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The Last of Us - Test

Zum Ende der Generation landet Naughty Dog einen harten Befreiungsschlag vom Spaß-Diktat.

Spoilerwarnung: Details zur Handlung und einzelnen Missionen, wer lebt oder stirbt und wie alles ausgeht, werdet ihr in diesem Artikel selbstverständlich nicht zu lesen bekommen. Allerdings kommen wir nicht umhin, deutliche Worte zum Ton zu verlieren, den das Spiel in der Figurenzeichnung anschlägt.

Der Factions-Multiplayer-Modus stand zum Testzeitpunkt nicht zur Verfügung. Einfluss auf die Wertung hätte er aber - egal welcher Qualität er nun ist - auf keinen Fall.

Dass Spiele nicht immer in erster Linie Spaß machen müssen, ist ein alter Hut. Die hohe Frequenz, mit der wir es mittlerweile mit harten interaktiven Dramen zu tun bekommen, ist aber neu. Das herzzerreißende The Walking Dead, das trostlose I Am Alive oder das in seiner Auflösung schlicht schockierende BioShock Infinite belegen eindrucksvoll, dass jenseits des Mushroom Kingdoms auch andere Töne angeschlagen werden, um eine gewaltige Bandbreite von Gefühlen anzusprechen. Videospiele und ihre Macher haben sich von dem Gedanken verabschiedet, dass man mit dem Abspann als Held dastehen muss.

Creative Director Neil Druckmann.

The Last of Us begnügt sich nun aber nicht damit, sich in dieselbe Reihe zu stellen wie diese Beispiele. Naughty Dog verzichtet in Spiel eins nach Uncharted auf Spektakel und emotionale Manipulation, setzt auf Selbstreflexion und weigert sich verbissener als jeder Titel vor ihm, als Spaß begriffen zu werden. Trotzdem hat es hat mehr Substanz als jedes andere Spiel dieser Firma: Seine Systeme greifen satt ineinander und die Präsentation sucht selbst firmenintern ihresgleichen. In den obengenannten Glanzstückchen düsterer Unterhaltung war man sich jedoch spätestens am Ende sicher, das Richtige getan zu haben oder zumindest aus den richtigen Gründen. Man verließ die Figuren als bessere Menschen und hier wagt es Naughty Dog doch tatsächlich, zwischen einem wichtigen Charakter und dem Spieler eine Sollbruchstelle einzubauen.

Der Mensch ist des Menschen Wolf

Wann, wie, warum und mit wem das geschieht, wird natürlich nicht verraten und vielleicht ist es sogar etwas, das jeder anders empfindet. Aber ich spürte diesen Knacks bitterlich, obwohl er unaufgeregt und ohne großes Gewese fast von allein passierte. Und er ist so wirksam, dass ich fast persönlich von der Figur enttäuscht war - nur dass ich es erst merkte, als ich eine Nacht darüber geschlafen hatte. Natürlich treten einem Titel, die mit großen, raumumfangenden Gesten, Opfern oder Realisationen schließen, eben die Walking Deads und BioShock Infinites, auf Anhieb etwas wirkungsvoller in die emotionalen Weichteile. Naughty Dog vertraut dagegen darauf, dass der Spieler das gesamte Abenteuer Revue passieren lässt und hofft, dass man merkt, wie die Entwickler im Kleinen auf diesen Effekt hingearbeitet haben.

Folglich gibt es keinen Twist, keinen "Tadaa!"-Moment, als jemand den Vorhang vor einer letzten Überraschung wegzieht. Sogar einzelne Handlungselemente von Joels und Ellies Reise von der militärischen Quarantänezone Bostons zu einem entfernten Außenposten der rebellischen Fireflys kennt man bereits. Bis ungefähr zur Mitte sagt man bestimmte Ereignisse mit erstaunlicher Genauigkeit voraus und hält sie zunächst für allzu oft bemühte Klischees. Und dann merkt man, dass die Autoren mit nur ein, zwei kleinen Abweichungen vom bekannten Muster im Spieler selbst leise eine erschreckende Erkenntnis heranköcheln lassen. Es ist ein Ansatz, der unglaublich Mumm gekostet haben muss.

Mit ein, zwei Abweichungen vom bekannten Muster lassen die Autoren im Spieler selbst eine erschreckende Erkenntnis heranköcheln.

Die detailreich ausgestaltete Umgebung gibt Ellie und Joel regelmäßig Zeit, sich zu unterhalten.

