The Amazing Spider-Man 2 - Test
Nach zehn Jahren wird der Counter für das beste Schwingen endlich zurückgesetzt.
Das erste Spider-Man-Spiel der neuen Generation, ein Film in den Kinos: Alle Zeichen deuten auf ein billiges Einlösen des Lizenztickets, um schnell was in den Läden zu haben, wenn Spidey auf der Leinwand schwingt. Siehe da und oh Wunder, frustrierend genau ist The Amazing Spider-Man 2 das geworden.
Man hat ja irgendwie zuerst noch Hoffnungen gehabt. Auf der Next-Gen reicht schon ein wenig nette Technik, um von allem anderen, was noch folgen wird, abzulenken, doch um das gleich aus dem Weg zu kriegen: Für ein PS4-Spiel, gerade nach dem bildschönen Open-World-Auftakt von inFamous, sieht das hier nur marginal besser aus als ein durchschnittliches PS3-Spiel, wenn überhaupt. Seien es die lieblosen und blassen Texturen, die tote Stimmung in einem leeren New York oder die teilweise aberwitzig plump gestalteten Gesichter aller Beteiligten - das hier ist sicher nicht Next-Gen, das ist bestenfalls solide hochskaliert.
Das verzeiht man dem Spiel zunächst, sobald es euch nach einem geradezu peinlich gestalteten Intro mit dem Tod des Onkels schnell, aber doch gefühlt endlich in die Stadt entlässt. Das Schwingen wurde hervorragend gelöst. Beide Arme werden über die Trigger getrennt voneinander gesteuert und so könnt ihr einfach, aber effektiv zwischen den Wolkenkratzern manövrieren. Für präzise Anflüge wird die Schultertaste gedrückt und Spidey saust genau an den frei gewählten Punkt. Es funktioniert einfach und es fühlt sich an, wie man es sich vorstellt. Dicht über eine Kolonne aus Taxis hinwegzusausen, wieder auf hundert und mehr Meter zurück und dann weiter zur nächsten Stadtblock greifenden Pendelbewegung. Bisher galt Spider-Man 2: The Game (2004, PS2-Zeitalter) als das Nonplusultra des Fadenschwingens. The Amazing Spider-Man 2 hat eine gute Chance, diesen Titel zu übernehmen.
Wenn doch auch der Rest des Spiels nur in der Nähe davon wäre... Das Spiel wechselt wie ein billiges Arkham City zwischen Open-World-Reise, Detektivarbeit und Kampf. Erstes ist das Schwingen und ein Gewinner. Die anderen beiden Elemente streiten sich, welches das Spiel schneller in den Abgrund reißen darf. Das Herumwandern und Fotografieren genau markierter Objekte ist schlicht Idiotenarbeit ohne die geringste Herausforderung und ein reiner Füller, um das Spiel wenigstens auf die sechs bis sieben Stunden zu hieven.
Der Kampf dagegen, nun, er funktioniert. Meistens. Wenn kein massiver Glitch auftritt. Diese leisten sich vornehmlich die Bosse, oder vielmehr: Sie sind es, wo es relevant ist. Wenn ein normaler Gegner mal wie ein verwirrter Zombie gegen eine Wand läuft, nun gut, schnell erledigt, der Nächste bitte. Wenn einer der sieben Superbösewichte unter plötzlichen KI-Schwund leidet und jeden Angriff von euch brav einsteckt, ohne zu reagieren, dann ist das Ganze zwar schnell vorbei, aber als Highlight der eigenen Leistungen wird dieser Moment keine Geschichte machen. Da ich dies bei zwei der sonst eigentlich ganz ordentlichen Bosse hatte, bei einem zuerst der Gegner in die Wand hüpfte und weder er noch ich anschließend Schaden verursachen konnten - Neustart, Rücksetzpunkte alle paar Meter, kein großer Zeitverlust -, spricht das alles nicht gerade für ein Spiel, das viel Zeit und Liebe in der Qualitätskontrolle erhielt.
Läuft der Kampf wie vorgesehen ab, macht er die erste halbe Stunde noch Spaß, dann merkt ihr, dass es wirklich und für den Rest des Spiels dieses billige Button-Mashing bleibt und die später erwerblichen Fertigkeiten nichts daran ändern. Wieder: Als wollte es Arkham sein und kann es nicht, prügelt ihr, bis ihr eine Warnung über Spidey seht, dann haut ihr auf die Kontertaste. Selbst mit MGs bewaffnete Feinde funktionieren nach diesem Prinzip und schon nach kürzester Zeit langweilt ihr euch im Gamer-Autopiloten-Modus. Mehr Spaß machen da die Missionen, die euch ein wenig Raum für Stealth lassen. Anstatt euch wie im Vorgänger durch endlose Korridore zu schicken, beschränkt man sich oft auf einen einzelnen großen Raum, in dem ihr die Gegner umgehen und dann leise von oben ausschalten könnt. Dieser Teil macht dank der eleganten Zielen-plus-Schwingen-Lösung der Steuerung sogar noch den meisten Spaß, weit mehr jedenfalls als der trübe offene Kampf.
