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The Golf Club - Test

Im realen Leben gibt es keine Schwunganzeige! Richtig, aber auch keinen Analogstick…

Handicap statt Karriere: The Golf Club will realistischer sein und vieles gelingt ihm auch gut. Schade, dass es manchmal etwas übertreibt.

Wo kommt das denn her, aus dem Nichts ein Konkurrent für den gar nicht mal so mächtigen Rory McIlroy und seine Versofter von EA? Fantastisch, Konkurrenz belebt das Geschäft, vielleicht ist das ja so eine Art Project Cars des Golfsports. Einstieg in eine neue Serie, gemacht von Meistern, spielt ganz oben und ganz weit vorn mit. Nun, ja und nein. Es ist eine Art Project Cars insoweit, dass es keinen traditionellen Karrieremodus bietet und sehr stark auf Realismus setzt. Auch die Menüstruktur ist bei beiden mitunter etwas gewöhnungsbedürftig, aber leider hört es bei dem Punkt der Meister auf und vor allem bei der Frage, ob man ein Golfspiel wirklich an der Realität ausrichten sollte.

Von der Wüste...

Es ist natürlich sinnvoll, alle Möglichkeiten einzubauen, die es auch in der Realität gibt. Ihr könnt die Fußposition verändern, dem Ball beim Abschlag einen Spin mitgeben, all das ist möglich und sollte es in so einem Spiel sein. Der Ansatz geht jedoch weiter. Vor einem Schwung seht ihr nur die Distanz zum Lock, könnt euch auf dem Weg dorthin die Entfernungen ansehen und müsst dann entscheiden, welchen Schläger ihr nehmt. Das Spiel gibt schon den richtigen vor, die Schlagkraft danach jedoch müsst ihr komplett aus dem Feingefühl herausholen. In Tiger-Woods-Spielen gab es auf die eine oder andere Art eine Anzeige darüber, wie stark ihr ausholt. Mal nur vom Schläger repräsentiert, mal mit einem zusätzlichen Balken an der Seite, aber immer so, dass man vage abschätzen konnte, wann man mit etwa 80 statt 100 Prozent durchzieht. In The Golf Club gibt es das nicht. Das Problem bei der Sache: Es besteht ein himmelweiter Unterschied, ob ich eine Ganzkörperbewegung mit einem einen Meter langen Stock ausführe und dabei spüre, wie viel Schwung ich reinbringe, oder ob ich diese Bewegung mit dem linken Daumen auf weniger als einen Zentimeter Raum um ein bis zwei Millimeter verkürzen muss. Ehrlich gesagt: Teilweise ist echtes Golfen gefühlt einfacher als dieses Spiel.

...bis in die Berge und Wälder gibt es praktisch alles an Kursen. Das allein macht The Golf Club schon zu einer echten Überlegung.

Richtig schlimm wird es beim Putting. Jeder ist nach ein paar Mal Üben mit dem Putter im realen Leben so weit, den Ball entweder drei Meter weit wollen zu lassen oder sechs. Plus/minus ein Meter ist das leicht, selbst wenn das Green nicht ganz eben ist. Hier ist der Unterschied ein Millimeter in der Stickbewegung, eine Achtelsekunde länger halten. Nein, das reale Leben hat auch keine Power-Anzeige, die es leichter macht zu sehen, ob man nun mit zehn oder zwanzig Prozent der Maximaldistanz puttet. Im realen Leben hat man aber ein Gefühl für den Ball, den Schläger und sein Gewicht. Was es gibt, sind die Fall- und Steiglinien, die wiederum diesen Pseudo-Realismusanspruch konterkarieren. Auf dem echten Platz gibt es keine Leuchtelinien, die mir das Gefälle zeigen, da kann man es sehen.

Das alles ist ehrlich gesagt sehr schade, denn es steckt wahnsinnig viel Gutes in diesem Spiel. So viel, dass ich ihm nicht nur den Vorzug gegenüber McIlroy gebe, sondern auf eine Fortsetzung oder zumindest ein paar Options-Patches hoffe. Das eigentliche Schwunggefühl ist durchaus gut und wenn es nicht so wahnsinnig unpräzise einzuschätzen wäre, würde es die Konkurrenz durchaus ausstechen. Die Grafik selbst sieht ziemlich gut aus, vor allem, wenn sie sich nicht bewegt. Folgt sie dem Ball im Flug, ist das auf einem recht schnellen PC insoweit okay, als dass man sieht, dass es auch ohne das Ruckeln bei beiden Konsolenversionen geht. Das außen vor gelassen, ist die Landschaft zwar etwas statisch und an den Lichteffekten sollte auch noch mal gefeilt werden, aber immer noch ansehnlich.

Der Spaß hört auf, wenn es nicht reicht den richtigen Schläger zu nehmen und 100 Prozent Schwung durchzuziehen. Und das ist spätestens auf dem Grün der Fall.

