The Callisto Protocol gelingt das, was schon Dead Space hinbekam: Mir richtig Angst zu machen!
Das Herz rutscht tief in die Hose, so wie es sein muss.
Auf den Anspieltermin von Callisto Protocol habe ich mich schon Wochen vorher gefreut. Nach den ersten Szenen auf der diesjährigen Gamescom war ich neugierig, wie sich der geistige Dead Space-Nachfolger von Glen Schofield und seinem Team von Striking Distance präsentieren würde. Erwartet habe ich einen soliden Survival-Horror im Sci-Fi-Gewand, bekommen habe ich viel mehr: Ein klaustrophobisches, geradezu angsteinflößendes Erlebnis, welches mich gute zwei Stunden an den Bildschirm gefesselt hat.
Worum geht es eigentlich? Protagonist des Spiels ist der Frachtschiffspilot Jacob Lee, dargestellt von dem Schauspieler Josh Dushamel, der aus welchen Gründen auch immer in dem Black Iron Prison auf dem Jupitermond Callisto gestrandet ist. Das Gefängnis war sicherlich noch nie ein besonders gastlicher Ort, aber nach einem schrecklichen Vorfall sind die düsteren Gänge von sogenannten Biophagen bevölkert. Dabei handelt es sich um grässliche Mutationen von Gefängnisinsassen, die an die deformierten Ergebnisse des Aliens aus „Das Ding aus einer anderen Welt“ erinnern, wenn es versucht ein menschliches Wesen zu kopieren.
Was genau vorgefallen ist, was die Mutationen verursacht und welche dunklen Geheimnisse die United Jupiter Company zu vertuschen versucht, das werde ich wohl erst herausbekommen, wenn Callisto Protocol im Dezember erscheint. Anspielen konnte ich das dritte Kapitel, in dem Jacob einen Weg durch die labyrinthartige Wasseraufbereitungsanlage finden muss. Ein Gewirr aus schmalen, kaum beleuchteten Gängen und engen Schächten, rostige Leitern führen zu höher gelegenen Ebenen und fast überall watet Jacob knietief in Wasser und eklig brauner Gülle.
Es ist aber nicht nur die Düsternis und der allgegenwärtige Schmutz, der auch das Gesicht und den Anzug von Jacob überzieht, der von der ersten Sekunde an ein nagendes Gefühl von Furcht und Anspannung auslöst. Ein dickes Lob gebührt hier dem Sound Design, welches die ganze Zeit über mit knirschenden Geräuschen, tropfendem Wasser oder markerschütternden Schreien aus allen Richtungen kräftig an den Nerven zerrt. Man erwartet zwar schon insgeheim hinter jeder Ecke ein Monster, ist dann aber doch zutiefst erschrocken, wenn sich die grässlichen Mutationen aus dem Wasser erheben oder plötzlich aus einem Schacht nach Jacob greifen.
Glücklicherweise ist der Protagonist aber nicht völlig hilflos und kann sich seiner Haut wehren. Ausgerüstet ist Jacob mit einem elektrifizierten Schlagstock und einem Stahlrohr für den Nahkampf, mit der BT-55 Pistole hält er die Monster auf gebührenden Abstand. Zumindest so lange die Munition vorhanden ist, denn bereits auf dem voreingestellten mittleren Schwierigkeitsgrad stehen kaum mehr als eine Handvoll Patronen zur Verfügung und die Biophagen stecken locker mehrere Treffer ein, bevor sie überhaupt ins Taumeln kommen. Selbst ein gezielter Kopfschuss bannt die Gefahr nicht und die Mutationen stürmen erstaunlich agil weiter auf euch zu. Werdet ihr in einen Nahkampf verwickelt, heißt es Blocken und Ausweichen. Beides wird nur durch die Bewegung des linken Analogsticks ausgeführt und erfordert gutes Timing und einiges an Übung.
Mehr als nur einmal wollte es mir einfach nicht gelingen einem Angriff rechtzeitig auszuweichen und ein einfacher Treffer kostet bereits die Hälfte der Lebensenergie. Diese wird übrigens mit einem LED-Streifen im Nacken von Jacob angezeigt. Sobald diese gelb oder gar rot leuchtet, solltet ihr ihm eine Auffrischung mittels Gesundheitsspritze gönnen. Aber Achtung, dazu muss die entsprechende Taste gedrückt bleiben, Jacob kniet sich dann hin und die Leiste füllt sich quälend langsam wieder auf. In dieser Zeit seid ihr vor Attacken ungeschützt.
