The Bureau: XCOM Declassified - Test
Der Shooter, der keiner sein durfte - wenn ein Internet-Shitstorm ein Spiel kaputt macht.
Wenn es eine Akte gibt, in die ich gerne Einsicht hätte, dann die der über die Jahre gesammelten Design-Dokumente zum XCOM-Shooter. Auf die ersten bewegten Szenen folgte 2010 ein Aufschrei der Fans, die eine geliebte Strategiemarke dem Action-Diktat des Mainstreams geopfert wähnten. Dabei stimmt es schon, wenn 2K Marins Erik Caponi sagt, der Titel sei zu früh angekündigt worden. Ein XCOM-Shooter sah nämlich nur so lange wie eine schlechte Idee aus, wie es keinen neuen Strategietitel in dem Universum gab. Hätten die Fans um Enemy Unknown gewusst, The Bureau sähe heute vermutlich ganz anders aus.
So jedenfalls ging in der Fan-Rage komplett unter, dass XCOMs erster Trailer ein wirklich fantastischer war, der stilsicher und sogar visuell mutig-verschroben die mysteriöse Seite des Microprose-Klassikers gut einfing. Aber es war zu spät, denn die Leute wollten nicht dieses Spiel, sondern Enemy Unknown. Ein Shooter-XCOM war nach dem verfrühten Startschuss definitiv schwierig zu kommunizieren und dass man auf die Fans hören wollte, durchaus lobenswert. In diesem Fall gerieten aber Vision, Stil und die zur Schau getragene Kreativität des ersten Entwurfs unter die Räder.
Zwischen wollen und müssen
Vorneweg vielleicht der Hinweis, dass The Bureau: XCOM Declassified dennoch in einigen Bereichen durchaus Beachtliches leistet. Gerade, wenn man sich vor Augen hält, was für eine bewegte Geschichte es hinter sich hat. Es ist ein in Ansätzen überraschend robustes Taktik-Spiel mit vielen guten Momenten und einem interessanten Szenario. Aber es wirkt auch in mehrfacher Hinsicht wie ein Sammelsurium vieler konkurrierender Design-Ideen, die ursprünglich nicht zusammengehörten. Das beginnt schon damit, dass er viel versprechende Sechzigerjahre Hintergrund von dem Willen, den Strategiemechanismen ein entsprechendes Schlachtfeld zu bieten, sabotiert wird.
Was ursprünglich als Mystery-Geschichte präsentiert wurde, ist nun ein groß angelegter Krieg der Welten samt biologischen Waffen und hüfthoher Deckung, wie man ihn generischer selten sah. In der stimmungsvoll umgesetzten Basis erzählt einem Jedermann davon, wie die Menschen überrannt werden, wie die letzte Stunde geschlagen hat, yadda yadda yadda. Man selbst merkt davon natürlich nichts, wenn der grummelige Agent Carter und sein Trupp neue Waffen und Technologien der Aliens einfach auf dem Schlachtfeld aufheben. Und zwar mit einer Selbstverständlichkeit, als wären es Karnevals-Kamellen. Schon nach der zweiten Mission kehrt man niemals mehr zur konventionellen Menschenausrüstung zurück. Ihr zieht in Windeseile mit den Aliens gleich, weshalb diese Invasion auch genau so gut vor einem modernen Hintergrund stattfinden könnte - es würde nichts ändern.
Dazu passt, dass auch den Levelaufstiegen eurer Agenten jegliche Rechtfertigung durch das Szenario fehlt. Carter und seine zwei Begleiter erreichen einfach gewisse Erfahrungspunkteschwellen und erlernen dann auf einem linearen Fertigkeitenbaum (besser "Zweig") neue Skills, die selbst heutige Möglichkeiten bei weitem überschreiten. Warum die Hauptfigur und seine Untergebenen etwa aus dem Nichts einen Lasergeschützturm erschaffen oder einen Alien-Blob beschwören und kontrollieren können, wird nie zufriedenstellend erklärt. An einer Stelle zeigt euch einer der Eierköpfe in der Basis, dass die Telekinese jetzt funktioniert. Das Warum interessiert nicht.
