The Dark Pictures: Man of Medan - Teenie-Horror zu zweit erleben
FMV und Koop passen also doch zusammen.
Sicher, am Ende des Tages macht es das, was Supermassive Games seit Until Dawn so gerne tut: Sie lassen die Ära der Full-Motion-Games der 90er wieder aufleben. Ihr schaut mäßig talentierten, gerenderten Figuren bei dem zu, was letzten Endes ein Film mit ein paar falschen Abzweigungen ist. Okay, das ist unfair, sie haben sie viele Gedanken gemacht, wie man die Interaktion steigern und bedeutsamer gestalten kann, selbst Until Dawn war schon Lichtjahre von einem Daedalus Encounter oder Critical Path entfernt - nur um wirklich obskure 90er-Titel in den Raum zu werfen.
In The Dark Pictures: Man of Medan machen allerdings schon die ersten Minuten klar, dass das nicht unbedingt den Grad an Klischees betrifft. War Until Dawn als Hommage an Teenie-Slasher gedacht und hatte so eine gute Ausrede, dass jedes davon bedient werden durfte, scheint Man of Medan eher in eine feinfühligere Richtung zu gehen. Für ungefähr fünf Minuten. Dann treten alte chinesische Männer mit großen Hüten auf, chinesische Damen im roten Drachenkleid, seltsame Nebel wabern durch das Boot, dass in den 40ern oder 50ern in einem nicht weniger chinesischen Hafen dockte, und alle drehen durch und sterben. Es dauert keine zehn Minuten, dann gibt es Rock-Musik im Intro und einen bedeutungsschwangeren Erzähler, der den Psychologen aus Until Dawn subtil wirken lässt. Man of Medan scheint sich in der ersten Stunde nicht entscheiden zu können, welchem modernen Horror-Stil es folgen möchte, also folgt es einfach allen. Und ein Geisterschiff kann dabei nie schaden.
Sprung zu den eigentlichen Helden und damit zurück zum Teenie-Horror. Fünf Freunde sollen es diesmal sein, in untereinander sogar recht geschickt verwobenen Beziehungen. Geschickt insoweit, dass jede Figur mit mindestens einer weiteren bedeutsam verknüpft ist, sei es nun romantisch oder familiär. Ihr übernehmt dabei wechselnde Rollen, während die Handlung voran läuft, und jeder hat bestimmte Charakterzüge vom Start weg, die die Antwortmöglichkeiten bestimmen. Das ergibt Sinn, denn so hat das Spiel immer die ziemlich gute Ausrede, dass es nicht um das geht, was ihr in der Situation tun würdet, sondern was im Spektrum der Möglichkeiten des Charakters liegt, ohne dass sich diese Einschränkung für euch zu unnatürlich anfühlt.
Diese Charakterzüge sind dabei anscheinend - genau wird man es erst nach längerer Spielzeit sehen - nicht in Stein gemeißelt, sondern können von euch bewusst und unbewusst verschoben werden. Je nachdem, wie eure Reaktionen auf Situationen oder Antworten in Gesprächen ausfallen, wird die anfangs eher rücksichtslose und abenteuerlustige Julia etwas vorsichtiger mit der Zeit. Oder auch nicht, es gibt wirklich viele Szenen, in die ihr eingreift und es ist selten, dass ihr auch nur eine ruhige Minute mit reinem Zuschauen verbringt. Gerade in den dramatischeren Momenten, die sich in einem sehr spannenden Rhythmus aufbauen können, aber nicht müssen - ihr habt relativ viel Spielraum, wie sich eine Szene entwickeln kann -, bleiben mitunter nur Sekundenbruchteile für Quick-Time-Tasten und es ist wohl ganz gut, dass ihr nicht so schnell sterbt.
Die große Besonderheit ist das alles nicht und ohne das Gameplay-Feature - das ich jetzt mal explizit so nenne, weil es wirklich mehr als nur ein Gimmick ist -, das jetzt kommt, wäre Man of Medan nur ein weiteres CGI-FMV-Spielchen. Ein nettes, soweit ich das sehen kann, aber nicht mehr als das. Der Kniff sind gleich zwei Koop-Modi. Der erste ist das Gruppenerlebnis, das man schon ähnlich aus Hidden Agenda kennt, einem anderen Supermassive-Spiel. Nur dort eleganter, weil dank PlayLink auf der PS4 alle vier Spieler gleichzeitig in geheimer Abstimmung auf ihren Smartphones mitmischen durften. Hier wird der Controller herumgereicht, sodass die Entscheidungen und Reaktionen am Ende immer bei einem Spieler liegen. Ist für einen Abend sicher aber auch ganz witzig und als Bonus-Party-Feature sicher eine echte Bereicherung.