Einige brenzlige Stellen habe ich gemeistert, indem ich zuerst mit der Pistole Arme und Beine zerschossen habe, bevor ich mit dem Schlagstock aus nächster Nähe kurzen Prozess machte. Danach folgt noch ein ultrabrutaler Tritt auf den leblosen Biophagen, sonst bekommt Jacob kein Loot. Und wirklich jede Patrone zählt. Zu lange darf ein Kampf auch nicht dauern, denn die Biophagen mutieren zusehends und es wachsen ihnen zusätzliche Tentakel, was sie stärker und gefährlicher macht.
Am besten haltet ihr immer ein waches Auge auf euren Vorrat an Batterien, die ihr für die mächtige Gravitationswaffe benötigt. Mit dem GRP zieht ihr Gegner an euch heran und stoßt diese auch wieder von euch weg - am besten gleich in einen strategisch gut platzierten Fleischwolf oder auf ein Gitter mit Stahlspitzen. So lassen sich auch stärkere Feinde schnell bezwingen, beispielsweise spinnenartige Biophagen, die blitzschnell an den Wänden hochklettern und euch bevorzugt von hinten angreifen.
Lassen sich ein oder zwei Gegner mit taktischem Vorgehen noch gut bewältigen, sieht die Sache schon ganz anders aus, wenn euch ein halbes Dutzend Monster umzingeln. Dann hilft es nur noch, möglichst schnell Abstand zu gewinnen, ansonsten ist Jacob der Tod sicher. Neue Waffen und wertvolle Verbesserungen erhaltet ihr an 3D-Druckern, die gegen gesammelte Münzen das Gewünschte in wenigen Sekunden herstellen. Verbrauchsgegenstände finden sich in Truhen, die manchmal ein wenig versteckt sind, sodass ihr erst eine Kiste verschieben müsst, um darauf zu klettern und so einen höheren Punkt zu erreichen.
Jacob wird der Schädel zertrümmert, die Augen ausgestochen, das ganze Gesicht abgebissen, sein Körper landet in einem überdimensionalen Ventilator oder wird an einer Betonwand zerschmettert, wenn ich mal wieder von einem Biophagen kalt erwischt wurde oder eine Geschicklichkeitseinlage versemmelt habe. Die Todesszenen, von denen es laut den Entwicklern Dutzende unterschiedliche Variationen gibt, sind explizit und es wird nicht mit Blut und Gore gespart. Frustrierend ist es aber nie, wenn mein Protagonist einen grausamen Tod stirbt, denn in den meisten Fällen habe ich direkt einen Plan, wie ich das unfreiwillige Ableben beim nächsten Versuch vermeiden kann.
Auch wenn es keine Karte gibt, lässt sich der richtige Weg kaum verfehlen, wenn ihr die Augen nach Hinweisen aufhaltet. Um eine Tür zu öffnen, benötigt ihr Energiequellen, die sich in der Umgebung befinden. Ein störender Wasserfluss wird über ein naheliegendes Ventil abgestellt. Es gilt eine Zugangskarte bei einem toten Wachmann zu finden oder ihr lest, dass der Weg zum nächsten Zielpunkt sich am Ende einer roten Röhre befindet, die quer durch den Bereich verläuft. Allzu komplex gestalten sich die Umgebungsrätsel in dem gespielten Kapitel nicht, erfordern aber dennoch eure Aufmerksamkeit. Ansonsten wandert ihr ziellos zwischen verschlossenen Türen hin und her und müsst euch mehr als unbedingt notwendig mit den Biophagen herumplagen.
Was ich spielen konnte, das hat mir ausgesprochen gut gefallen. Ich mag die vorsichtige Erkundung der verwinkelten Bereiche, die richtig fiesen Schockmomente, wenn ein Biophage unvermittelt aus der Dunkelheit auftaucht. Dazu die stark taktisch geprägten Kämpfe, in denen perfektes Timing gefragt ist und vor allem die fantastische Atmosphäre, die mich über die gesamte Spielzeit keine Sekunde zur Ruhe kommen ließ. Kein Spiel für schwache Nerven, aber das soll es ja auch nicht sein.