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The Escapists - Test

Weg da, muss brechen.

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Zäher Einstieg ohne viele Hilfestellungen, aber sehr motivierend in seinen Möglichkeiten, sobald man erst einmal durchsteigt.

Schon wieder verkackt. Auch Tag 15 endet mit einem zähen Brei löffelnden Insassen, der seinen Ausbruchsplan vor dem letzten, nicht so ganz durchdachten Schritt abschneiden und was Neues probieren muss. Das kann passieren, wenn das Spiel drumherum seine Regeln nur maulfaul kommuniziert und sie als Rahmen versteht, den eigenständig zu erschließen ein ähnliches Erfolgserlebnis ist, als bräche man tatsächlich aus einem Gefängnis aus. In jedem Fall: Wer seinen Plan nicht durchdenkt, landet schnell auf ein mal zwei Metern stockfleckiger Einzelhaft. Es ist der große Reiz von The Escapists, einem Spiel hinter Gittern, das aussieht wie aus dem RPG-Maker gefallen.

Knallige 16-Bit-Sprites schieben Wache und sich durch die Flure von einem halben Dutzend Strafanstalten, nach steigendem Schwierigkeitsgrad sortiert. Und das in einer alles erfassenden Von-oben-Ansicht, dem wichtigsten Werkzeug, denn vor dem Bruch braucht es Übersicht. Ihr müsst erkennen, wo verschlossene Seitenflure verlaufen, welche Möglichkeiten sich im Gerümpelschuppen auftun und wann euch Mitknacki Vitaly kampflustig hinterherrennt, weil ihr so clever wart, ihn wiederholt niederzuschlagen. Immer in der Hoffnung, er hätte einen Aktenordner für den Bau eines Drahtschneiders dabei.

Passend außerdem, da man jede mit rotem Schloss behangene Sicherheitstür sofort als dem roten Schlüssel zugehörig identifiziert. Glaubt mir, mit nicht mehr als den entscheidenden fünf Sekunden auf der Uhr, in denen man die letzte Tür überwinden will, falls man diesen Weg wählt, ist das eine enorme Erleichterung. Die J-RPG-ähnliche Aufmachung ist dafür nahezu perfekt, auch wenn man die paar Pixel Unterschied zwischen Plastikgabel und -löffel in den Menüs leicht übersehen kann.

Appell morgens und abends gehört zum Gefängnisalltag. Schon hier kann man von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpern.

Die ersten Fühler Richtung Freiheit streckt man im Center-Perks-Gefängnis aus. Obwohl - lies: weil - es der erste Level nach dem nur knappe Erklärungen gewährenden Tutorial ist, kann man sich hier eine blutige Nase nach der anderen holen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind noch sehr lasch, die Wärter nachlässig, manchmal geradezu verträumt - definitiv mehr Story of Ricky als Flucht von Alcatraz. Allerdings baut das Spiel darauf, dass ihr inmitten des Knastalltags findet, was euch weiterbringt, und meidet, was euch belasten könnte. Trial-and-Error ist ein genauso stetiger Begleiter wie der morgendliche und abendliche Appell, die Zelldurchsuchungen, Hofgang und Dusche.

Sollte man während des Jobs in der Wäscherei eine Wächteruniform klauen und es damit probieren? War das jetzt eine gute Sache, das Arbeitspensum einfach zu verweigern und den Job zugunsten von mehr Freizeit zu verlieren? Was passiert, wenn man zu spät zum Abendessen im Speisesaal erscheint? Wie lange brauchen die Wärter, um nachts ein Loch in der Zellenwand zu finden?

Wer mal in Shenmue Gabelstapler fuhr und es mochte, der weiß, wie spannend das Verfolgen eines der alltäglichen Monotonie überstellten Ziels sein kann. Auf der einen Seite muss man den Schein des seine Zeit friedlich absitzenden Häftlings wahren, möglichst unauffällig und ohne irgendwo anzuecken. Auf der anderen Seite ist man eben genau das nicht, sondern ständig auf der Suche nach Schlupflöchern, echten wie sprichwörtlichen.

Im Fitnessraum lassen sich Charakterwerte trainieren, etwa mehr Lebensenergie, wenn man es etwas ruppiger mag. Mehr Intelligenz (womit man bessere Dinge bauen kann) gibt's im Computerraum beim Lachen über Katzenvideos.