Das gilt auch für den eigentlichen Spielanteil, denn nach drei unbeschwerten Arcade-Schießereien in Folge, die ohne große moralische Dilemmata auskamen, ist das bitterböse Überlebens-Gameplay ein beherzter Schritt in eine ungewohnte Richtung. Ohne ihn wäre das Resultat ganz anders ausgefallen. Naughty Dog kehrt dem zur Genüge kartografierten Gameplay-Raum hüfthoher Deckungs-Einbahnstraßen ohne große Reue den Rücken und zeigt die Gewalt dieser Welt in einer Nähe und Klarheit, die viele verschrecken dürfte. Der Kniff dabei ist aber, dass die gezeigten Taten - Strangulierungen, durchtrennte Kehlen und aufgesetzte Schrotflinten - dadurch eben nicht übertrieben wirken. Tatsächlich ist es eines der wenigen Spiele, bei denen Spielablauf und Handlung sich nicht im Clinch miteinander befinden.

Kognitive Dissonanz

Denkt mal darüber nach: Ein reuiger Killer, der in einer fliegenden Stadt Sühne leistet, indem er noch Hunderte Leute mehr auf grausamste Weise umbringt? Ein smarter Glücksritter, der wegen ein paar goldener Reliquien Horden schlecht bezahlter Schläger erschießt? Na klar. Altbekannte Bilder, die selbst viele der besten aller Spiele selten miteinander vereinen können, weil sie sich ganz in den Dienst des Gameplays stellen. The Last of Us hält sich dagegen nicht mit Rechtfertigungen auf und nutzt die Gewalt als Spiegel, die einem zeigt, dass in einer solchen Welt früher oder später alle verlorene Seelen sind.

Darreichungsform für diese bittere Pille ist in dem Fall eine ganze Reihe überschaubarer, aber elegant aufgebauter Stealth-Sandkästen. Die Kämpfe unterscheiden sich drastisch, je nachdem, ob es die beiden mit den zombiehaften, blinden Infizierten der Pilz-Pandemie zu tun bekommen, die die Welt seit 20 Jahren zugrunde richtet, oder mit anderen verzweifelten Überlebenden. In verfallenen Diners, überwucherten Supermärkten und schimmligen Apartmenthäusern ist es zwar im Grunde immer eine böse Version von Katz-und-Maus. Der Unterschied besteht darin, dass die menschlichen Feinde sehen können und zum Teil Schusswaffen besitzen, während die fürchterlich entstellten Infizierten vornehmlich nach Gehör jagen.

Ein echtes Deckungssytem, bei dem die Figuren sich an das Mobiliar oder die Wände anschmiegen, gibt es nicht.

Die kurzen aber extremen Gewaltexplosionen sind für den Ton des Spiels unerlässlich.

Ein echtes Deckungssytem, bei dem die Figuren sich an das Mobiliar oder die Wände anschmiegen, gibt es nicht. Ihr geht stattdessen in die Hocke, hofft, dass der Schein einer gegnerischen Taschenlampe nicht über den umgeworfenen Wohnzimmertisch reicht, hinter dem ihr euch gerade entlangduckt und seht dabei zu, wie Joel und Ellie lebensecht von selbst Kontakt mit Umgebungsgegenständen aufnehmen, sobald sie nahe genug sind. Die Munition ist rar genug, um ständig zwischen verschiedenen Waffen wechseln zu müssen.

Noch mit einem Trio schwer bewaffneter Menschenjäger oder -Fresser im Rücken durchforstet ihr leisen Fußes Küchenzeilen und Büroschreibtische nach versteckten Kugeln, einer Flasche Alkohol oder einem Stofffetzen. Wer weiß, vielleicht könnt ihr euch mit zwei gezielten Schüssen und einem Molotov aus der Situation zu befreien?

Überleben und leben lassen

Joels Schussarm bleibt dabei über die gesamte Spieldauer hinweg wackelig und ungenau genug, dass man es tunlichst zu vermeiden versucht, Pistolen und Gewehre überhaupt einzusetzen. Es wird sehr schnell unmissverständlich klar, dass das hier kein Shooter ist. Schießt man, heißt es, blitzschnell durch ein Fenster oder über einen Tresen zu springen und schleunigst die Position zu wechseln. Wer weniger auf einen direkten Kampf aus ist, stellt mit Nagelbomben Fallen oder lockt - falls die Ressourcen dafür nicht ausreichen - die unentwegt patrouillierenden Gegner mit geworfenen Ziegeln oder Flaschen von ihren Positionen, um sie von hinten lautlos auszuschalten oder ihnen ganz aus dem Weg zu gehen. Dank der verwinkelten Areale entstehen hier packende Versteckspiele, bei denen man immer wieder den Atem anhält und den Controller so feste greift, dass die Finger weiß werden. Das Abwarten des richtigen Moments ist fast unerträglich, dass es nach "Normal" noch zwei höhere Schwierigkeitsgrade gibt, macht mir fast ein bisschen Angst.

