The Cat Lady - Test
Depression, Selbstmord und die Abgründe der menschlichen Psyche. Wir brauchen mehr davon!
Nein, bei The Cat Lady handelt es sich nicht um ein Spiel zum Simpsons-Charakter. Zwar kümmert sich Protagonistin Susan ebenfalls um ein paar Streunerkatzen, doch hält sich ihre Liebe zu den Tieren in Grenzen. Wesentlich mehr Probleme bereiten ihr starke Depressionen. Bevor ihr überhaupt wisst, warum Susan von tiefer Trauer und einer generellen Lustlosigkeit bedrückt wird, startet der Titel direkt mit ihrem Selbstmord. Harter Tobak, den man in Spielen selten sieht und erst recht nicht zur Begrüßung nach dem Hauptmenü. Aber The Cat Lady setzt dadurch seinen düsteren Ton fest, der über die gesamte Spiellänge anhält.
Der Tod ist erst der Anfang
Dabei gelingt dem Spiel die schwere Herausforderung, dunkle Themen der menschlichen Psyche gekonnt umzusetzen. Man spürt das Leiden der Figuren, versteht mit der Zeit sogar ihre Sorgen. Und obwohl ihr bestimmte Verhaltensweisen oder Entscheidungen nicht nachvollziehen könnt, gewährt es einen schreckhaften Einblick in die Welt der Depression, die als Außenperson nur schwer greifbar ist.
Natürlich führt Susans Selbstmord nicht zu ihrer erhofften Lösung. Die ersten Minuten nach ihrem Tod verbringt sie in einer Art Limbo und trifft dort auf eine alte Frau, deren exakte Rolle sich erst gegen Ende des Spiels aufklärt. Sie gehört zu den vielen Mysterien des Abenteuers, die euch während den sieben Kapitel motivierend vorantreiben. Die Dame schickt Susan als Unsterbliche zurück in die Welt der Lebenden, wo sie sich um fünf grausame Personen kümmern soll, die selbst den widerlichsten Massenmörder durch ihre abartigen Rituale zum Staunen bringen.
So erreicht ihr recht früh eine Irrenanstalt, in der ihr die Bekanntschaft mit einem freundlichen Arzt macht, der euch bei den tödlichen Gedanken helfen will. Zwar sollte es keine Überraschung sein, dass sich hinter seiner netten Fassade ein brutales Monster versteckt, doch die Ausmaße seiner verstörten Psyche lassen euch mit entsetzten Blicken zurück. Ich möchte die genaue Vorgehensweise der fünf Parasiten keinesfalls verraten, gehören die kritischen Konfrontationen doch zu den besten Momenten.
Genau wie im restlichen Spiel bieten sich euch verschiedene Aktionen, die nicht nur die einzelnen Szenen beeinflussen, sondern ebenfalls zu unterschiedlichen Enden führen. The Cat Lady ist in meinen Augen übrigens ein perfektes Beispiel dafür, wie man dem Spieler wertvolle Entscheidungen gibt, ohne dabei stets einen alternativen Pfad zu verschenken. Dadurch wisst ihr selbst nie, wo ihr den Verlauf beeinflusst und was lediglich den Dialog verändert. An einigen Stellen dachte ich auf jeden Fall, das Spiel beeinflusst zu haben. Jedenfalls fühlte es sich so an. Erst bei einem zweiten Durchgang merkte ich, dass ich den Ausgang nicht verhindern hätte können.
