The Cosmic Wheel Sisterhood: Lasst euch nicht davon abschrecken, dass es hier um Tarot-Karten geht!
„Magie ist, was wir nicht verstehen.“
The Cosmic Wheel Sisterhood hat die drei Entwickler von Deconstructeam ganz schön mitgenommen – nicht das Spiel selbst, aber seine Entwicklung. Denn als sie bei Corona-Einbruch plötzlich getrennt voneinander 14-Stunden-Schichten schoben, war die Energie bald raus. Davon hat Autor und Game Designer Jordi de Paco in den vergangenen Jahren schon erzählt, als es um andere Titel ging und das hiesige Spiel noch gar nicht angekündigt war.
Gut ist, wenn man in einer solchen Situation einen Publisher hat, der nicht auf Planerfüllung besteht, sondern „seinen“ Künstlern alle Zeit gibt, die sie benötigen, um wieder in die Spur zu kommen. Das hat Devolver nämlich getan und Deconstructeam außerdem ermöglicht, zunächst ein ganz anderes Projekt umzusetzen: Essays on Empathy entstand zum großen Teil als buchstäblich therapeutische Maßnahme, um sich nach dem psychischen Zusammenbruch die Freude am kreativen Schaffen zurückzuholen und danach auch die Arbeit an The Cosmic Wheel Sisterhood wiederaufzunehmen.
So erklärt es mir Jordi, nachdem ich das inzwischen ganz offiziell angekündigte Adventure gemeinsam mit einigen Kollegen vor zwei Wochen schon gespielt habe. Wobei ihr „Adventure“ bei Deconstructeam richtig verstehen müsst, denn das spanische Studio erstellt keine vertrackten Rätselspiele, sondern zeichnet sich durch gut geschriebene Geschichten aus, die zudem weit über Multiple-Choice-Ketten hinausgehen.
So ist Gods Will Be Watching ein beinharter Überlebenskampf mit schwierigen Entscheidungen, während The Red Strings Club eher an Coffee Talk oder VA-11 Hall-A erinnert. Weshalb es niemanden verwundern dürfte, dass Unterhaltungen und Charaktere sowie deren Geschichten auch in The Cosmic Wheel Sisterhood im Vordergrund stehen. Wobei Multiple-Choice-Antworten diesmal durchaus eine wichtige Rolle zukommt.
Im Mittelpunkt steht Fortuna: ihres Zeichens Hexe und Mitglied eines Konvents – wenn auch im Pause-Modus. Sie hat nämlich den Fehler gemacht, beim Kartenlesen den Untergang ihrer Gemeinde vorherzusehen und das dann allen mitzuteilen. Woraufhin der Zustand des Konvents tatsächlich den Bach herunterging.
Aber Moment mal: Hat Fortuna nur vorhergesehen, was auch ohne ihr Zutun passiert wäre? Oder hat sie vielmehr durch das Bekanntmachen der Vorhersehung eine selbsterfüllende Prophezeiung ins Leben gerufen? Der Gedanke kommt mir jedenfalls und laut Jordi de Paco wird das in der Tat ein Thema sein, um das es in seinem Spiel geht. „Gut möglich, dass man ein Schicksal mit so einer Lesung erst schreibt“, sagt er im Interview.
Immerhin wird man in der Rolle Fortunas verschiedenen Charakteren begegnen, um deren Karten zu lesen. Und das Interessante daran ist, dass man je nach zufällig gezogener Karte die Wahl hat, wie man sie interpretieren möchte – was man also über Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft der jeweiligen Person sagen will. Die Auswirkungen werden laut Jordi keine gewaltigen Konsequenzen wie bei David Cage haben. Sie beeinflussen aber viele kleine Verzweigungen, um zum Ende hin noch mal beleuchtet zu werden.
Fortuna agiert dabei überwiegend aus ihrem Haus heraus. Gut, „ihr“ Haus… Ich weiß gar nicht, ob es ihr eigenes ist. Denn gemeint ist das Haus, in dem sie ihr Exil verbringt. Zu tausend Jahren Verbannung hat sie der Konvent schließlich verurteilt; ohne Gesellschaft und ohne das Kartendeck, welches die Mithexen nach der unglücklichen Lesung lieber eingezogen haben. Nach 200 Jahren hat sie davon jedenfalls die Nase voll und beschwört einen Behemoth namens Abramar, der ihr beziehungsweise euch die Fähigkeit verleiht neue Karten zu erstellen.
