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The Devil's Men und Silence: The Whispered World 2: Gemeinsam gegen den Stillstand der Adventures

Daedalic geht mutig in die Zukunft.

Mit stolz geschwellter Brust präsentierte Daedalic am Dienstag in Hamburg sein Portfolio für das kommende Jahr. Kein Wunder, seine beiden größten Titel Silence: The Whispered World 2 und The Devil's Men sind wahre Blickfänge, denen trotz ihrer klassischen Point-and-Click-Wurzeln nichts Nostalgisches anhaftet. Beinahe ist es, als habe man die bisherigen Jahre bemerkenswerter Adventures alten Schlages von Edna bricht aus bis hin zu Das Schwarze Auge: Memoria als Lehre mit anschließender Meisterprüfung absolviert. Nun wähnt man sich bereit, dem Genre seinen eigenen Stempel aufzudrücken, anstatt weiter auf die gewohnte Schablone mit LucasArts-Konturen zurückzugreifen.

Letzteres ist eine Falle, der selbstverständlich schwer zu entgehen ist, wenn man versucht, eine Gattung Spiel am Leben zu halten, die von einer überschaubaren, aber konstanten Zielgruppe eine derartige Ehrerbietung und Liebe erfährt wie diese. "Wenn LucasArts, Sierra und wie sie alle hießen schon nicht die Einfälle und Energie hatten, den Adventures neue Tricks beizubringen, wer sind dann wir, es zu versuchen?" Wollen die Fans das überhaupt? Ohne das Experiment zu wagen, werden wir es niemals wissen. Aber klar ist, die über zwanzigjährige willentliche Aussetzung maßgeblicher Weiterentwicklung und beinahe zwanghafte Selbstreferenzialität sind dem Adventure ein hübsches, gemütliches und nett eingerichtetes Gefängnis geworden.

Die Ära, in denen das hier das beste Genre war, um eine Geschichte zu erzählen und zu erleben, sind längst vorbei. Alle anderen Spielarten haben sich die besten Erzähltricks längst abgeschaut und auf deren Rücken zahlreiche Evolutionsschritte getan. Im Adventure werden hingegen heute wie vor zwanzig Jahren Erzählung, Tempo und Weltenbildnerei den Rätseln gebeugt, Charakterzeichnung und Ton der Geschichte den obligatorischen Gags geopfert. Es wundert nicht, dass es jetzt Daedalic ist, die mit ihrer neuen Doppelspitze ein paar Dinge anders machen wollen, denn dieser Gangart des Adventures war vor allem nach dem brillanten Memoria - hier geht es zu Martins Memoria-Test - nichts mehr hinzuzufügen.

Silence, das einen der frühen Hits des Studios, The Whispered World, mit einer Hybridtechnik aus 3D-Grafik und zweidimensionalen Artworks fortsetzt, ist dabei fast noch das konventionellere der beiden. Doch auch hier merkt man den Willen, den Spieler tiefer in die Welt hineinzuziehen. Im Sinne der Immersion verschwinden nicht unwahrscheinliche Massen an Hausrat, literweise hochgradig flüchtige Gefahrenstoffe und lebende Tiere in den Hosentaschen der halbwüchsigen Protagonisten Sadwick und Renie. Das hebelt gleichzeitig die sonst üblichen Inventarrätsel aus, die häufig nur dafür sorgen, dass man jedes Mal vollkommen gedankenlos alle Gegenstände aneinander schlägt, auf dass doch bitte was passieren möge. Der konzentrierte Blick des Spielers richtet sich auf die wundervoll ausgestattete, handgemalte und dann auf ein 3D-Modell der Szene projizierte Welt und verliert sich nicht in den niemals enden wollenden Hosentaschen.

Die Entschlackung macht auch vor den Dialogen nicht Halt, die ihr stets in zwei unterschiedliche Richtungen anstupsen könnt, anstatt euch beinahe blind durch eine ganze Reihe von Multiple-Choice-Antworten zu klicken, bis alles gesagt wurde. So konzentriert man sich aufs Wesentliche und vermeidet gleichzeitig Leerlauf. Ebenso unkonventionell: Es gibt Fail States, etwa, wenn Sadwick etwas tut, was er besser gelassen hätte. Nach einer kurzen Animation, die sein Ende andeutet, geht es an der gleichen Stelle noch einmal los, was gewisse Szenen etwas bedrohlicher wirken lässt, als es in Adventures sonst üblich ist. Überhaupt überrascht der Titel mit vielen ausgezeichneten Animationen, die man von einem Adventure nicht erwarten würde. Gewisse Stellen, an denen eben keine Animation erfolgt, stechen dann zwar leider etwas deutlicher hervor, das schmälert aber Momente nicht, in denen etwa die kleine Renie putzig einen Stein vor sich her rollt.

