The Ascent Test: Wenn man gleichzeitig zu viel und zu wenig will
The Ascent vom Wolfenstein-2-Designer bringt coole Cyberpunk-Schießereien auf Xbox und PC. Warum der RPG-Part das Spiel von Größerem abhält, verrät euch Alex.
Das schmerzt: Ich habe eigentlich Spaß mit The Ascent. Es ist im Grunde ein befriedigender Shooter aus der Draufsicht, in einer stilistisch und technisch wundervoll realisierten Cyberpunkt-Welt. Mit allen Raytracing- und DLSS-Spielereien, die man sich vorstellen und wünschen kann noch dazu. Dass die nur zwölf Entwickler bei Neon Giant, die Machine-Games-Veteran Arcade Berg (Senior Game Designer von Wolfenstein 2) um sich versammelte, ein so blendend aussehendes und schlichtweg "groß" wirkendes Debüt auf die Beine gestellt haben, ist ohne Frage beeindruckend.
Schade, dass sie meinten, The Ascent einen Action-RPG-Dreh verpassen zu müssen, denn alle Elemente abseits der schieren Action wirken eher halbgar. In den ersten Stunden suggerieren Menüs mit acht verschiedenen Charakterwerten, einem Cyberdeck-Bildschirm für die Hacker-Kapazitäten, Waffen mit verschiedenen Schadensarten, drei Ausrüstungs- und vier Slots für Augmentationen noch eine Tiefe, in der man sich freut herumzustochern. Je länger man spielt merkt man jedoch, dass man dabei im Grunde im Trüben fischt. Die RPG-Elemente verkomplizieren das Spiel nur, machen es aber nicht besser. Zum Glück beherrscht The Ascent seine Grundlagen größtenteils gut.
The Ascent missversteht den Zweck von RPG-Elementen
Die Probleme schiebe ich mal auf mangelnde Erfahrung im Rollenspielsegment, was man an diversen Faktoren auch sieht. Das geht mit der Kommunikation mit dem User los. So gibt es zum Beispiel die Option, Loot beim Aufheben direkt auszurüsten, aber keine Anzeige dafür, ob und in welcher Hinsicht eine neue Waffe oder ein Brustpanzer besser sind als das, was man gerade nutzt. Gleichermaßen gibt es mit physisch, digital, Feuer und Elektro vier verschiedene Sorten Schaden, aber das Spiel wird nicht deutlich, wogegen einzelne Gegner anfällig sind. Nicht einmal in deren nett geschriebenen Kodex-Einträgen, die man sukzessive freischaltet. Nehme ich gegen die mechanische Spinne nun also Elektro oder digitalen Schaden?
Ausprobieren würde helfen, aber die Waffen sind untereinander trotz der halbwegs übersichtlichen Menüs nicht so leicht zu vergleichen beziehungsweise irgendwann nicht mehr ohne weiteres substituierbar. Weil das Spiel nicht klar kommuniziert, was wann funktioniert, wählt man schnell den Weg, sich auf die Waffe einzuschießen, die sich am besten anfühlt. Das wiederum verstärkt das Problem insofern, als dass man natürlich alle der seltenen Upgrade-Materialien ("Komponenten") möglichst in die Knarre hineinsteckt, die man am liebsten benutzt. Und das führt dazu, dass ihr regelmäßig ein gut aufgerüstetes Kaliber mit der Basisvariante eines neuen vergleicht. Das regt nicht gerade zu Experimenten an. Meist habe ich etwas planlos mit dem Durchprobieren angefangen, wenn ich bei einem Bosskampf nicht weiterkam.
Und weil es abseits dieser linearen Waffenprogression keinerlei Varianz zwischen zwei Schießprügeln einer Bauart gibt (wenn eine zweite Version des Sturmgewehrs droppt, ist sie identisch mit der, die ihr benutzt!), wirkt das Loot uninteressant und letztlich limitiert. Im Grunde sammelt ihr es nur, um es wieder zu verkaufen. Mir wäre ein fester Satz an nach und nach freigeschalteten Waffen lieber gewesen, die dann situativ eingesetzt werden müssen. Klassisch Action-Spiel eben.
