The Cosmic Wheel Sisterhood im Test: Es ist anders, als ich gedacht hatte – aber so gut wie gehofft
Hex-hex!
Ihr haltet das Legen von Tarotkarten für Humbug? Nun, für Fortuna ist es unheimlich wichtig. Es macht nämlich nicht nur einen großen Teil ihres Lebens aus, es hilft ihr jetzt auch aus einer verdammt misslichen Lage. Denn Fortuna ist eine Hexe – eine Hexe, die vor 200 Jahren den Untergang ihres Covens, der titelgebenden Cosmic Wheel Sisterhood, prophezeit hat. Weil ihr die Karten das so gesagt haben, logisch. Hätte sie die Wahrheit etwa für sich behalten sollen?
Tatsächlich war die Leiterin ihres Zirkels genau dieser Meinung und hat Fortuna deshalb ins Exil verbannt. Ganze eintausend Jahre soll sie dort verbringen, gerade mal 200 davon hat sie bereits abgesessen; in einem kleinen Haus, das sie nicht verlassen und in dem sie keinen Besuch empfangen darf. Das ist der Moment, an dem die Geschichte von The Cosmic Wheel Sisterhood beginnt, dem neuen Spiel von Deconstructeam, einem drei Personen kleinen Independent-Studio, das in der Vergangenheit unter anderem mit Gods Will Be Watching und The Red Strings Club von sich reden gemacht hat.
Wie? Indem die Spanier um Spielemacher Jordi de Paco ebenso gut geschriebene wie vielschichtige Geschichten erzählen, die zum Nachdenken anreden und über weite Strecken auch sinnhafte Interaktionen erfordern. Auf einer Ebene zwischen Adventure und Visual Novel klickt man sich dabei über weite Strecken durch vorgeschriebene Gespräche, die man durch Multiple-Choice-Antworten und andere interaktive Elemente mal mehr, mal weniger stark beeinflusst.
200 Jahre also befindet Fortuna schon im Exil und hat, gelinde formuliert, so langsam die Nase voll. Tatsächlich ist sie von einer Wut auf ihre Leiterin und dem dringenden Wunsch getrieben, ihr Exil endlich zu verlassen. Daher ruft sie einen Behemoth herbei: ein mächtiges Wesen namens Abramar, der ihr die Macht verleiht eigene… keine Tarot- aber ähnlich konstruierte Karten zu erschaffen. Immerhin fügt es sich schon kurz darauf, dass die junge Hexe wieder Besuch empfangen kann. Und so kommen bald darauf ihre Freundinnen sowie viele weitere Hexen vorbei, deren Karten sie liest. Wobei natürlich viel mehr dahintersteckt, als das Spiel zunächst erahnen lässt.
Zwei Sachen zeichnen The Cosmic Wheel Sisterhood somit aus und die hängen eng zusammen. Zum einen haben die Entscheidungen, die man in den zahlreichen Unterhaltungen trifft, nämlich große Auswirkungen – nicht für den globalen Verlauf der Geschichte, aber für die daran beteiligten Personen und teilweise auch ihre Beziehungen zueinander.
Zum anderen ist da das Spiel mit den Karten, die man in einem einfachen Editor zunächst relativ frei erstellt und deren Bedeutung man in einer der anschließenden Lesungen wie in einem Multiple-Choice-Dialog auslegt. Das heißt, Fortuna zieht automatisch eine Karte aus dem Deck, das man kreiert hat, und erhält damit verschiedene Antwortmöglichkeiten, die den Eigenschaften der gezogenen Karte entsprechen. So kann man sich zum Beispiel entscheiden, ob man einer erfolgreichen Hexe gutes Ansehen bei ihren Freunden vorhersagt oder von Neid getriebene Missgunst. Und es ist ja so: Ist eine Lesung nicht auch selbsterfüllende Prophezeiung? Führt man mit der gewählten Interpretation den Gast nicht auf einen zum Teil vorherbestimmten Weg?
