The Finals ist chaotisch, wild, absolut elektrisierend – und vielleicht euer Lieblings-Shooter des Jahres!
Keine Ahnung, ob so Balance aussieht. Aber dieses Chaos macht einfach Spaß.
Wie oft haben wir das schon gehört? “Wir wollen die Spielentwicklung verändern”, “wir wollen dem Genre wieder Leben einflößen”. Große Worte, die Rob Runesson, Ex-DICE-Führungsriege und jetzt mit Patrick Söderlund (ebenfalls DICE) Mitgründer von Embark, aber anscheinend auch so meint. Nicht nur, dass diese Mannschaft die Mittel dazu hat, sie lässt die versammelte Presse ihren Multiplayer-Shooter The Finals direkt im Anschluss an die Präsentation zur Vision auch spielen. Wie zum Beweis, dass es sich nicht um Worthülsen handelt. Und was soll ich sagen: Nach diesen fast drei Stunden kann ich den Start der geschlossenen Beta diese Woche kaum erwarten. Das waren einige der aufregendsten Gefechte seit Langem. Wehe, ich bekomme keinen Key!
Mittlerweile sitzen 250 Leute bei Embark in Stockholm, die ihre Arbeitsabläufe mit KI-gestützten Prozessen optimieren und auch für ihre Games an sich ein paar gute Ideen hatten. Die kamen nicht von ungefähr: Sechs Entwickler ließen sie im sechsten Stock sechs Monate werkeln, um mit einem Konzept, um die Ecke zu kommen, dass alle Beteiligten wieder Schmetterlinge im Bauch spüren lassen sollte. Konkreter spricht Creative Director Gustav Tilleby von einem Spiel, in dem Dynamik, Spielerfreiheit und Werkzeuge für bedeutsame Umgebungsinteraktion im Mittelpunkt stehen. Und mit Interaktion ist vor allem großflächige Zerstörung gemeint.
Battlefield, schau her!
Ich kam nicht umhin, das als Fingerzeig in Richtung des alten Arbeitgebers und Battlefield-Herstellers DICE zu verstehen. Der hatte seine Zerstörung in den letzten Jahren immer mehr an die Leine genommen und auf Spektakeleffekte beschränkt, denen man mehr zuschaut, als dass sie für das Match an sich eine Rolle spielten. Hier sind weite Teile der Architektur, einschließlich vieler Decken und Fußböden für das explosive Arsenal kein Problem. The Finals soll auch dadurch vor intuitiven Möglichkeiten nur so sprühen. Tilleby schickt den Merksatz raus, dass die Frage, ob dieses oder jenes vielleicht funktionieren wird, meistens “ja” lauten soll. “Es ist ein Spiel, das mehr ‘ja’ sagt, als ‘nein’!”, sagt er.
Worum geht es also in The Finals? Hintergrund ist eine makabre Future-Game-Show, in der das Team gewinnt, das das meiste Geld verdient. Was finster klingt, wird durch die sonnige und saubere Gestaltung der Maps, die oft an ein weniger steriles Mirror’s Edge erinnert, stark in die Gute-Laune-Richtung gezogen. Vier Dreierteams plündern einen von mehreren Tresoren und schleppen die Beute dann zu einem Cashout, wo es dann etwas dauert, bis das Geld als Punkte auf den Score-Zähler wandert. Andere Teams sehen die Beute und können sie abfangen oder das Geld auf ihr Punktekonto umleiten, wenn sie es schaffen, das bewachende Team auszuschalten. Abschüsse sind demnach nur sekundäre Einnahmequelle, aber auch sie lohnen sich, wenn jeder Spieler bei seinem Tod zu einem effektvollen Regen aus Goldmünzen zerfällt. Schick!
