krankheit zeigten, löste das mehr Empathie in mir aus als alles, was zuvor im Spiel passierte. Eine direktere und auch härtere Darstellung der Ereignisse hätte in Form einer Dokumentation wahrscheinlich besser funktioniert.

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