Bei der Rüstung ist es ähnlich, sie schützt unterschiedlich gegen obengenannte Schadensarten, aber welche gegen welchen Feind nützlich ist, ist Rätselraten - und in den Mobs kommen unterschiedliche Arten von Schaden auf euch zu, sodass ihr im Grunde immer noch das im Mittel jeweils "beste" Zeug ausrüstet, anstatt euch zu spezialisieren. Und so schmilzt die Auswahl doch deutlich zusammen. Immerhin: diese Ausrüstungsgegenstände sind von vorneherein farblich klar kodiert. So merkt man schnell, was zum Alteisen kann, was sehr viel ist, wenn es nach diesem Regelwerk geht. Unterm Strich gilt: So, wie Waffen und Rüstungen aufgezogen sind, ist viel Fummelei und Schätzwerk mit dabei, was das Spiel im Grunde nur bremst und sich nicht belohnend anfühlt.
Auch die Hacking-Mechanik sieht auf den ersten Blick komplexer aus als sie ist. Im Grunde läuft es auf einen glorifizierter Türöffner hinaus. Auch im Kampf ist der Area-of-Effect-Hack einsetzbar, aber The Ascent vermittelt nicht, an welchem Gegner er was ausrichtet. Ein "Install Success" legt zwar nahe, dass man etwas ausgerichtet hat, ich weiß aber nicht genau, was (auch hierüber verliert der Kodex kein Wort). Hier und da lassen sich inaktive automatische Geschütze übernehmen, aber weil man so viel in Bewegung ist, spielen sie nur selten im Kampf eine echte Rolle.
Der Rest vom Hacking beschränkt sich, wie gesagt, auf das Öffnen von Truhen und Türen unterschiedlicher Sicherheitsstufen. Viel Glück, eine Truhe Stufe drei von vor vier Missionen nochmal wiederzufinden, nachdem ihr endlich das entsprechende Hack-Upgrade gefunden habt. Ein wenig schal, der Rollenspielanteil von The Ascent, auch weil ich nicht so recht sehe, wo im Koop Synergien freigesetzt werden sollen, die über ein breiteres Arsenal an Tacticals und Augmentationen hinausgehen.
Aber wenn es funktioniert, dann richtig!
Darüber sollte man aber nicht vergessen, dass gut 60 Prozent von The Ascent nun Mal ein krachiger Twin-Stick-Shooter ist - und der macht durchaus Spaß. Obwohl ich mangels Mitspieler nur alleine spielen konnte, versprüht das Geballer an sich viel Freude: Die Waffen sind fast alle ganz cool, ihr Feedback stimmt einfach, die Explosionen demolieren wunderbar krachend das Levelinventar und macht so mithilfe der Magie der Physik bestens die Kraft eurer Gewaltakte spürbar.
Ein für einen Titel aus dieser Perspektive netter Twist ist, dass man normal aus der Hüfte schießen, oder die Waffe hochreißen kann. Dadurch landet man weniger Treffer, dafür aber potenziell welche mit höherer Taumelwirkung und kann beim Ducken hinter halbhohen Hindernissen aus der Deckung feuern. Auch muss man aufpassen, weil viele Gegner klein genug sind, um unter den Schüssen durchzulaufen, was in einigen Schusswechseln einen schönen Rhythmus zwischen niedrigen und hohen Feuerstößen erzeugt.
Hier und da wird es aber auch das etwas frustrierend, wenn ich zum Beispiel ein ganzes Magazin über einen Schwarm der in einer Blitzwolke explodierenden Minispinnen hinweg ballere. Trotz Zielhilfe sind diese kleinsten Feinde im Spiel einfach viel zu schwer zu treffen, was soweit geht, dass ich mittlerweile an einen Bug glaube. Ihr Area-of-Effect-Blitzschaden trifft mich in der Konsequenz viel öfter als er sollte. Immerhin gibt es eine effektive Ausweichrolle. Aber die zu timen, ist in haarigen Situationen häufig schwierig. Ich finde, die Biester sollten mich gar nicht erst in dieser Frequenz erreichen.
