The Division 2 macht richtig, was Anthem (noch) misslingt
Weshalb kämpfen wir?
Es sträubt sich zugegebenermaßen einiges in mir, die blauäugig militaristische und ebenso ungezogen wie unpassend apolitische Washington-D.C-Schießerei ausgerechnet hierfür zu loben. Also Zähne zusammenbeißen und durch: In Sachen Welt macht Ubisoft Massive einiges sehr viel besser als Anthem.
Das fiel mir das vergangene Wochenende im Rahmen der offenen Beta auf, und es unterstreicht noch einmal, weshalb Biowares neue Marke aktuell so abgeschlagen und hintenan wirkt, wenn man andere vergleichbare Spiele (und dieses eine im Speziellen) daneben hält.
Anthem wurde als fantasievoller Loot-Shooter mit ausdrücklich lebendiger, sich stetig entwickelnder Welt angekündigt. Nach meiner ausgedehnten Testphase schwant mir, dass EA etwas anderes damit meint als ich, nämlich dass sich die Wildnis um Fort Tarsis herum im Laufe der Lebenszeit dieses Shooters durch Seasons, DLC und Inhalts-Updates, weiterentwickeln wird. Klar, im Hub wird hier und da mal eine Statue errichtet oder an anderer Stelle der Teich gesäubert, nachdem man einen Meilenstein erreichte. Aber die Welt an sich bleibt im Großen und Ganzen unangetastet und immer gleich.
In The Division 2 dauert es eine Dreiviertelstunde, bis ich meinen ersten Fingerabdruck auf Washington D.C.s Landkarte hinterlasse. Als ich einer Siedlung friedliebender Überlebender helfe, kehrt in dem Bereich um deren Basis Frieden ein, je mehr ihrer Projekte ich durch Ressourcen oder Ausrüstungsspenden helfe, desto weiter entwickelt sich der Stützpunkt. Es beginnt mit einer Grillecke auf dem Dach des Stückpunktes, später steht noch ein Fernseher mit Videospielecke daneben und ich bin noch lange nicht am Ende.
Nach und nach sehe ich mehr befreundete Menschen nach Art einer Nachbarschaftswache das Viertel patrouillieren. Ich kann sie sogar mit einer Leuchtfackel um Unterstützung beim Kampf bitten, etwa wenn ich einen Stützpunkt einer gefährlichen Bande aushebe. Danach ziehen die rechtschaffenen Helfer dort ein und sichern wiederum dieses Stück der Stadt und fordern in neuen Projekten zur Mithilfe auf. Die Welt gewinnt an Leben und Lebensqualität. Und das ist mein Verdienst. Nun ... meiner und der von jedem anderen schießwütigen Leihpatrioten, der sich The Division 2 zugetan fühlt.
Bezirk um Bezirk prügle ich der Welt wieder Law and Order ein, was Tom Clancy wohl sehr begrüßt hätte. Nie hätte ich gedacht, dass wir beide einmal auf derselben Seite stehen würden, aber abseits unserer politischen Differenzen genieße ich einfach sehr, dass die Welt meinen Handlungen Rechnung trägt, sich verändert - und ja - auf eine Weise lebendig ist, die Anthem bislang noch nicht kennt. Anthem sagt dir, was du erreicht hast. The Division 2 zeigt es dir. Vielleicht habe ich zu wenig Fantasie, mir auszumalen, wie ein entsprechendes Update für den Mech-Shooter aussehen müsste. Aktuell macht sich aber der Eindruck breit, dass seine Welt eigentlich nicht für Elemente gemacht ist, auf die der Spieler selbst Einfluss hat.
Überhaupt besticht vor diesem Hintergrund, wie flexibel The Division 2 ist. Klar, die Missionen bestehen in erster Linie aus dem gleichen Abklappern von Checkpunkten, um Dinge zu besorgen, Leute zu befreien, Anlagen zu sabotieren und so weiter und so fort und das "Wie" dieser Abläufe wird so gut wie immer über den Lauf eines Gewehres definiert. Aber der Weg dorthin ist immer interessant, führt hinter die abwechslungsreiche und wahrzeichengespickte Großstadt-Kulisse und in verschwenderisch ausgestattete Innenräume, die anderen Solo-Spielen für einen Teil der Kampagne genügen würden.
Wo Anthems Hauptmissionen mitunter eine Sidequest-artige Beliebigkeit auszeichnete, sind hier selbst Nebenmissionen wenn schon nicht im Ablauf, dann aber wegen ihres Hintergrundes interessant und gewichtig, zumindest bisher. Ein Auftrag, der die Handlung an sich nicht nennenswert weiterbrachte, schickte mich zum Beispiel durch die verwüstete Martin-Luther-King-Bibliothek, was einfach einnehmender ist, als durch die Welt geschickt zu werden, um zufällige Events durchzuexerzieren, bis man einen Punkt auf einer Checkliste abgehakt hat.
Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht: Solchen Kram gibt es hier auch zu Genüge, schließlich will ein solches Live-Service-Spiel nicht, dass euch die Aktivitäten ausgehen und auf dem Weg von A nach B muss schließlich ab und an etwas passieren. Aber oft sind solche Dinge auch auf oben genannte Projekte relegiert, was einfach mehr Sinn macht: Die Aktivitäten einer barbarischen Feindfraktion in diesem Bezirk zu unterbinden, ist natürlich förderlich für den Zustand der Community, die sich dort vorsichtig wieder herausbildet.