Je nachdem, wie ihr sie angeht, durchzieht die Feindbegegnungen eine Dynamik und Unberechenbarkeit, die dafür sorgt, dass keine zwei Anläufe auf eine Situation gleich verlaufen. Zwar kann Joel auch durch Wände "hören", wo sich die Gegner befinden, das bedeutet aber nicht, dass man sich wie in einem Crysis oder Far Cry als Jäger fühlt. Man ist die ganze Zeit auf der Flucht und sucht sich die Stellen aus, an denen man für eine gewalttätige Sekunde kurz den Spieß umdrehen kann. Und auch, wenn man gegen Schluss so langsam richtig gut darin wird, sich so jagen zu lassen, dass einem daraus ein Vorteil erwächst, stirbt man viele grausige und plötzliche Tode, noch bevor man denken kann, "das hab ich jetzt gerade nicht so gut hinbekommen".

Planung und schnelles Schalten sind gleichberechtigte und gleich wichtige Talente.

Gebannt saugt man jedes Detail des Szenenbildes ein.

Spätestens, wenn es gegen die bestialisch starken Clicker geht, bei denen Körperkontakt absolut tödlich ist, sofern man nicht noch ein rettendes improvisiertes Messer zur Hand hat - das mit der Benutzung zerbricht -, muss man sich eingehend mit dem übersichtlichen und schlank gehaltenen Crafting-System befassen. Neben genannten Nagelbomben, Molotovs und Eigenbau-Messern gibt es nur noch Rauchbomben, Medikits und ebenso provisorische wie vergängliche Verstärkungen von Nahkampfwaffen. Mehr braucht es nicht, um euch eine breite Palette von Möglichkeiten zu bieten und das Spiel gleichzeitig so eingängig zu halten, dass ihr in haarigen Situationen auch mal schnelle Bauchentscheidungen treffen könnt. Planung und schnelles Schalten sind gleichberechtigte und gleich wichtige Talente, will man diese sich elend über mindestens 15 Stunden hinziehende Apokalypse überstehen.

Platz da, Half-Life 2

Bei aller deprimierender Endgültigkeit hat es dennoch etwas Bezauberndes, Majestetisches, wie sich die Natur die Städte zurückerobert. Auch die Uncharteds waren blendend schöne Spiele, aber sie blieben den Beweis schuldig, dass Naughty Dog sich auch als Weltenbildner versteht. Diesen tritt The Last of Us nun eindrucksvoll an, wenn es ein Amerika vor dem Spieler ausrollt, das klar in den letzten Zügen liegt. Schon lange ist es kaum noch auszumachen, ob es nun die zahllosen militärischen Interventionen waren, die ihm den Gnadenschuss verpassten, oder ob diese Tat doch der Pilz-Pandemie (über deren Realitätsgehalt unterhielten wir uns vor kurzem in unserem Reality Check mit einem Wissenschaftler) zuzuschreiben ist, die diese Welt seit 20 Jahren beutelt. Selbst in den vielen Ruhephasen, in denen man sich durch die Reste der Zivilisation wühlt, kann man sich seiner nie ganz sicher sein. Und dennoch erlebt man hier einige der bedrückendsten, stärksten und manchmal auch herzerwärmendsten Momente.

Wie wirkliche Überlebende dreht man jeden sprichwörtlichen Stein auf die Seite, um das letzte Bisschen an brauchbarem Material einzustreichen - Schrauben, die an den seltenen Werkbänken Upgrades der Waffen gewähren; Pillen, mit denen man Joels Charakterwerte steigert. Es sind ganz typische Gaming-Elemente, die zu Beginn für einen Augenblick etwas fehl am Platz wirken. In ihrer Unaufdringlichkeit treten sie aber weit genug in den Hintergrund, um die Immersion nicht zu stören, und im New Game Plus schließlich freut man sich dann doch, dass es sie gibt. Doch auch ohne den vom Spiel forcierten Beutetrieb wäre diese Welt eine der faszinierendsten, durch die man sich je geschlagen hat. Keiner der verschwenderisch verwüsteten Räume gleicht dem anderen, jeder zurückgelassene Schuh scheint mit Sinn und Zweck platziert. Naughty Dog beweist hier ein Gespür fürs Szenenbild, das Half-Life 2 mit erschreckender Beiläufigkeit vom Thron der visuellen Geschichtenerzähler wischt.