So hatte ich das jedenfalls im Vorfeld verstanden, nach dem Vorfühlen einer Vorschauversion, die bis dahin natürlich nur einen kleinen Einblick in die Geschichte zuließ. Inzwischen weiß ich allerdings, dass dieser Kniff mit der selbsterfüllenden Prophezeiung nicht ganz das zu sein scheint, was Deconstructeam beziehungsweise Jordi de Paco im Sinn hatten. Vielmehr dreht sich – und ich werde natürlich nichts Konkretes vorwegnehmen – The Cosmic Wheel Sisterhood viel direkter darum, wie man sein Schicksal selbst in die Hand nimmt.
Es geht um das Verarbeiten eigener sowie der Konflikte von Anderen. Wut, Trauer, Depression und mehr spielen eine Rolle, ohne plakativ im Vordergrund zu stehen. Vielmehr hat de Paco sehr charmante und angenehm glaubwürdige Charaktere geschrieben, die unterschiedlich große Herausforderungen meistern müssen oder einfach nur wissen wollen, was auf sie zukommt. Wie sie damit umgehen sollen und auf welche Art Fortuna ihre eigenen Hürden überwinden kann, das ist oft die Frage.
Und wenn sich mal kein Gast angekündigt hat oder man keine Lust darauf hat, eine neue Karte zu erschaffen, dann setzt sich Fortuna eben aufs Bett, liest eine Kurzgeschichte, legt sich kurz hin oder studiert die Regeln ihrer Kartenkunst. Ich habe vorhin ja erwähnt, dass jede erstellte Karte bestimmte Eigenschaften hat – man sollte dazu vielleicht noch wissen, dass ihr die nicht vom Zufall zugewiesen werden.
Vielmehr wählt man beim Kreieren zunächst den Hintergrund, dann eine zentrale Figur und anschließend noch weitere Zeichen, wobei jedes dieser Motive seine ihm fest zugewiesenen Eigenschaften auf die spätere Karte überträgt. Genau deshalb kann es so hilfreich sein, über die Besonderheiten der Elemente Bescheid zu wissen, die mit diesen Eigenschaften verknüpft sind. Ich habe zwar erst spät damit angefangen, die Karten nicht nur nach Gefühl zusammenzusetzen, hatte dann allerdings umso größeren Spaß daran, Fortunas Deck relativ zielstrebig um bestimmte Interpretationsoptionen zu erweitern.
Erwartet vielleicht nicht zu viel davon. Letztlich sind sich viele der Optionen durchaus unähnlich und selbst ohne ein perfekt ausbalanciertes Deck (um taktisches perfekt austarierte Sammelkarten geht es hier ohnehin nicht) kann man Fortuna so spielen, dass sich das immer angenehm frei anfühlt. Für mein Empfinden ahmt die Mischung aus dem (meist) zufälligen Ziehen und der Multiple-Choice-Interpretation das reale Kartenlegen jedenfalls erstaunlich effektiv nach. Dass man diesen Vorgang zusätzlich aber noch behutsam in eine gewünschte Richtung lenken kann, ist quasi das Tüpfelchen auf dem i.
Oder sollte ich das eher über eine der abschließenden Szenen schreiben? Nein, das Ende ist nicht außerordentlich spektakulär. Die Geschichte nimmt auch keine unerwartete Wendung. Sie schließt allerdings mit einem emotionalen Finale, bei dem ich mich mächtig zusammenreißen musste, weil ich so „clever“ war, es in einer gut besetzten Straßenbahn zu spielen. Nur konnte ich an diesem Punkt doch nicht aufhören.
Aber sowohl das Eine als auch das Andere sind ja ohnehin nichts anderes als ein großes Lob für das, was Deconstructeam sowohl erzählerisch als übrigens auch stilistisch auf die Beine gestellt hat.