Und ja, dann ist da eben die Tatsache, dass die Zerstörung einfach auf einem komplett anderen Level ist, als alles, was ich bisher gesehen habe. Mir heizte an einer Stelle ein Gegner mit dem Flammenwerfer ein, ich flüchtete rückwärts, aus seiner Reichweite heraus, bekam Schützenhilfe von einem Mitspieler. Der Flammenwerfer-Typ brach die Verfolgung ab, trollte sich rückwärts in einen kleinen Raum. Ich warf ihm eine Granate hinterher und sehe kurz darauf alle vier Wände wegfliegen. Der komplette Raum war weg. Ich habe keine Ahnung, ob ich meinen Gegner erwischt hatte. Aber ich wusste, dass ich gerade einen der coolsten Momente in einem Shooter seit langer, langer Zeit erlebt hatte. Und davon gab es in meiner Session noch so einige.
Seine eigene Liga
Vor allem ein letzter Sturm auf einen randvollen Cashout-Automaten, der beinahe fertig war, den Zaster unserem Gegnerteam gutzuschreiben, brannte sich in meine Erinnerung ein. Diesmal war es eine größere Halle, bei der am Schluss sogar die Decke einstürzte. Interessanterweise war das Navigieren zwischen den Brocken überhaupt nicht fummelig und es war problemlos möglich, auf die Spitze des Geröllberges zu kommen. Das meint Tilleby also, wenn er vom Ja-sagen des Spiels spricht. Es war jedenfalls ein wunderbar chaotischer, frenetischer Moment, den ich so noch in keinem Shooter erlebt hatte – vielleicht wäre am ehesten frühes Rainbow Six: Siege noch vergleichbar gewesen, in Sachen A-ha-Effekt. Im Grunde spielt das Ausmaß der Zerstörung jedoch in einer komplett anderen Liga.
Wichtig sei Embark insbesondere gewesen, dass Zerstörung und Bewegung der Figuren auf dem Server passierten – immerhin müssen alle dasselbe sehen, wenn man mit- und gegeneinander spielen will. Ein Trümmer, der euch im Weg liegt, bei mir aber woanders hinflog, vernichtet jegliche Wettbewerbstauglichkeit in einem Mehrspielererlebnis. Ich kann zwar nicht sagen, ob dieser Grad an Karten-Armageddon auf lange Sicht gut zu balancieren ist. Aber ich habe das Gefühl, die Aufregung und Unberechenbarkeit, die diese buchstäblich umwerfende Physik ermöglicht, sind es wert, gelegentlich aus “höherer Gewalt” den Kürzeren zu ziehen, sollte es dazu kommen. Es fühlt sich einfach toll an, fast überall eine “Tür” machen zu können. Auf der Map in Südkorea steht sogar ein Kran mit einer Abrisskugel daran. Das einzige Mal, dass ich es hinauf geschafft habe, konnte ich aber die Auswirkungen meines Wirkens nicht abschätzen. Mit etwas mehr Kartenkenntnis und Übersicht wird das sicher anders.
Ebenfalls in die Kategorie Dynamik und Freiheit fällt die Art, wie das Spiel mit den Avataren umgeht. Ihr wählt Light, Medium oder Heavy und erhaltet dann das passende Moveset von verhältnismäßig behäbig bis blitzschnell. Jede Klasse hat einen von zwei bis drei individuellen Skills zur Auswahl und eine prall gefüllte Spielzeugkiste, die grob zur Gewichtsklasse passt. Was davon ihr mitnehmt, bleibt euch überlassen. Alle Gegenstände unterliegen einem Cooldown, anstatt dass ihr während eines Matches Nachschub sammeln müsstet. So konzentriert ihr euch weniger auf Logistik, sondern seid komplett auf das Match fokussiert. Ihr wählt zunächst euer Basis-Loadout und dann eine Reserve von fünf anderen Gegenständen, die ihr zwischen den Runden hinein rotieren könnt.