Von Troy Baker und Ashley Johnson mit viel Gefühl, Wut und Verzweiflung verkörpert, sind Joel und Ellie eines der erinnerungswürdigsten Duos dieser Generation.

Ellie greift im harten Überlebenskampf tatkräftig ein. Und ja, das soll sich nicht gut anfühlen.

Und dann sind da noch Joel und Ellie. Vom neuen Synchro-Superstar Troy Baker und der talentierten Ashley Johnson mit viel Gefühl, Wut und Verzweiflung verkörpert, sind sie eines der erinnerungswürdigsten Duos dieser Generation. Ihre Handlungsbögen sind im Großen nicht unbedingt neu, aber es sind nuancierte, glaubwürdige Darbietungen, von den Animatoren lebensecht auf die vom Leben gezeichneten Figuren übertragen.

Zu keiner Sekunde wirkt hier irgendetwas wie geschauspielert, während das Skript es mit wenigen Worten hinbekommt, mehr zu sagen, als so manches 50-Stunden-Rollenspiel. Sogar ein alter Bekannter hat eine Gastrolle und liefert, wie um zu beweisen, dass er mit Troy mithalten kann, eine komplett transformierte Leistung ab.

Der unsichtbare Zweite

Das alles wird gestützt von einem bahnbrechenden Sounddesign. Wenn Gustavo Santaolallas (bekam einen Oscar für "Brokeback Mountain") Score das Geschehen betont low-fi mit Gitarren und großen Trommeln untermalt und die Schüsse krachen, als würden sie direkt neben dem eigenen Ohr abgefeuert, werden alle Sinne mit einer Kunstfertigkeit bombardiert, die in dieser Branche seinesgleichen sucht. Derart clever integrierte und spannungsfördernde Audiohinweise haben einen noch nie vor der Entdeckung gewarnt.

Ein paar Probleme sollen dennoch nicht unerwähnt bleiben. So gut das Stealth-System auch funktioniert, manchmal kann Naughty Dog nicht verschleiern, dass man bei der autonomen Begleiter-KI tricksen musste, damit sie nicht unentwegt von den Gegnern entdeckt wird. Wer auch immer an eurer Seite durch Feindesland pirscht, ist mehr oder weniger unsichtbar für Jäger und Infizierte. In einer besonders spannenden Schleich-Situation lief ein befreundeter NPC für alle gut sichtbar direkt vor der Nase einer Wache entlang. Die nahm keinerlei Notiz von meinem Kollegen, weshalb ich zwar drei Kreuze machte, aber es riss mich trotzdem kurz ruckartig aus dem Geschehen.

Lange Reise: Fast ein Jahr sind Joel und Ellie unterwegs.

Und dann sind da noch die Situationen, in denen die Feinde nicht oder nicht angemessen auf Leichenfunde reagieren oder kurz schwerhörig werden. Immerhin besagt das Regelwerk, dass eine Strangulation von hinten immer lautlos abläuft, wenngleich der dabei entbrennende blanke Kampf ums Überleben mit allerlei unguten Geräuschen bitter durchinszeniert wird. Und die sollte eigentlich jeder im Raum hören. Schwamm drüber.

Wie schon BioShock Infinite vor ihm setzt The Last of Us ein wichtiges Zeichen, dass auch zum Erfolg verdammte Multimillionen-Dollar-Produktionen gewagte Geschichten erzählen dürfen und sollten. Doch anders als der Irrational-Titel nimmt das Team um Creative Director Neil Druckmann keinen unterhaltsamen, aber irgendwo platten und bekannten Shooter als Krücke, um seine Botschaft unter die Leute zu bringen. Sie fordert den Spieler damit auf deutlich mehr Ebenen heraus, als das ohnehin schon absolut fabelhafte Wolkenabenteuer.

Am Ende war die Entstehung dieses unwahrscheinlich bitteren und unheimlichen Stücks Endzeit aber vor allem eine Herausforderung Naughty Dogs an sich selbst. Als für fluffige Feelgood-Produktionen bekanntes Studio das finsterste Spiel dieser Generation zu machen - das ist die Sorte Erfolgsgeschichte, die nur die ganz Großen schreiben. The Last of Us ist ein Spiel, das sich niemandem anbiedert und nicht um Sympathien für seine Figuren bettelt. Es ist damit nicht weniger als ein Weckruf für das Medium - fest entschlossen, ihm einzubläuen, dass die Linie noch nie nur zwischen gut und böse, richtig und falsch verlief, sondern vor allem zwischen dir und den Anderen.

10 / 10

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