The Bureau ist zwar endlich ein Taktikspiel, aber der Forschungs- und Entwicklungsaspekt der Vorlage wird lediglich angedeutet, worunter die Glaubwürdigkeit des Szenarios schlichtweg bitterlich leidet. Wie gesagt, das Einzige, das aus dem Rahmen fiele, wenn der Titel 2010 spielte, wäre die Kleidung. Andeutungen in Richtung Xenophobie und Red-Scare-Paranoia bestimmter Figuren verdampfen im Plasma-Gewitter und wirken wie Marker-Reste auf dem Whiteboard-Entwurf eines erzählerisch ambitionierteren Spiels. Chance verschenkt, auch wenn das Art-Design hier und da den Zeitgeist zumindest optisch gut einfängt.
"Mehr, dafür deutlich kürzere Einsätze wären aber sehr viel besser gewesen."
Der nächste Clash der Design-Philosophien liegt in der Struktur des Titels begründet. Einerseits will man ein komplexes Taktikspiel mit Aufstiegen im Level, Skills und klugem Truppenmanagement liefern, andererseits gibt es nur sieben lange Kampagnen-Missionen und sechs kürzere Nebenaufträge. Das ist zwar auf dem Papier auch nicht kürzer, als ein Shooter guter Länge. Mehr, dafür deutlich kürzere Einsätze wären aber sehr viel besser gewesen, denn Raum, mit den verschiedenen Charakterklassen zu experimentieren, gewährt das Spiel euch in dieser Form nur wenig. Immer wieder wägt man die Sicherheit seiner bewährten Zusammenstellung gegen eine mögliche Rotation seiner Untergebenen ab und trifft eine Entscheidung, die selten zugunsten des Frischfleischs ausfällt. Das Abenteuer ist einfach zu kurz, um Aufträge damit zu "verschwenden", sie mit Charakterklassen anzugehen, die einem nicht so sehr liegen und die noch nicht so weit aufgelevelt sind. Natürlich lädt man daher nach dem Tod eines Soldaten auch lieber den letzten Spielstand, als diese Schwächung über sich ergehen zu lassen.
Beschäftigungstherapie
Das Spiel weiß scheinbar auch um die mangelnde Attraktivität der KI-Kollegen aus der zweiten Reihe, denn zwischen den Missionen schickt ihr am Kartenbildschirm aktuell nicht benötigte Mitarbeiter vollkommen risikofrei auf "Transportaufträge". So leveln sie wenigstens ein bisschen mit, um im theoretischen Permadeath-Notfall nicht komplett unnütz zu sein. Da man das aber nur ein paar Mal macht, bis sie ihren maximalen Level (Stufe 5) erreichen, zieht man auch aus diesem Feature nicht allzu viel Nutzen. Überhaupt erzieht einen das Spiel schon in dem einleitenden Level dazu, nur mit Pionier (Ingenieur mit Lasertürmen und Minen) und Aufklärer (Scharfschütze mit kritischen Treffern) unterwegs zu sein, was sich schnell als das beste aller Teams herauskristallisiert. Die anderen Klassen können dem nicht ansatzweise das Wasser reichen: Die medizinisch begabte Support-Klasse ist in ihren Skills zu defensiv und zugleich zu wenig schlagkräftig und der offensive Soldat muss in der Regel näher an die Feinde ran, als ihm gut tut.
So gespielt - also mit dem erfinderischen Pionier und dem trickreichen Aufklärer -, erlebt man aber einen streckenweise durchaus motivierenden Taktik-Shooter, der vor allem auch mit einigen schönen Level-Einfällen gefällt. Zwar ist das erste Viertel etwas zäh und schwierig zu spielen, sobald aber eine kritische Masse an Talenten errungen wurde, flutscht der Zyklus aus Geschützaufstellen, Gegnerbremsen, Ablenken, Flankieren und Attacke überraschend gut. Das Deckungssystem ist zweckmäßig und die Befehlsgewalt in ihrem Umfang durchaus sinnstiftend. Es vergeht eigentlich keine Angriffswelle, in der man nicht in dem verlangsamten Befehlsmenü eine ganze Reihe Kommandos geben würde.