Die zufälligen Missionen, die anscheinend nur verteilt wurden, weil man bei der Entwicklung hörte, dass Open-World-Spiele so etwas haben, bringen auch den härtesten Komplettisten an die Grenze der Sinnfrage, warum er das eigentlich tut. Rettet Zivilisten aus Feuern, verprügelt ein paar Gangster und verfolgt Autos, und das immer wieder in gleicher Form, immer wieder dank des fehlenden Spaßes im Kampf oder von engen Räumlichkeiten eingeschränkt weitestgehend lustlos. Da hilft auch der Heldenlevel nicht viel. Räubert ihr mal was, seid ihr böse. Rettet ihr die Bewohner der Stadt, seid ihr gut. Das Pendel schlägt dabei so schnell in die eine oder andere Richtung aus, dass man meinen könnte, die New Yorker leiden unter echten Aufmerksamkeitsdefiziten (zugegeben, ein Eindruck, den die Stadt mitunter wirklich schon mal vermittelt). Vor allem jedoch ist der Effekt in Form von ein paar irrelevanten Bonusprozenten auf die allgemeinen Fertigkeiten so uninteressant, dass es gut war, den Balken so groß einzublenden. Sonst würde man glatt vergessen, dass er da ist.
Spielerisch wird geschwungen und sonst nicht viel, aber eine gute Geschichte kann viel herausreißen. Es ist sicher interessant, dass The Amazing Spider-Man 2 nicht der Handlung des Films folgt, sondern eine ganz eigene Version anbietet. Schade nur, dass diese am Ende des Entstehungsprozesses kaum mehr als eine kurze Liste der auftretenden Superbösewichte war. Kingpin, Black Cat, Kraven, Green Goblin oder Shocker werden ohne viel Gewese für eine halbe Stunde in den Mixer geworfen, besiegt und weiter geht es zum Nächsten. Es erinnert fast ein wenig an alte Arcade-Zeiten, wo jeder Level des Beat-'em-ups einem nicht unähnlichen Ablauf folgte.
In einem recht verzweifelten Versuch, dem Ganzen ein wenig Tiefe und Relevanz zu geben, dürft ihr in ein paar Gesprächen drei Fragen stellen. Ob ihr das tut und ob ihr überhaupt zuhört, hat jedoch nicht den geringsten Einfluss auf irgendetwas, nicht mal den Heldenlevel. Dass ihr sowieso und vor allem in der deutschen Version mehr weiterdrücken werdet, als ihr zunächst dachtet, liegt an einem absolut unterirdischen Cast von Sprechern. Es gibt keine Figur, der ich gerne zuhörte, aber der offensichtlich schizophrene Spider-Man, der im Sekundentakt flapsige - und wenig lustige - Einzeiler ausspuckt, direkt nachdem mehr oder weniger dramatische Dinge passierten, ist der Schlimmste. Es ist eine Stimme, die nach spätestens einer Stunde Fingernägeln auf einer Schultafel gleicht. Und er redet immer. Ich meine: immer. In jedem noch so kurzen Kampf: drei blöde Sprüche. Beim Schwingen durch die Straßen: alle zehn Sekunden ein dummer Spruch. In jedem Dialog: vier Wechsel zwischen schon für sich gescheitertem Todernst und an die Wand gefahrenem Lustig. Die englische Version hat auch nicht die Sprecher des Films, aber sie ist zumindest knapp durchschnittlich unauffällig.
The Amazing Spider-Man 2 kann genau eine Sache, und das ist Spider-Man. Oder zumindest den Teil, der wohl am meisten mit der Figur assoziiert wird: das Schwingen durch die Straßen. Das macht Spaß, das werdet ihr für ein Weilchen gerne tun. Endlich und nach zehn Jahren wird Spider-Man 2: The Game (das auch nicht viel mehr als das konnte) abgelöst. Alles andere hat alle Merkmale eines schnell zusammengeschusterten Lizenztitels, von dem man hoffte, dass die Next-Gen noch etwas länger davor verschont bliebe, und der sich nicht mal wirklich an dem Produkt orientiert, zu dem er offensichtlich gehört. Der neue Film-Spider-Man ist durchaus sympathisch, die Filme haben eine Eigenständigkeit, ob man sie jetzt mag oder nicht, das hier hat nichts davon. Die Handlung hastet durch eine zufällige Sammlung von Bösewichten mit ihren gesichtslosen Unterlingen, die ihr mittels eines eingeschränkten und lustlosen Kampfsystems routiniert aus dem Weg räumt. Dazu noch diese Stimmen und die paar Stunden, die es dauert, sind plötzlich, sehr, sehr lang, lang, lang, langweilig. Schade um das gute Spidey-Schwingen. Nächstes Mal vielleicht.