Ihr sprecht mit anderen Gefangenen, erfüllt ihnen kleine Gefallen (etwa ein Item aus einer bestimmten Zelle besorgen, jemanden aufmischen oder Krawall beim Abendessen auslösen), kassiert dafür Geld, kauft euch Seile, Hämmer oder Schraubenzieher. Letztere können in Verbindung mit einem umgestellten Nachtschrank euer Ticket in den Lüftungsschacht darüber sein, wo man wichtige Gegenstände bunkert, je nachdem, was man braucht und wohin es gehen soll. Wunderbar, um den Wachen fürs Durchsuchen der eigenen Zelle nur eine lange imaginäre Nase zu hinterlassen. Ich hatte das Gefühl, das Filzen nähme zu, je näher man dem Ausbruch kommt. Wie praktisch, dass sich verfängliche Dinge in der Toilette runterspülen lassen.

Jemand anderes hat vielleicht Glück, beim nächtlichen Überwältigen einiger Wachen den Alarmzustand auszulösen, und kommt mit roher Gewalt vor die Tür. In jedem Fall ist The Escapists ein Spiel des Probierens und Lernens, in dem das Scheitern an sich integraler Bestandteil ist, das Dazulernen fürs nächste Mal. Es nähert sich euch nicht mit Story, ist keine um Authentizität bemühte, knallharte Simulation, sondern etwas, das seine Spielmechanik unverrückbar an erster Stelle wissen möchte.

Wenn man Bettlaken vor die eigene Zelle hängt, um beim Schaben an der Wand nicht gesehen zu werden, tut man das nicht, weil es umwerfend viel Sinn ergibt, sondern weil es nun mal die Spielregeln sind. Wenn man noch mit einem Poster das Loch kaschiert, nimmt der Plan Gestalt an. Schafft ihr es dann mit Sack und Pack (Schaufel und Drahtschneider oder was auch immer) ins Freie, zum Ausheben eines Lochs oder Zerschneiden des Zauns, dann pocht das Herz, geklammert an die Hoffnung, dass schon „alles irgendwie gutgehen" wird.

Mit Jobs könnt ihr eure Kasse aufbessern. Und wer weiß, was sich dabei für potenzielle Wege auftun?

Dass die Wächter selbst in den besser überwachten Gefängnissen mit den Sicherheitskameras nicht immer brutal-unvergebend auf Zack sind, nimmt man wissend und gern hin. Wäre sonst auch irgendwie ein wenig frustrierend und man freut sich über jede nicht so ganz nachvollziehbare Reaktion der Wachen, wenn man es kurz vor knapp doch noch schafft.

Erlebnisse der merkwürdigen Art hatte ich, als sie nicht den aufmüpfigen Schläger hinter mir niederknüppelten (der immerhin angefangen hat...), sondern mich. Kann auch daran gelegen haben, dass ich zu spät dran war oder sie einfach keine hohe Meinung von mir hatten. Wie gesagt, das Spiel hat diese Systeme, versteckt sie in seinen auf der Xbox One etwas fummelig zu bedienenden Menüs, überschüttet euch aber nicht mit Erklärungen, sodass einiges im Dunkeln bleibt.

Außerdem ist es schade, dass sich die Interaktion mit anderen Insassen im Item-Austausch, K.o.-Schlagen und Anheuern für was auch immer nahezu erschöpfen. Sie sind eben da, weil ein Gefängnis ohne andere Leute keines wäre und ihre Zellen stets ein guter Startpunkt sind, um nach Verwertbarem zu suchen. Erwartet nicht, beim Ausfeilen eures persönlichen "Nichts wie weg da" wahnsinnig viel Hilfe zu bekommen.

Und dennoch. Sitzt man erst mal nägelkauend vor dem Fernseher, mit Schaufel und Spitzhacke auf den letzten Metern nach draußen, hat The Escapists seine ganz großen Momente. Davor stehen viele kleinere Schlange, in denen ihr lernt und beobachtet, probiert, abschmiert und einen neuen Plan austüftelt. Mit seinen Sandbox-artigen Möglichkeiten entgegen des Eingesperrtseins ist es die Art von Spiel, bei dem man später noch eine Runde weiterdenkt, oft einfach nebenbei, wenn man längst die Decke auf Kinnhöhe gezogen hat, oder morgens auf dem Weg zur Dusche. Nehmt es als das, bringt Geduld mit und ihr werdet eine Menge Spaß damit haben.

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Sebastian Thor Avatar
Sebastian Thor: Steht auf Bier und Bloodsport. Mag weiche Sofas und verliert sich gern in Gedanken an dies und das. Seit 2014 bei Eurogamer dabei, aktuell als freier Redakteur.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

The Escapists

Android, iOS, PS4, Xbox One, Xbox 360, PC

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