The Bureau verändert sich im Laufe der Kampagne aber auch niemals maßgeblich und bleibt über die komplette Länge recht schlauchig. Man kann dem Titel überdies durchaus ankreiden, im Grunde mit derselben Taktik aus den meisten Schlachten siegreich hervor zu gehen. Ob das nun an der Zusammenstellung der Fähigkeiten liegt oder daran, dass alles, was dem Spiel einfällt, um den Schwierigkeitsgrad anzuziehen, eine Verdopplung seiner stärksten Gegner ist - ich bin mir nicht sicher. Aber zumindest ist es ein deutlich ausgewogenerer Hybrid aus Shooter und Strategie, als es Mass Effect jemals war.
"Obwohl die Bedienung überraschend eingängig ist, merkt man regelmäßig, dass 2K Marin kein wirkliches Strategiespielstudio ist."
Obwohl die Bedienung überraschend eingängig ist, merkt man zudem auch regelmäßig, dass 2K Marin kein wirkliches Strategiespielstudio ist. So scheitern zum Beispiel einige Distanz-Skills mehrfach daran, dass man den Zielcursor nicht über Deckung und Abgründe hinwegbewegen kann, obwohl das auserkorene Opfer noch eindeutig innerhalb eurer Reichweite ist. Das Spiel erwartet von euch stattdessen, den Cursor über den Boden zum Einsatzort zu ziehen, was wegen des beschränkten Skillradius und der rechtwinkligen Architektur der Arenen oft nicht möglich ist, ohne eine Figur aus ihrer Deckung zu beordern.
Ringen um Kontrolle
Gleichermaßen schränkt das Spiel in einigen Szenarios ohne Erklärung auf einmal den Bewegungsradius eurer Figuren ein. Konnte ich in einem Level meinen Scharfschützen zum Flankieren auf die andere Seite eines Parks beordern, durfte ich ihn im Staudamm-Level kaum zehn Meter von mir weg befehlen. Ärgerliche Logik-Klopper, die nicht hätten sein müssen. Da mag man sich kaum darüber aufregen, dass eure Leute teilweise durch Wände schießen, hier und da zu leichtsinnig ihren Posten verlassen und manchmal auf dem Weg zur Wiederbelebung eines Kollegen an der Wegfindung scheitern.
Und dann ist da noch die Handlung, die einen böse hängen lässt. Dabei meine ich nicht einmal, dass die hüftsteife Inszenierung den einen oder anderen wichtigen Moment in den Sand setzt. Es sind eher die inhaltlichen Dinge, die einen indifferent zurücklassen. Ein Protagonist, dem Frau und Kind umgekommen sind, dient als dünne Rechtfertigung für eine überraschende, aber im Nachgang weit hergeholte und unbefriedigende Wendung. In der Basis und in den verschiedenen Einsatzgebieten liegen wie willkürlich verstreute Fotos, Notizen und Audiologs rum, die nicht annähernd so interessant wie zahlreich sind und die aus Mass Effect entliehene Dialogführung will Multiple-Choice sein, gibt aber nur an wenigen Stellen Gelegenheit, durch seine Antworten wirklich etwas zu bewegen. Hier schien das Team bemüht, nachträglich erzählerisch etwas zusammenzurren zu wollen, das nicht zusammen gehörte.
So wenig es mich also auch wundern würde, wenn an den Gerüchten von damals, der Titel würde nur noch als Download-Spiel zum schmalen Preis herauskommen, etwas dran gewesen wäre: The Bureau: XCOM Declassified ist doch kein Reinfall auf ganzer Linie. Tatsächlich gelingen ihm sogar einige durchaus triumphale Momente, wenn man etwa den Start eines nicht ganz ungefährlichen Flugkörpers vor wundervoll XCOM-iger Kulisse vereitelt.
Aber es ist in Summe auch nur der Schatten eines größeren, ambitionierteren Spiels und der Beweis dafür, dass es nicht immer unbedingt besser ist, auf einen aufgebrachten Mob im Internet zu hören. Manchmal muss man einfach Kurs halten, sein Ding machen und darauf vertrauen, dass man die richtige Vision hatte. Sonst endet man mit einem zielgruppengesteuerten Produkt, das Konsequenz, Richtung und Identität vermissen lässt. Schade, dass gerade diesem hier genau das passiert ist.