Die Abwechslung ist phänomenal, und das liegt an dem Kurseditor. Da es wahnsinnig teuer ist, reale Plätze zu lizenzieren, beschränkte man sich auf einige wenige bekannte. Dazu gibt es viele kleinere, nur Insidern bekannte Kurse, und man entwarf dazu noch ein paar Phantasiekurse. Das alleine wäre schon eine ganze Menge, zumal die Bandbreite nicht nur über alle Schwierigkeits-, sondern auch Witterungsgrade reicht. Tief im Wald, mitten in der Wüste, oben am Berg, alles dabei. Das ist aber nur der Anfang. Besagter Editor ist zwar nicht unbedingt das, was ich komplett intuitiv nennen würde, aber es ist durchaus möglich, mit ein paar Zufallsgeneratorreglern, ein wenig Herumspielen, Geradeziehen und Kantenglätten in einer halben Stunde einen gut bespielbaren 18-Lock-Kurs fertig zu haben. Wer sich tiefer reinknien möchte, kann dank des Landschafts- wie Lock-Editors praktisch jeden Kurs der Welt nachbauen oder die schaffen, die er schon immer mal bespielen wollte. Nur auf meinen alten Tiger-Woods-Highland-Phantasiekurs (2003 müsste das gewesen sein) muss ich immer noch verzichten. Burgruinen als bespielbarer Untergrund sind nicht vorgesehen. Aber egal, ihr habt eine gewaltige Auswahl und viele der User-Kurse, die ich ausprobiert habe, zumindest die empfohlenen, waren ausgesprochen gut.

Der lose Aufbau passt zu dem Ansatz, dass der eigene Golfer zwar ein wenig mit Klamotten ausstaffiert werden kann, es aber keine Bonus-Steigerungen oder Special-Fertigkeitsmützchen gibt. Es geht allein um euer Handicap, das oft auch definiert, in welche Turniere ihr hineingelassen werdet. Es gibt kein Start-Handicap. Ihr spielt fünf 18-Loch-Runden auf „offiziellen" Kursen, egal welchen und in welcher Reihenfolge, und daraus errechnet sich das Handicap. Dieser reale Ansatz hat viel für sich. Spielt ihr gut, verbessert es sich; seid ihr schlecht, geht es nach unten. Euer Golfleben ist also in gewisser Weise der Karrieremodus.

Der Editor ist phantastisch, egal ob ihr nur mal in 10 Minuten einen Platz zusammenklickt oder über Tage an eurem Traum in 18-Loch feilt.

Der Multiplayer-Modus verzichtet damit auch konsequent auf Party-Anspruch. Ihr spielt in erster Linie gegen Ghosts und um Plätze in Tour- und Turnierlisten. Da sich diese ebenfalls relativ einfach und trotz der manchmal zuckelig reagierenden Menüs nicht zu umständlich erschaffen lassen, gibt es auch hier über die offiziellen Turniere hinaus praktisch endlos viel zu tun. Was ich weniger oft fand, vielleicht auch, weil mein Handicap noch zu hoch war, waren Live-Turniere. Hier spielt ihr nicht gegen Ghosts, sondern seht direkt, wie die anderen Spieler ihre Bälle schlagen. Das passiert alles simultan, Wartezeiten, dass endlich mal einer seinen Schlag macht, gibt es nicht. Der Aufbau des Multiplayer-Modus guckt sich die Welt des Golfs an und übernimmt daraus seine Modi. Für dieses Spiel ist das genau der richtige Ansatzpunkt.

Womit ihr generell leben müsst, ist, dass das eben kein EA-Lizenzspiel ist. Hier floss sehr viel weniger Geld rein. Dort glänzte das Kommentatorenduo, hier ist ein gewisser John etwas gelangweilt von seiner Sprecherrolle und lässt es euch wissen. Es gibt keine PGA-Pros, keine PGA-Plätze, die Charaktermodelle sind generell etwas hässlich, um es vorsichtig zu sagen. Das ganze Drumherum ist halt schlicht. Mal abgesehen von den Kommentatoren habe ich damit auch nicht das geringste Problem, es fehlt einfach nichts Wichtiges in dieser Richtung. Ich sage es nur, damit ihr nicht überrascht seid, wenn euch nach dem Einlegen der Disc das vielleicht unprätentiöseste Sportspiel seit einer Dekade anstrahlt. Es stört sich selbst anscheinend nicht daran, also solltet ihr das auch nicht tun.

Die so gebastelten Kurse lassen sich auch sofort bespielen. Ich sollte meinen Highland-Kurs noch etwas ausbauen. Ist ein wenig kahl...

Wenn es doch nur mehr Spaß machen würde, zu spielen. Das ist am Ende die harte Wirklichkeit, die daraus resultiert, dass aus den richtigen Gründen das falsche Feature weggelassen wurde. Die Schwunganzeige in der einen oder anderen Form ist bei einem Golf-Videospiel nicht optional. Ein Rennspiel kann das Gefühl für das Gefährt ganz anders umsetzen. Im Idealfall ist da sogar ein Lenkrad, aber solange es hier keine Bluetooth-Schläger gibt, wird das nichts. Die kleinen Analogsticks haben viel zu wenig Weg, als dass man sinnvoll und ohne stundenlanges Frusttraining wenigstens so präzise schlagen kann, wie das ein Golf-Anfänger auf dem Platz tut. Dass man nicht genau auf den Punkt zielen kann, dass das Handicap als Karrieremessung sinnvoller ist als eine XP-Leiste, das ist alles super. Auch die generelle Schlagbewegung passt. Der Editor und überhaupt die Platzauswahl reichen für Jahre Spielzeit, die Onlinemodi decken jedes Zeitkontingent ab, das ihr einzubringen bereit seid. Sobald Schlagpräzision der Realität des Videospielcontrollers angepasst wird, dann hat The Golf Club das Zeug, das Project Cars dieses Sports zu werden. Bis dahin ist es leider eine ambitionierte Übung in Frustration, bei der ich nicht sicher bin, ob sie die Zeit wert ist, das präzise Spiel zu lernen. Es könnte sein, dass ihr im realen Golf schneller ein besseres Handicap erreicht.

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