Jede Karte besteht dabei aus jeweils drei Motiven und das Auftragen jedes Motivs verlangt eine bestimmte Menge verschiedener Energien. Die muss man also erst mal sammeln, was in den Multiple-Choice-Lesungen bei Begegnungen mit anderen Figuren geschieht. Hat man ausreichend Energie zusammen, kann man dann wohl jederzeit neue Karten kreieren und sie dem so erstellten Deck hinzufügen. Ein wenig Sammelkarten-Kick fürs Erzähl-Adventure – warum nicht?
Zum Glück sieht man übrigens nicht, welche Energien man für welche Multiple-Choice-Option erhält, sodass bei dem an Tarot erinnernden Kartenlesen immer die Erzählung im Vordergrund steht. ‚Wie will ich diese Person beeinflussen?‘ und ‚Welche Deutung will sie hören und welche würde ihr vielleicht besser helfen?‘ waren Fragen, die ich mir in der kurzen Demo deshalb gestellt habe. Was sich tausendmal besser angefühlt hat als: ‚Ich brauche dreimal blaue und einmal grüne Energie… Wie kann ich in diesem Dialog am besten minmaxen?‘
Überhaupt: Ich hatte Tarot immer als wilden Unsinn abgetan, bei dem eine meist weibliche Leserin ihrer Fantasie freien Lauf lässt, aber bestimmt keinen Zugang zu irgendwelchen magischen Kräften hat. Und diese Skepsis hat Deconstructeam anfangs durchaus geteilt.
Dann haben sich die Drei aber mit dem Thema beschäftigt und herausgefunden, dass doch mehr dahintersteckt. Dass es als Werkzeug für einen emotionale Erkenntnisgewinn dienen kann, wenn eine erfahrene Person über die gelesenen Inhalte Denkanstöße gibt, die ihr Gegenüber dann verarbeiten kann. Das Tor zur Manipulation steht natürlich trotzdem weit offen. Das Tor zu echter Entwicklung aber ebenso.
Und das magische Element? Nun: „Magie ist, was wir nicht verstehen“, sagt Jordi, der Tarot als ein Mittel ansieht, „mit dem wir unser logisches Denken aufbrechen und eine Verbindung zu unseren Gefühlen herstellen“ können. Für ein Erzählspiel, in dem man diesen Vorgang beeinflussen kann, ist das natürlich nahezu perfektes Ausgangsmaterial. Ich bin deshalb sehr gespannt, wie gut diese subtile Einflussnahme in den Dialogen sowie in späteren Auswirkungen spürbar sein wird.
Dabei geht es nicht ausschließlich ums Kartenlesen, denn neben den Unterhaltungen sollen auch andere Interaktionsmöglichkeiten eine Rolle spielen. Die meisten davon nennt Jordi jetzt noch nicht. Aber bereits beim Erstellen neuer Karten wählt man ja nicht nur die drei Motive, sondern darf entsprechend der getroffenen Auswahl auch das Bild der neuen Karte gestalten, indem man ungefähr ein Dutzend grafischer Elemente frei bewegen, drehen und vergrößern kann.
In einer von Fortunas Rückblenden (zu welcher Zeit die Geschichte stattfindet, wird nicht ausdrücklich gesagt, man soll sich aber einen Reim drauf machen können) habe ich zudem auf ähnliche Art eine Pizza dekoriert – das alles übrigens komplett per Gamepad, da der Titel auch auf Switch veröffentlicht wird. Und damit im Gegensatz zu früheren Deconstructeam-Spielen auch etwas bequemer auf Steam Deck laufen sollte.
Auf jeden Fall wird das Trio sehr froh sein, wenn ihr fertiges Spiel zu einem noch nicht genannten Zeitpunkt in diesem Jahr endlich veröffentlich wird. Nicht, weil The Cosmic Wheel Sisterhood ein so kräftezehrendes Projekt sei. Aber weil die Entwickler damit endlich ein Kapitel abschließen können, in dem nicht nur das Wohlergehen fiktiver Figuren, sondern auch ihre eigene psychische Gesundheit einer großen Belastungsprobe standhalten musste.