The Flame in the Flood - Test
Ich kam für die Musik, aber ich blieb, um am Leben zu bleiben.
Seltsame Dinge können einen manchmal zu einem der vielen, vielen Spiele ziehen, die sich da im Indie-Bereich anbieten. Es mag der Look sein, die Prämisse, in diesem Fall war es die Musik. The Flame in the Flood sieht auf den ersten Blick wie etwas von Double Fine aus, und das wäre jetzt kein Stil, hinter dem ich herrenne. Sorry, ist halt so. Aber die Anmerkung, dass der Soundtrack von Chuck Ragan stammt, ließ aufhorchen. Ragan ist derzeit einer der angesagteren Namen im Americana-Folk-Genre, ausreichend kratzige, melodiöse Stimme, gute Gitarrenarbeit, sehr solides Songwriting, auch wenn seine Themen nicht gerade Dylan-eske Tiefe erreichen. Meist was in der Richtung von „Hab dich lieb, du mich auch?". Höre ich gern, kann ich nur empfehlen.
Zurück zu The Flame in the Flood. Rennt nicht gleich los, wenn ich jetzt sage, dass es sich um ein prozedural generiertes Survival-Rogue-like handelt. Egal in welche Richtung. Wer es nicht mag, könnte hier etwas finden, das ihm gefällt. Wer es sonst schätzt, könnte sich an diesem hier stoßen. Das Spiel hat nämlich eine Idee und setzt sie konsequent um, indem es sie zum Kern des Ganzen erklärt.
Es beginnt wie viele gute Geschichten in einer stürmischen Nacht und das Letzte, was man in so einer tun möchte, ist an Bord eines klapperigen Floßes zu klettern und einen reißenden Fluss hinunterzutreiben. Das muss die Heroine Scout allerdings, denn die Apokalypse war schon da und die Regenwolken sind Vorboten einer weiteren Flut. Aus einem alten Radio hört sie eine Stimme, die vielleicht etwas von Schutz flussabwärts flüstert. Also, was hilft es, die mageren Habseligkeiten eingepackt, den treuen Hund Aesop - nein, wir sind nicht sinnlos prätentiös - an ihrer Seite, geht es auf den großen Strom und immer weiter.
Das ist der große Unterschied zum üblichen Survival-Spiel. Es ist keine Festungsbaugeschichte, in der ihr wie ein Eichhörnchen für den Winter hortet und für Sicherheit sorgt. Diesen Luxus kann man sich nicht leisten, wenn das Ziel Monate flussabwärts liegt. Scout muss immer in Bewegung bleiben, und Leute, die das tun, reisen normalerweise mit leichtem Gepäck. Das ist hier nicht anders und so müsst ihr erst einen Lernprozess durchmachen. Ihr habt immer zu wenig Platz im Rucksack, das ändert sich auch mit Verbesserungen eigentlich nie. Dem Hund könnt ihr ein paar Sachen auf den Rücken schnallen und an Bord des Floßes lassen sich auch noch einige verstauen. Aber es gibt immer hundert Items mehr, die ihr einsammeln könntet.
Es ist nicht das übliche Horten, sondern genau und präzise entscheiden, was eure dringendsten Sorgen sind. Erst einmal werdet ihr glauben, das seien Essensvorräte. Dann lernt ihr, dass meist irgendwo doch etwas wächst oder herumhüpft, das sich verspeisen lässt. Wasser haltet ihr für kein großes Thema, bis ihr versteht, dass fast alles Wasser um euch herum verseucht ist. Ihr könnt es trinken, aber krank zu werden zieht ganz neue Probleme an Land, die ihr auf jeden Fall vermeiden wollt. Nach ein paar Runden beginnt ihr ganz bewusst, ein paar Dinge, wenn möglich, immer breit zu halten. Eine Schiene, um Brüche zu heilen. Seltene Crafting-Gegenstände, denn nichts ist ärgerlicher, als nach Stunden fast eine warme Jacke haben zu können, aber dann eben doch nicht, weil man zuvor ein paar im Nachhinein nicht so nützliche Stücke Trockenfleisch behalten wollte. Ihr lernt, dass Lebensmittel verderblich sind und man diese Notreserve auf Dauer nicht halten kann. Ihr beginnt, immer leichter zu packen, und dann habt ihr langsam den Flow heraus.
Der Fluss ist ebenfalls zu Beginn etwas, das euch in den Wahnsinn treiben wird. Es widerspricht aller aktuellen Gamerlogik, dass ich nicht alles ansteuern kann, was ich will und wann ich will. Im Lauf des Flusses tauchen immer wieder zufällige Orte auf und ihr müsst schnell entscheiden, was für euch gerade am sinnvollsten sein kann, denn ihr habt zwar ein klein wenig Kontrolle über das Floß, aber gerade mal so viel, dass ihr es schafft, an einem der Ziele anzulegen. Nehmt ihr die seltene Werft, um das Floß in Schuss zu halten? Die Wildnis, um den drängenden Hunger zu stillen? Die Kirche, weil es sich in so festen Gebäuden gut nächtigen lässt? Ihr habt vielleicht drei Sekunden, danach sinken eure Chancen mit jeder weiteren, dass ihr es zu dem erwählten Punkt schafft. Ansonsten trägt der Fluss euch einfach weiter.
Keines der Ziele verspricht allerdings absolute Sicherheit. Oft genug habt ihr Wölfe, Wildschweine oder Schlimmeres, und da ihr keine echten Waffen besitzt, kommt ein Kampf nicht in Frage. Riskiert ihr Verletzungen, um an die möglicherweise herumliegenden Vorräte zu kommen? Oft genug fand ich mich diese Frage mit Ja beantworten, da Hunger, Durst und andere Nöte einfach zu groß waren und ich nicht wusste, ob ich das Risiko eingehen kann, vielleicht nicht so schnell den nächsten Anleger am Fluss zu finden. Zusammen mit der ständigen Platznot ergab sich aus diesen Situationen und der Pflicht, in Bewegung zu bleiben, ein sehr frisches Survival-Feeling, das ich gleichzeitig wirklich genoss und das mich durchaus im positiven Sinne stresste.