Wähle dein Werkzeug mit Bedacht
Das kann unter anderem nötig sein, weil die Karten recht unterschiedlich angelegt sind. Südkorea ging mehr in die Vertikale, weshalb Ziplines und portable Sprungpads hier eine gute Idee waren, das rustikale Monaco war verschachtelter und ging eher in die Breite, weshalb Gebietskontrolle durch Minen oder Sensoren angebrachter war. Gasgranaten machen kurz eine Tür zu, die Schaumgranate bildet eine physische Barriere. Der Defibrillator holt am Boden liegende Mitspieler sofort wieder auf die Beine und klammert damit die recht lange Wiederbelebung aus und wenn mal eine Karte bei Nacht gespielt wird, ist das Nachtsichtgerät sicher hilfreich. Es gab noch so einiges mehr und alles schien cool genug, um es mindestens mal ausprobieren zu wollen. Dass ich das auch durfte, in beinahe jedweder Kombination, rechne ich dem Spiel hoch an.
Was es unterdessen bislang nicht zu sehen gab, waren Waffenaufsätze. Ihr werdet offensichtlich nicht großartig eure Schießeisen modifizieren, was ich zur Abwechslung mal ok finde. Die individuellen Skills waren auch von der Sorte, dass man sich nur schwer zwischen ihnen entscheiden konnte. Light-Soldaten können sich zum Beispiel entweder vorübergehend unsichtbar machen oder einen Greifhaken bekommen, der Heavy darf den Schaum der Schaumgranate auch mit einer Kanone verschießen, per Sprintangriff durch Wände rennen (köstlich!) oder einen Energieschild vor sich errichten. Der wird besonders dann sinnig, wenn der Medium-Spieler seinen Heilstrahl auf den Heavy richtet – sofern er sich denn durchringen konnte, auf den automatischen MG-Turm zu verzichten.
Dazu kommen Modifikatoren während einer Runde. So kann der Stadionsprecher etwa Extra-Waffenschaden ankündigen oder einen Meteoritenschauer, der ziemlich verheerend einschlägt. In einer Runde flogen zwischen den südkoreanischen Wolkenkratzern auch bewegliche Plattformen umher. Ich war regelrecht vernarrt in das, was ich hier gespielt habe. Das Movement ist schön dynamisch und steckt voller Möglichkeiten, und die Waffen sind recht griffig, wenngleich einige wohl nicht lieben werden, wie viele Treffer ein Gegner bisweilen schluckt, bevor er zu Boden geht. Ich denke, das muss schon so sein. Denn wenn einem so viel um die Ohren fliegt und so viele Effekte auf einen wirken, ist es wichtig, die Chance zu bekommen, den Fehler seiner unerwünschten Abwesenheit zu korrigieren. Da es in diesem Spiel vor allem um Raum- und Zeitgewinn geht, ist das, denke ich, zu verschmerzen.
Eine Frage der Balance
Das Einzige, was aktuell noch etwas in der Luft hängt, ist die Frage, ob jede Partie für alle Teilnehmenden gleich spannend verlaufen wird. Ich hatte mehrere Matches, in denen sich drei der vier Teams um dieselbe Beute stritten, was einem vierten Team mehr oder weniger freie Bahn zum letzten Cashout verschaffte, der dann irgendwann für die Konkurrenten fast unerreichbar war. Ich werde jetzt aber nicht so tun, als könnte ich das nach zweieinhalb Stunden Spielen mit Fremden schon beurteilen. Außerdem war es bisher noch unmöglich, die gegnerischen Teams auseinanderzuhalten.
Also ja: The Finals ist exakt so aufregend, wie die Trailer es aussehen lassen. Ich hatte riesigen Spaß und freue mich aufrichtig über einen Shooter, der die Freude an Chaos und Vernichtung feiert. Das fühlt sich an, wie ein Befreiungsschlag vom mittlerweile etwas vorhersehbar gewordenen Shooter-Zirkus. Oder, um es mit anderen Worten zu sagen: So, als hätte jemand dem Genre wieder Leben eingeflößt. Sieht aus, als wüsste Rob Runesson, wovon er spricht.
The Finals geht diese Woche in die geschlossene Beta. Das Spiel wird free-to-play auf Steam, PS5 und Xbox Series erscheinen. Der genaue Termin steht noch nicht fest.