Geschichtliche Auswirkungen
Um noch einmal zurück auf den Aufenthalt im Irrenhaus einzugehen. Auch dort trefft ihr Entscheidungen, die zwar nicht eure Zukunft, aber dafür die Vergangenheit bestimmen. So fragt man euch beispielsweise nach euren Eltern. Ich erzählte meinem Gesprächspartner, dass ich als Kind mit ansehen musste, wie sich mein Vater im Keller die Kugel gab. Anschließend sprach ich über meine distanzierte Mutter, zu der ich nie ein gutes Verhältnis hatte. Das Spiel kombinierte daraufhin beide Szenarien und erklärte das Verhalten der Mutter mit dem plötzlichen Selbstmord des Vaters als hätte es die Handlung so vorgesehen. Es waren keine erdachten Lügen. Meine Vorstellung von Susans Kindheit verwandelte sich dadurch zur Realität und erzeugte gleichzeitig eine stärke Bindung mit der Figur.
Man spürt das Leiden der Figuren, versteht mit der Zeit sogar ihre Sorgen.
Ohne die ausgezeichneten Dialoge sowie professionelle englische Sprachausgabe hätte dieser Effekt lange nicht so gut funktioniert. Selbst bei längeren Gesprächen hörte ich den Akteuren gespannt zu, weil sie sich äußerst real anfühlen und viele Geschehnisse erst nach und nach aufgerollt werden. Man erschlägt euch nie mit zu vielen Informationen, was gleichzeitig dazu führt, dass ihr stets mehr erfahren wollt. Und glaubt mir: Die Handlung enthält einige ganz schön krasse Wendungen, die wohl die wenigsten kommen sehen werden. Dem Spiel reicht es nicht, euch durch die dauerhaften Qualen Susans am emotionalen Tiefpunkt zu halten, man zieht euch auch gerne noch die letzte Haltung unter den Füßen weg.
Oft arbeitet The Cat Lady mit grotesken Darstellungen und viel Blut, doch endet es nie in einem Folter-Porno. Jeder Gewaltexzess ist berechtigt und unterstützt die Aussagen des Spiels, deren Thematiken eine seltene Reife für Entwickler aufweisen. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass jemand aus dem Team persönliche Erfahrungen mit Depressionen oder Todeswünschen gemacht hat, weil es sich auf eine fast schon beängstigende Weise echt anfühlt. Zumindest was die Figuren betrifft. Bei den Taten eurer Feinde oder den Besuchen der Zwischenwelt füllt sich der Bildschirm mit kreativen Ausgüssen, die stets verstörend wirken. Sehr oft sogar allein durch die reine Abstrusität des Gezeigten wie man es beispielsweise aus Eraserhead kennt.
Dem Spiel reicht es nicht, euch durch die dauerhaften Qualen Susans am emotionalen Tiefpunkt zu halten, man zieht euch auch gerne noch die letzte Haltung unter den Füßen weg.
Beim Stil gehen die Meinungen sicherlich stark auseinander. Die surreale Verbindung von gezeichneten Hintergrundobjekten in Kombination mit Fotos und kruden Figuren schreckt sicherlich viele ab. Besonders die Farben einiger Personen, die an das Spektrum und die Kontraste der ersten Amiga-Geräte erinnern, beißen sich regelrecht mit der Umgebung. Es passt wunderbar zum Setting und vermittelt ein unwohles Gefühl, das die Atmosphäre der Geschichte perfekt widerspiegelt. Trotzdem verstehe ich, wenn es euch absolut nicht gefällt. In solch einem Fall, rate ich trotz der überragenden Erfahrung von einem Kauf ab. Ihr haltet dann nämlich keine zehn Minuten aus.
Wegen Katzen keine Maus?
