The Book of Unwritten Tales
Genial
Was für ein Zufall. Kurz bevor ich The Book of Unwritten Tales in die Finger bekam, dachte ich mir noch, dass früher sowieso alles besser war und mich Adventures heutzutage irgendwie nicht mehr so sehr begeistern wie zur LucasArts'chen Blütezeit. Und dann kam das Abenteuer aus dem Hause KING Art, belehrte mich eines Besseren und wischt mal so eben mit gefühlt 90 Prozent der Konkurrenz aus den letzten Jahren den Boden auf. Und es muss schon ein verdammt gutes Spiel sein, wenn es mich von den geliebten Konsolen weglockt.
The Book of Unwritten Tales strotzt nur so vor liebevollen Details, sympathischen Charakteren und tonnenweise Anspielungen auf Film, Fernsehen und Videospiele. Von Herr der Ringe („Mein Name ist Herr Unterberg.“) über World of WarCraft (zwei Charaktere spielen ein Online-Rollenspiel) bis hin zu Star Wars („Du brauchst meine Einladung nicht zu sehen.“) ist alles dabei, was Rang und Namen hat.
Die Geschichte um den Kampf zwischen Gut und Böse, einen geheimnisvollen Ring und die Rettung der Welt mag zwar auf den ersten Blick nach einem Abklatsch von J. R. R. Tolkiens Werk klingen, aber das interessiert schon nach kurzer Zeit niemanden mehr. Sie versprüht mehr als genügend eigenen Charme, ohne dabei wie eine billige Kopie zu wirken. The Book of Unwritten Tales spielt obendrein mit bekannten Fantasy-Klischees – beispielsweise die Zwerge und ihr Bier, oder die hübsche, unsterbliche Elfin – und vermischt es mitsamt aller Seitenhiebe, dem fantastischen Dialoghumor, der Situationskomik und der zauberhaften, ins Detail gehenden Welt zu einer echten Perle des Genres.
All diese Elemente erwecken dabei zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, als hätte man sie zwanghaft in einen überhaupt nicht dazu passenden Rahmen gequetscht. Es entsteht viel mehr das Gefühl einer in sich stimmigen Umgebung, die auf eine Art und Weise mit den Gegebenheiten, den Figuren, der Selbstverständlichkeit absurder Behauptungen und dem Spieler vor dem Bildschirm spielt, wie man es etwa von Monkey Island 2 kennt. Und genau in die gleiche Kerbe schlagen auch die Antwortmöglichkeiten, zwischen denen man sich in den vielen Dialogen entscheiden kann. Mal verrückt, mal fies, mal absurd, mal sinnvoll - siehe auch die beiden Beispiele oben.
Kurz gesagt lohnt es sich, sämtliche Gespräche bis zum letzten möglichen Thema auszureizen und alle Objekte zu untersuchen, letztere zuweilen auch mehrfach. Dass man gerne zuhört, liegt zugleich an der äußerst gelungenen und mit bekannten Sprechern gespickten Synchronisation. Bis der Abspann über den Schirm flimmert, hat man unter anderem die deutschen Stimmen von Gary Oldman, Daniel Craig, Ben Stiller, Ron Perlman und Angelina Jolie gehört. Und das sind nur einige wenige. Hier alle aufzuführen, würde schlicht den Rahmen sprengen.
Hinter diesem mehr als gut gelungenen Äußeren steckt obendrein noch ein sehr gutes Gameplay. Prinzipiell macht man das, was man in Adventures eben so tut: Objekte untersuchen, (mitunter über)große Gegenstände einstecken, sie miteinander kombinieren und letztendlich zur Lösung diverser Rätsel verwenden. Selbige sind im Großen und Ganzen logisch aufgebaut, nützliche Hilfestellungen erhält man durch Gespräche, das Absuchen der Umgebung oder die Hotspot-Funktion, die sämtliche Punkte anzeigt, mit denen man interagieren kann.
Wirklich knackige Herausforderungen, die die eigenen Gehirnzellen Stück für Stück zur Explosion bringen, sind nicht vorhanden. Dennoch kommt The Book of Unwritten Tales auf mindestens 15 Stunden Spielzeit. Angesichts der heutzutage meist eher kurzlebigen Spiele kann sich das auf jeden Fall sehen lassen.
Eine nette Idee ist auch der Wechsel zwischen verschiedenen Charakteren im Spielverlauf. Je nach Aufgabenstellung muss man Gegenstände untereinander tauschen und kann bestimmte Aktionen nur mit einer dafür vorgesehenen Figur durchführen.
Der Gnom Wilbur ist ein Zeitgenosse mit geringer Körpergröße und passt demnach vorzüglich durch schmalere Öffnungen. Nate hingegen ist stark und kann schwere Objekte bewegen. Und die Elfin Ivo ist.. nun... „sexy“, wie Nate so schön anmerkt. Letztendlich hat jeder Charakter seine Bestimmung und trägt seinen Teil zur fesselnden Geschichte bei.
Wirklich viel falsch macht The Book of Unwritten Tales indes erfreulicherweise nichts. Es sind eher Kleinigkeiten, die den Spielspaß höchst selten trüben. Drei Abstürze – vornehmlich beim Schauplatz- oder Kapitelwechsel – sorgten während der gesamten Testdauer zum Beispiel für den ein oder anderen Ausstoß von Wörtern, die ich an dieser Stelle nicht wiederholen möchte. Wenn man sich nicht ausschließlich auf die Autosave-Funktion verlassen möchte und alle 20 Minuten manuell speichert, verliert man im Fall der Fälle nicht allzu viel Zeit. Andernorts sind es einige steife Animationen, das vielleicht ein wenig zu plötzlich kommende Ende und die vorgerenderten, leider aber eher mittelmäßig komprimierten Zwischensequenzen, die weitere kleine Flecken auf der ansonsten strahlend weißen Weste bilden.
Diese winzigen Mankos verpuffen aber angesichts der Begeisterung, die The Book of Unwritten Tales in mir auslöst. KING Art hat schlicht und ergreifend das in meinen Augen beste Adventure (ja, auch einen Stück besser als "Edna") seit Jahren abgeliefert, das mich zugleich sehr, sehr stark an die guten alten Klassiker erinnert. Gibt es überhaupt ein größeres Kompliment für ein Spiel dieses Genres? Vermutlich nicht.
Wer diese Sorte Adventure mag – es gibt ja auch noch die eher ernsthaft angehauchten Vertreter –, wird um The Book of Unwritten Tales nicht herumkommen. Ein Fest für Augen, Ohren und Lachmuskeln. Liebe Entwickler, gebt mir bitte mehr davon!
The Book of Unwritten Tales ist bereits im Handel erhältlich. Dialogbeispiel gefällig? Nate:"Bist Du ein Krieger?", Paladin:"Nein, ich kann nicht richtig kämpfen.", Nate:"Dann bist Du ein Heiler?", Paladin:"Nein, ich kann auch nicht richtig heilen.", Nate:"Dann musst Du ein Paladin sein!" Außerdem findet Ihr auf Eurogamer TV sechs exklusive Videos zu The Book of Unwritten Tales.