Der Sightseeing-Faktor ist immens, auf einem Event schoss ich mich ja bereits durch das Air and Space Museum samt Planetarium und einen Notfallbunker der Regierung. Man könnte es fast kreativ nennen, wie hier die Schauplätze variiert werden - und dann fällt einem ein, dass sich Ubisoft Massive im Grunde nur geschickt an der Realität bediente und diese virtuell in ein postapokalyptisches Chaos stürzte. Dass die Stadt an sich architektonisch und landschaftlich abwechslungsreicher ist als Manhattan aus dem ersten Teil, ist natürlich auch förderlich für den Forscherdrang.
Ständig hat man das Gefühl, auch im Kleinen Dinge zu ergründen und entdecken. Schnelle Abkürzung durch einen Hinterhof genommen, unterwegs drei Kästen mit einmal Ausrüstungs-Loot, einmal Ressourcen und einer neuen Waffe gefunden. Es lohnt sich, in die Ecken zu schauen, und zwar nicht nur, weil sie schön gestaltet sind. Wo Anthem mit der Zeit in sich zusammenschmolz und immer kleiner wirkte, scheint The Division 2 deshalb dem Eindruck nach immer größer zu werden, je mehr der Gassen man erkundet, weil man merkt, wo man überall eigentlich hinkann.
Und wenn man von der eigentlichen Erkundung genug hat, wagt man sich in die Dark Zones, die auf spannende Art eure Kaltschnäuzigkeit gegen euren Kooperationswillen aufrechnen und mit dem attraktivsten Loot locken. Obwohl ich für den neuen Conflict-PVP-Modus noch keine Zeit hatte, zeigt sich The Division 2 schon jetzt von seiner abwechslungsreichen Seite, ist erpicht darauf, auch vor dem Hintergrund eines bei allen Rollenspiel- und Taktik-Elementen doch recht gradlinigen Shooters noch eine große Bandbreite an Erlebnissen zu offerieren. Sicher spielt es hier eine gewaltige Rolle, dass Massive hier das zweite Spiel auf die Beine stellt, wo Anthem von Neuem beginnen musste, aber in der Nähe dieser beiden Spiele zueinander verlieren Biowares Javelins gehörig an Glanz.
Auch in Sachen Bedienung ist The Division 2 ziemlich ausgereift. Zwar sind die Menüs weiterhin randvoll mit verschachtelten Unterbildschirmen, aber alles wirkt aufgeräumt und funktional. Nirgends stehen dem Spieler unnötige Ladebildschirme oder Fußwege ins Haus, um auf grundlegende Funktion zuzugreifen. Nirgends merkt man mehr als hier, wie viele unterschiedliche Systeme in diesem Titel ineinandergreifen.
Das Loot wird zwar sicherlich nicht fantasievoller als das von Anthem, aber es ist zahlreich und vor allem kleinteiliger, was detailversessenen Spielern mehr Raum schafft, um ihren Charakter perfekt auf die eigenen Bedürfnisse zu zuschneiden. Von Waffen über Ausrüstungsteile über virtuelles Geld bis hin zu SHD-Technologiepunkten, mit denen man sich in der Basis neue Upgrades freischaltet. Die Vielfalt macht das Looten spannend genug.
Noch nicht 100-prozentig überzeugt bin ich von einigen der klassenbasierten Skills. Hier ist sicher einiges an Spezialisierung möglich, ob nun aber mein stationärer Geschützturm die Gegner über den Haufen schießt oder eine fliegende Drohne, das macht für mich nicht in größten Unterschied. Interessanter ist da schon der Chemikalienwerfer, mit dem man Gegner in klebrigen Schaum einspinnt und so vorübergehend bewegungslos und ohne Deckung dastehen lässt. Am Wochenende nutzte ich ihn allerdings nicht so gern, denn drei Sekunden Wirkdauer schienen mir doch ziemlich kurz, in der Zeit könnte ich auch eine Granate werfen und direkt kurzen Prozess mit meinem Ziel machen.
Keine Frage, derartige Dinge wird man sicherlich im Laufe seiner Beutezüge noch steigern können und ohnehin kommen die Fähigkeiten wohl erst im Team-Spiel so richtig zur Geltung. Für den Moment schätze ich den Scharfschützen-Turm sehr, weil man sich mit ihm gewissermaßen selbst Deckung geben kann. So startete ich einige spannende Flankiermanöver und zog die Aufmerksamkeit der Feinde in eine Richtung, während ich sie aus einer anderen unter Feuer nehmen ließ.
Der Gefechtsablauf aus Deckungsschießereien, Unterdrückungsfeuer und Flankierungen gefällt mir ohnehin mit jedem Mal, das ich The Division 2 spiele, ein bisschen besser. Die Time-to-kill ist an einem Punkt angekommen, den ich einem Spiel mit menschlichen Gegnern leichter abkaufen kann als zuvor und überhaupt mag ich, wie man in The Division das Layout eines Raumes direkt auf taktische Vorteile untersucht - selbst wenn manche Spawnpunkte dann leider doch so platziert waren, dass sie die strategischen Möglichkeiten des Spielers ein wenig beschnitten.
So oder so: Wo das Szenario so manchen Loot-Shooters tot und abgesehen von zufällig eingespielten Events wie in Stein gegossen scheint, steckt hier mehr Leben drin als sogar die hübsch umgesetzten Füchse, Rehe und wild lebenden Hunde in den Straßen D.C.s versprachen. Der Eindruck, dass dem Schauplatz von The Division 2 nicht egal ist, was ich tue - das ist es, was ich aus diesem Wochenende mitnehme und was dieses Spiel für mich von der Konkurrenz abhebt. Für ein Spiel, dessen Szenario mich von allen eigentlich am wenigsten interessierte, ist das eine beachtliche Wendung.
Entwickler/Publisher: Massive Entertainment / Ubisoft Entertainment Erscheint für: PS4, Xbox One, PC - Geplante Veröffentlichung: 15. März 2019 - Angespielt auf Plattform: PC