Deutlich ambitionierter ist der Online-Koop für zwei Spieler. Das ist jetzt so ziemlich das letzte Feature, das man in einem Spiel dieses Genres erwarten sollte, aber siehe da, es funktioniert nicht nur wunderbar, es bereicherte das Erlebnis durchaus. Beide Spieler spielen gleichzeitig und steuern nicht eine feste Figur, sondern wer wen lenkt, wechselt ständig und situationsbezogen. In der Intro-Szene gehen zwei der Helden tauchen, drei bleiben an Bord. Mein erster Gedanke war, dass mein mir unbekannter Gegenpart Reaktionen der anderen Figur mit mir unter Wasser beim Tauchgang steuert, aber das war nicht der Fall. Wie sich herausstellte, passierten oben auch spannende Dinge und hier entschied der andere Spieler über Situationen und Gespräche, von denen ich in diesem Durchgang im Detail nicht viel erfahren sollte.
Anschließend wird das Boot von drei Piraten aufgebracht, die es stehlen und auch Lösegeld fordern wollen. Hier interagieren die beiden Spieler direkter und ihr merkt sehr schnell, wenn euer Mitspieler ein Quick-Time-Event versaut, so wie er das auch auf eurer Seite mitbekommt. In unserem Durchgang entstand eine Geiselsituation, wo wie beide die Lage immer mehr eskalieren ließen, bis jemand angeschossen wurde. Der Witz dabei ist, dass ihr nicht über Headset miteinander sprechen müsst, es lässt sich komplett abschalten, was hier der Fall war. Ihr seht nur die Aktionen der Figuren und es ist eine ganz seltsame Stimmung, aber auf eine gute Art. Dass einem die Aktionen und Antworten teilweise aus der Hand genommen werden erzeugt viel Spannung und ich halte es derzeit, von dem was ich bisher gesehen habe, für die definitive Art, dieses Spiel zu erleben. Natürlich könnt ihr auch den Chat einschalten, aber ich denke, dass es ohne die richtige Art war, dieses Spiel zu erleben.
Einen kleinen Nachteil gibt es: Während man selbst auf die andere Seite wartet, in einem Gespräch eine Antwort herauszupicken, schaut man auf ein regungsloses Gesicht des Charakters und wartet kurz. Ich wüsste nicht, wie man es anders oder besser lösen soll, sofern man nicht eine sicher recht komplexe und aufwändige leichte und wechselnde Asynchronität in die Dialoge mit einbauen möchte. Aber der Aufwand dürfte wohl etwas zu groß sein, als dass es sich lohnt und vor allem, wenn man schon technisch aktiv wird, muss Supermassive wieder mal dringend an seinen Textur-Ladezeiten arbeiten. Diese müssen bis zum Release dringend optimiert werden, denn fünf Sekunden zu dramatischer Musik einen Pixel-Matschhaufen anzugucken, der sich dann als Schrift entpuppt, was schon hier und da unfreiwillig komisch. Aber da mache ich mir keine Sorgen, für so was sind die letzten Wochen des Polierens bei einem Spiel da.
Inhaltlich ist The Dark Pictures: Man of Medan jetzt sicher nicht Supermassives Driving Miss Daisy. Man bewegt sich weiter auf dem vertrauten B-Horror-Movie-Terrain, aber auf ebenso weiter sympathische Weise. Klassischer Plot, Figuren, die interessant genug sind und viel Potential für Drama auch innerhalb der Gruppe bieten, viele Verzweigungen und clevere Wechsel der Sichtweisen und Handelnden. Das Ding wird, wenn schon nichts anders, auch solo sicher ein langer, spaßiger Gruselabend. Das, was es zu etwas Besonderem macht, ist der Koop ohne Worte, in denen ihr mit den Entscheidungen eines Unbekannten leben müsst, so wie die Gegenseite nehmen muss, was ihr abliefert. Ihr habt nie die volle Kontrolle in diesem Modus und mit vielen Varianten, wie eine Situation ablaufen kann, wird damit sogar erstaunlich viel in Sachen Wiederspielbarkeit geleistet, mehr sogar noch als bei den Cage-Titeln oder früheren Supermassive-Werken. Man of Medan, egal, was es sonst noch wird, ist die Antwort auf die Frage, die nie einer stellte: Wie funktioniert Koop in FMV. Und diese Antwort ist weit unterhaltsamer, als ich je gedacht hätte.
Entwickler/Publisher: Supermassive Games / Bandai Namco - Erscheint für: PS4, Xbox, PC -Erscheint am: 30. August 2019 - Gespielte Version: PS4 - Sprache: Deutsch, Englisch