Ebenfalls sorgt die Steuerung bei der ersten Konfrontation für fragende Blicke. Ich bin garantiert nicht der einzige, der entsetzt feststellen musste, dass die Maus nicht funktioniert. Stattdessen steuert ihr den Titel komplett mit den Pfeiltasten. Nur zum Bestätigen eurer Auswahl benötigt ihr eine zusätzliche Eingabefläche. Man gewöhnt sich nach ein paar Stunden daran, optimal ist das System aber ganz und gar nicht. So drückt ihr bei Objekten, Personen oder Türen nach oben und müsst anschließend die gewollte Aktion auswählen. Danach wandert der Finger auf die Entertaste zur Festlegung. Um Items einzusetzen, drückt ihr nach unten. So gelangt ihr in das Inventar. Ein Druck auf die obere Pfeiltaste bringt euch in das Abenteuer zurück. Deswegen benötigt ihr stets ein bis zwei Schritte mehr als bei einer normalen Maussteuerung. Oft wartet Susan zudem zwei Sekunden, bis sie den anvisierten Gegenstand endlich aufhebt. Meist denkt ihr deshalb, das Spiel hätte eure Eingabe nicht richtig verstanden. Ansonsten sind mir nur Unstimmigkeiten bei den Animationen stark aufgestoßen. Stocksteife Bewegungen, häufige zum Text asynchrone Münder und gelegentliches Zucken bei schnellen Wendungen.
Besonders die Farben einiger Personen, die an das Spektrum und die Kontraste der ersten Amigageräte erinnern, beißen sich regelrecht mit der Umgebung.
Rätsel im Spiel dienen mehr als Verbindungsstück zwischen Dialogen, fühlen sich aber selten erzwungen an und folgen im Gegensatz zu Susans verrückten Abstechern in die Zwischenwelt einer normalen Logik. Nirgendwo steckte ich lange fest, fühlte mich aber gleichzeitig keineswegs unterfordert. Außerdem schlüpft ihr zwischenzeitlich noch in die Haut anderer Figuren, bei denen sich das Spielgefühl ändert. Auch hier gilt: Lasst euch überraschen! Neben der Manipulation eurer Umgebung sorgt der geistige Zustand eurer "Heldin" schnell zu Problemen. Regt sich Susan zu sehr über bestimmte Situationen auf, leidet darunter ihre geistige Belastbarkeit, was zu einem Nervenzusammenbruch führt. Optionale Ziele wie die richtige Erhitzung eines Hamburgers sorgen hingegen für Beruhigung. Es reicht lange nicht an den Sanity-Effekt aus Eternal Darkness heran, doch jegliche Implementierung eines solchen System sehe ich stets gerne.
Wenn irgendwas im Spiel die Qualität der Texte erreicht, dann ist es der Soundtrack, der sich problemlos mit den besten Werken von Akira Yamaoka - unter anderem Komponist von Silent Hill - messen kann. Sanfte Klänge gehen schnell zu unruhigen Bässen über, die durch eingestreute Geräusche für mulmige Bäuche sorgen. Unerwartet tritt dann ein lauter Gitarrenriff hinzu, der euch das Adrenalin durch den Körper pumpt. Eine großartige Meisterleistung.
Nach den ersten Bildern hätte ich im Leben nicht mit einer derart tiefgründigen Erfahrung gerechnet, die schwere Themen gekonnt behandelt, ohne in langweilige Klischees zu verfallen. Nebenher erschafft man eine stetige Entscheidungsfreiheit, deren Ausmaße sich nie vorhersagen lassen und sich gerade deswegen sowohl interessant als auch real anfühlen. Ganz besonders durch die Freiheiten bei der Kreierung eurer Vergangenheit erschafft ihr trotz festgelegter Persönlichkeitsmerkmale eine eigene Interpretation der Hauptfigur.
Die seltsam anmutende Steuerung sowie einige Probleme bei den Animationen gehören zu seltenen Fehlern, die sich das Spiel leistet. Zumindest solange ihr das optische Design nicht als störend empfindet. Denn ansonsten sehe ich keinen Grund, warum ihr The Cat Lady nicht spielen solltet. Vorausgesetzt ihr wollt euch mit den schwärzesten Abgründen der menschlichen Seele befassen und schreckt nicht vor blutigen oder verstörenden Bildern zurück. Trotzdem bitte ich euch selbst dann um die innere Überwindung, denn die Erfahrung ist es wert. The Cat Lady gehört nicht nur zu den besten Spielen des Jahres, es ist eines der besten Horror-Adventure überhaupt.