Wer mag, erlebt The Whispered World 2 auch am PC optional mit direkter Controllersteuerung, was ein wenig mehr an den Charakter bindet, vor allem, wenn für gewisse Aktionen abwechselnd Beharrlichkeit oder Geschick gefragt werden, wenn man etwa von einem Stück Quarz durch wiederholtes Antippen eine Ecke abbricht oder auf einem Hocker balanciert und nach einem erhöhten Gegenstand greift, bevor man das Gleichgewicht verliert. Natürlich ist abzuwarten, ob es im finalen Produkt nicht zu sehr nach Minispiel schmeckt, für den Moment aber fühlt man sich tatsächlich ein bisschen näher dran an den Figuren. Wer Silence mit der Maus steuern will, wird freudig feststellen, dass Renie und Sadwick immer dorthin blicken, wo der Cursor ist - auch ein nettes Detail. Einzig Tempo und Timing ließen hier und da noch zu wünschen übrig und nicht jedermann wird das teils doch sehr zuckrige Design zu schätzen wissen.

Aber für die gibt es ja The Devil's Men. Das ist dank eines an europäische Zeichentrickfilme, wie etwa "Das große Rennen von Belleville", gemahnenden Looks ein unglaublich stilsicherer Ausflug in den düsteren Teil einer Steampunk-Stadt im 19. Jahrhundert. Auch hier wird 2D-Artwork perspektivisch auf eine 3D-Szene geworfen, um Tiefe zu erzeugen, was in jedem Bild aufs Neue ein bisschen verblüfft. Doch das ist im Grunde nur Lametta. Wichtiger ist, dass Kevin Mentz und sein Team dem Usus ein Ende machen, sich im Point-and-Click stets auf gerader Linie einen Weg zum Ende bahnen. In ihrer Detektivgeschichte gibt es viele Wege, um ans Ziel zu kommen. Obwohl es auf den ersten Blick wie das klassischere der beiden Adventures anmutet, ist es damit möglicherweise das gewagtere.

Das beginnt mit Multiple-Choice-Gesprächen, bei denen man sich eben nicht durchklickt, bis man ja jeden Gag gehört hat. Tatsächlich muss sich genau überlegen, was man sagen will und was man damit zu erreichen erhofft. Es ist ein Ansatz, der The Walking Dead nicht unähnlich ist. Das aber hatte keine Rätsel und in TDM soll es gleich diverse Möglichkeiten geben, bestimmte Aufgabenstellungen zu lösen. Unterwegs knüpft ihr Freundschaften oder verscherzt es euch mit den diversen Bewohnern der Stadt. Ihr habt gewissermaßen in der Hand, wie ihr die beiden Hauptfiguren Adelaide und Emily spielen wollt, was für Charaktere sie sind - und je nachdem, wie ihr sie gebt, beeinflussen sich ihre Geschichten gegenseitig. Ihr müsst also nicht nur euer aktuelles Ziel vor Augen haben, sondern euch auch um mögliche Wechselwirkungen Gedanken machen.

Bei einem Look, der sich derart nah am klassischen Point-and-Click bewegt, ist natürlich die Frage, wie Daedalic dem Spieler vermittelt, dass er seine Spielgewohnheiten beim Genuss von The Devil's Men ein wenig hinterfragen sollte. Ich erinnere mich an ein Rätsel, in dem man einen Charakter ansprechen, dann aber lediglich warten sollte, um an einen bestimmten Gegenstand zu kommen. Im Resultat eine verblüffend logische Ereigniskette. Gleichzeitig ist man es von dieser Sorte Spiel nicht gewohnt, dass in der Welt Dinge passieren, wenn man nichts macht. Daedalics Paradigmenwechsel für mehr Spielerinitiative und Quasi-Co-Autorenschaft, bürgt für ein interaktiveres, glaubwürdigeres Adventure. Sein Erfolg hängt trotzdem davon ab, ob die User bereit sind, tief eingeschliffene Automatismen abzulegen.

Es wird ein spannendes Jahr für Daedalic. Silence und The Devil's Men packen eingefahrene Adventure-Mechanismen aus zwei verschiedenen Richtungen feste an und sammeln schon mal Kraft für den beherzten Rüttler, der folgt, sobald die Hamburger wissen, welche dieser Schönheiten als erstes erscheint. Aktuell liefern sich beide Teams ein internes Kopf-an-Kopf-Rennen im Anlauf auf die Jahresmitte. Wer sich auch als erstes über die Ziellinie reckt, beachtlich sind die ungewohnten, beinahe umstürzlerischen Tendenzen allemal.

Vorwärts geht es nicht, wenn man auf der Stelle tritt, scheint man sich zu sagen, unzufrieden mit einem seit mehr als einem Vierteljahrhundert gültigen Regelwerk und überdrüssig der Vorschusslorbeeren, die man seit Jahr und Tag auf einem Treppchen aus nostalgischen Gefühlen verliehen bekommt. Schön, wenn man im Zusammenhang mit Adventures wieder von Ambitionen sprechen kann.

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
In diesem artikel

Silence

PS4, Xbox One, PC, Mac, Nintendo Switch

The Devil's Men

PC, Mac

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