The Cosmic Wheel Sisterhood ist sowohl für PC als auch Nintendo Switch erhältlich, wobei die Windows-Fassung auf Steam und GOG verkauft wird. Der Preis beträgt in allen Fällen 17,49 Euro und ist derzeit zehn Prozent niedriger, sodass momentan lediglich 15,74 Euro anfallen – auf GOG sind es aus Gründen, die Adam Riese erblassen lassen würden, sogar nur 15,69 Euro.
- Steam
- GOG
- Nintendo Switch
- Emotionale Geschichte, die viele große und kleine Themen um das Leben vereint
- Teils sehr unterschiedliche Gesprächsoptionen und stets bedeutsame Einflussnahme vor allem in kleinen, aber auch einigen großen Teilen der Handlung
- Viele gut geschriebene, glaubwürdige Charaktere
- Erstaunlich offenes Kartenlegen und relativ freies Erstellen eines eigenen „Tarot“-Sets
- Sehr kleine Schrift beim Handheld-Spielen
- Man kann oft einige Minuten lang nicht manuell speichern
- Gelegentliche Ungereimtheiten mit Gamepad-Steuerung am PC
Gut, man sollte durchaus erwähnen, dass die Schrift viel zu klein ist, wenn man auf dem Steam Deck unterwegs ist. Und dass man oft mehrere Minuten lang partout nicht speichern darf, gefällt mir überhaupt nicht. Nicht zuletzt kam es an einigen Stellen vor, dass ich Menüpunkte nicht wie sonst per Digikreuz oder linkem Analogstick ansteuern konnte, sondern dafür den Cursor erst wie einen Mauszeiger mit dem rechten Stick auf das entsprechende Feld führen musste. Mag sein, dass hier die überschaubaren Ressourcen des dreiköpfigen Teams zutage treten. Mindestens die Schriftgröße sollte bei einem Erzählspiel ohne Sprache allerdings unbedingt jeder Spielsituation angemessen sein.
Nicht zuletzt merkt man ja auch der eigentlichen Erzählung an, dass die nur im überschaubaren Maß verzweigen durfte. Denn ausgerechnet Fortunas wundervolle Liebesbeziehung geht später etwas unter, wenn ihr Partner irgendwann kaum noch als solcher auftaucht, sondern wie ein normaler regelmäßiger Gast auftritt. Abgesehen davon kann man Fortuna an einem bestimmten Punkt entweder als eine Art Vorgesetzte positionieren oder lediglich als deren Helferin – nur dass man selbst im zweiten Fall weiterhin alle zentralen Entscheidungen trifft. Dieser für mein Empfinden essenzielle Unterschied war im Spielgeschehen daher kaum spürbar.
Das ist kein Beinbruch und kann der feinen Erzählung nichts anhaben. Aber da fühlt man dann eben doch, dass man mehr durch eine Visual Novel geleitet wird, anstatt vollständig in der Figur Fortuna aufzugehen.
The Cosmic Wheel Sisterhood im Test – Fazit
Womöglich wisst ihr ja, dass ich kein großer Fan von Visual Novels bin. Ich mag allerdings die verpixelten Erzählspiele im Stil von The Red Strings Club oder VA-11 Hall-A, die nicht nur stilvoll präsentiert und gut geschrieben sind, sondern bei denen das tägliche Tun der Protagonisten auch eine interaktive Rolle spielt. Und genau in diese Kerbe schlägt The Cosmic Wheel Sisterhood. Wobei man die eigenen Tarot-ähnlichen Karten nicht nur selbst kreiert, sondern auch entscheidet, wie man die Motive der zufällig gezogenen Karten anschließend interpretiert. Das verleiht dem für solche Spiele typischen Multiple-Choice-Muster eine tiefere Dimension, da die Antworten die Zukunft der angesprochenen Charaktere prägen. Falls ihr euch also nicht an der auf Handhelds zu kleinen Schrift stoßt und damit leben könnt, dass Deconstructeam eine zwar vielschichtige, aber auch geradlinige Geschichte erzählt, kann ich euch das gefühlvolle The Cosmic Wheel Sisterhood nur ans Herz legen!
The Cosmic Wheel Sisterhood | |
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PRO | CONTRA |
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