Insgesamt aber: Ja, mit Granaten verschiedener Art, stationären Geschützen, helfenden Mini-Robotern und meinem eigenen Scharm an Spinnen, meinem hydraulischen Hieb mit kurzem Cooldown habe ich eine Menge Werkzeuge, die ich gerne einsetze, um große Gegnermobs effektiv in Schach zu halten. Man bleibt in diesen Fights gut in Bewegung, nutzt Mobilität und Innenarchitektur der Level zur Mengenkontrolle und wer über das Effektfeuerwerk nicht ins Grinsen kommt, mag einfach keine Videospiele. Ich freue mich darauf, das im Couch-Koop mit einem Freund zu spielen, auch wenn ich befürchte, dass es stellenweise zu chaotisch werden könnte. Wir werden sehen.
Toll gemacht ist auch die von Megakonzernen auf der Welt Veles errichtete Mega-Metropole Arcology. Das ist natürlich hochgradig derivatives Cyberpunk, aber in seinem verschachtelten Aufbau und den unterschiedlich stark verfallenen Bezirken immer noch ziemlich imponierend. Eine wahre Lightshow, sehr lebendig - bis die zivile KI sich mal wieder kaum an einem kleinen Weltkrieg stört, der nur einen Bildschirm weiter tobt - und im besten Sinne verlebt. Und auch, wenn bei einem so großen Komplex mit all seinen Etagen fast notgedrungen optisch einiges miteinander verschwimmt, so funktioniert die Illusion eines realen Ortes mit langer Geschichte doch fast durchweg.
Das hat schon einen gewissen Zauber, selbst dann noch, wenn man sich auf der Suche nach dem nächsten Ziel mal wieder mit der überladenen Karte verzettelt und beim Blick auf den praktischen Zielmarker - "einen Kilometer noch!?" - doch ein Taxi ruft. Was auch daran liegt, dass die Rücksetzpunkte oft zu weit auseinander liegen: Vor langen Aufzugfahren, teils mehreren kleineren Straßenkämpfen oder Zwischensequenzen, die abzubrechen man sekundenlang die Space-Taste halten muss. Manchmal will man einfach etwas Zeit sparen. Auch wenn die Arcology den geneigten Sci-Fi-Liebhaber rein optisch fast magisch anzieht.
Zum Technischen: So ganz glatt lief das Spiel noch nicht. Neon Giant bat uns, es zunächst ohne DX 12 und Raytracing zu spielen. Mit kam es oft zu Stotterern bei Explosionen. Das soll zum Launch behoben sein. Ich habe es trotzdem sowohl auf einem Spielelaptop mit mobiler 3060 in 1080p als auch mit einer 3080 in 4K mit ein bisschen Options-Spielerei sehr hübsch mit 60fps und mehr zum Laufen bekommen. Könnte insgesamt noch ein wenig stabiler laufen, stört aber das Gameplay nicht großartig. Außerdem ist mir das Spiel in 20 Stunden drei oder vier Mal abgestürzt, als ich es minimierte, aber im Großen und Ganzen bin ich mit der Technik zufrieden.
The Ascent Test - Fazit
Ihr merkt schon: Auch wenn The Ascent aufgrund des nicht ganz zu Ende gedachten RPG-Anteils vielleicht eine vertane Chance ist, kann man doch froh sein, dass es existiert. Nicht zuletzt als zauberhafter Nachweis, was heutzutage einem so kleinen Team alles möglich ist. Es mag unterm Strich trotz all dem ver-cyber-ten Glitz und Glitter ein stumpfer Ballertitel sein, aber auch so einer muss erstmal so herzhaft krachen und sich so gut anfühlen wie The Ascent. Man spürt, die Welt Veles hätte sicher noch mehr zu bieten - und vielleicht ist das auch der Grund, weshalb Neon Giant seine Ambitionen ein wenig zu hoch ansetzte. Aber was Debüts angeht, habe ich schon deutlich schlechtere erlebt. Ich freue mich drauf, was diese Zwölf in Zukunft auf die Beine stellen.