The Flame in the Flood ist auch sonst kein einfaches Spiel. Die Ressourcen sind schon im einfachen Modus nicht wirklich üppig, im Hardcore-Modus habe ich bisher noch nicht das Ende der zweiten Woche zu Gesicht bekommen, und das ist nicht viel Spielzeit. Im Kampagnen-Modus habt ihr Checkpunkte, aber ein Neustart an einem solchen heißt nicht, dass ihr dort frisch und munter wiederbelegt werden würdet. Es ist einfach nur ein automatischer Speicherstand und wenn ihr an diesem Punkt gerade am Abnippeln wart, Pech gehabt. Immerhin steht der Speicherpunkt davor auch noch zur Verfügung, aber wenn der schon Mist war, geht es halt von vorn los. Nehmt ihr dann Endlos und Hardcore zusammen, habt ihr eine gute Herausforderung für alle, die zu viel Zeit und Gaming-Talent haben.
Überhaupt ist der Langspielwert durchaus hoch. Es gibt zehn unterschiedliche Areale mit unterschiedlichen Verteilungen von Anlagepunkten und Ressourcen-Üppigkeiten. Die verschiedenen Ankerpunkte unterscheiden sich trotz Prozeduralität nicht so sehr, aber genug, um es nicht zu schnell zu Déjà-vus kommen zu lassen. Dazu kommt, dass der Fluss und die damit verbundene Bewegung für ein Gefühl der Progression sorgen, das anderen Survivals manchmal abgeht. Selbst wenn ihr nicht wisst, wohin ihr seid unterwegs, und das fühlt sich gut und richtig an.
Probleme muss man leider auch nicht so lange suchen. Zumindest das Wichtigste erkennt ihr schnell und es bleibt euch die ganze Reise über erhalten. Die Menüs sind Gurke. Kurz, schmerzlos, das ist zu viel Pad-Arbeit. Vor allem die Platznot im Rucksack nötigt euch ständig, irgendwas hin und her zu schieben, und keine Aktion scheint ideal gelöst. Am PC geht es etwas besser mit Maus und Keyboard, dafür ist die Steuerung damit auf dem Fluss deutlich schlechter. Da das Floß auch euer wertvollstes Gut ist und nur schwer zu reparieren, rate ich euch dringend zu einem Pad. Es war nie so schlimm, dass ich die Lust am Spiel verlor. Aber es bleibt immer eine Bürde.
Grafisch werden auch keine Bäume ausgerissen. Der Stil wirkt auf mich wie eine dezent abgekupferte Melange aus einem Dutzend Indies, die Hälfte davon von Double Fine. Es sieht nett aus, die postapokalyptische Welt hat ihren eigenen, melancholischen Charme, einige kleine Stilbrüche und billig entworfene Objekte lassen sich verzeihen. Das Tearing auf den Konsolen hätte sicher nicht sein müssen und wenn es mir auffällt, dann ist es definitiv vorhanden. Was das alles wieder aufwiegt, ist der Soundtrack. Ursprünglich holte ich das Spiel ja genau deswegen und ich wurde in keiner Weise enttäuscht. Chuck Ragan produzierte ein ganzes Album und seine Songs geben dem Ganzen eine sehr eigenwillige Stimmung, auch weil sie sehr bewusst eingesetzt werden. Die meiste Zeit habt ihr Instrumentales, aber immer wieder fließt ein gesungener Song ein und es wirkt wie eine Art Film-Montage. Es lässt die eigene Figur und die eigenen Aktionen seltsam distanziert und doch eindringlich wirken. Ein sehr schönes Beispiel für einen ungewöhnlichen Einsatz eines für Spiele eher untypischen Genres, der sich hier zigfach auszahlt.
Die Musik könnte ich auch so hören - was ich beim Tippen schon die ganze Zeit tue (Amazon) -, das ist es nicht, was mich so dermaßen lange an The Flame in the Flood hielt. Sie war ein wichtiges Puzzleteil dieser eigenwilligen Mischung, die weit besser funktioniert, je länger ihr euch damit beschäftigt. Am Anfang ist es ein extrem frustrierendes Spiel. Nicht nur schwer, nicht nur im Interface sperrig, es arbeitet geradezu gegen antrainierte Instinkte. Aber nach und nach klickt es und nach ein paar Toden treibt ihr wie Huckleberry Finn persönlich über den Fluss, wisst, was ihr braucht, wann es knapp wird und was ihr dagegen tun könnt. Das heißt selbst dann nicht, dass euch das immer rettet, aber dann wäre es ja auch reizlos. Der Fluss, die zentrale Idee von The Flame in the Flood, ist ein brillantes, frisches Element in einem sonst schal gewordenen Genre, in dem die Titel gefühlt im Dutzend billiger kommen. Dieses hier ist anders. Es ist das eine, das mich wieder den Sinn eines Survival-Spiels jenseits von Hamstereien und Waffenbau sehen ließ. Es wird zu eurem ganz persönlichen Roadmovie und auch wenn die Figur in jeder Runde Scout heißt, werde ich doch nie Scout aus Anlauf vier vergessen. Ihre Reise war die härteste, aber ich lernte so viel. Auch, wie gut The Flame in the Flood sein kann. Ein Spiel, das eine solche Reise zaubern kann, verdient eure Aufmerksamkeit.