The Pathless Test - Das Erbe von Ico
Kommt ruhig ran, ihr dürft den Adler streicheln!
Ich will euch nicht erschrecken, aber The Last Guardian ist mittlerweile vier Jahre alt, seine Ankündigung liegt sogar elf Jahre zurück. Sollte Fumito Ueda im selben Takt weiterarbeiten - und dass sein nächstes Projekt Stand 2019 noch in der Prototypenphase war, lässt das vermuten - hätte man eigentlich längst etwas Konkretes hören oder sehen müssen.
Ich gebe zu, allein das Phantom des Katzendrachen nicht mehr ungreifbar über der Spielelandschaft schweben zu sehen, hat die Spielewelt ein wenig ärmer gemacht. Es war eines dieser Spiele, das alleine in seiner Idee schon viel Zauber versprühte - manche würden sagen, mehr als das fertige Werk an sich. Nun, in Ermangelung neuer Spiele vom Meister melancholischer interaktiver Zauberland-Märchen müssen halt die Indies ran und wenn Publisher Annapurna einem von ihnen den Rücken stärkt, dann muss es was können.
The Pathless kommt von den Machern von Abzu, Giant Squid. Und wo mich dieser visuell imponierender Tauchgang damals noch etwas kalt ließ, muss ich jetzt attestieren: Mit The Pathless hat mich das Team um Matt Nava, Art Director des allseits geliebten Journey, voll und ganz von sich überzeugt. Dabei ist die Formel unübersehbar eine im Indie-Segment sehr beliebte: Wortloser Held beziehungsweise Heldin - hier eine Jägerin - versucht, eine mystische Verderbnis aus einem magischen Land zu vertreiben. Kennt man schon - aber noch nicht so, wie es The Pathless anstellt.
Im Grunde dreht sich in diesem Action-Adventure alles um Bewegung: Es gibt weder eine Schnellreise noch eine Karte noch müsstet ihr mit eurem Bogen selbst zielen: Stattdessen zieht ihr einfach seine Sehne und die automatische Aufschaltung erledigt den Rest. In diesem Fall ist es ausdrücklich gut so, denn um den Bogen dreht sich ein großer Teil des Aktionsradius der aparten Protagonistin.
The Pathless ist, wenn sich der Weg nicht nach Streckung anfühlt
Überall in der Landschaft schweben zum Beispiel Siegel und weisen ein Stück weit den Weg zu interessanten Punkten (nebst einer geisterhaften Sicht, die Zielpunkte rötlich schimmern lässt und geheime Passagen offenlegt) und wenn ihr eines davon mit einem Pfeil trefft, bekommt ihr einen kurzen Geschwindigkeitsschub. Trefft ihr eines, während ihr euch in der Luft befindet, huscht die Jägerin noch ein gutes Stück weiter, fast schwerelos wirkt das - und alsbald macht man sich einen Sport daraus, möglichst lange in der Luft zu bleiben, indem man mit dem richtigen Timing die immer wieder neu erscheinenden Siegel zerdeppert. Man fliegt beinahe durch diese Lande. Wo ich in anderen Spielen mit offener Welt den Weg zum Missionsziel oft fade finde, ist das Vorankommen in The Pathless wegen dieser berauschend eleganten Fortbewegungsmethode schon an und für sich ein Spaß.
Obwohl im Sinne des Tempos auf eine Zielmechanik verzichtet wurde, gibt es immer wieder auch klassischere Abschnitte - etwa, wenn man mithilfe seines Adler-Sidekicks Schalterrätsel löst oder sich von ihm an höher gelegene Stellen tragen lässt. Im Kampf gegen gewaltige Tiergeister, die von der Finsternis korrumpiert der Jägerin nachstellen, kommt dann auch klassisches Bossfight-Feeling hoch.
Eine systemisierte Progression gibt es nur in Form von goldenen Kristallen, die ab einer bestimmten Menge einen weiteren Flügelschlag des Adlers freischalten. Dabei handelt es sich gewissermaßen um einen Doppelsprung, den man noch verlängern kann. Der Adler befördert hierbei die Jägerin mit einer kurzen Kraftanstrengung eine Etage nach oben. So wird nach und nach immer mehr der Landschaft zugänglich und mehr und mehr Tempel erreichbar, wo wiederum neue Rätsel und Herausforderungen warten. Oh, und hatte ich schon erwähnt, dass man den Greifvogel streicheln kann - manchmal sogar muss, wenn er sich mal wieder verausgabte, die Jägerin vor einem der gewaltigen Feinde zu retten? Hier knüpft Giant Squid ein emotionales Band, das mir in Abzu noch fehlte.
Technisch ist das Spiel allerdings kein besonders überzeugendes Showcase für die Möglichkeiten der PS5. In dieser visuellen Qualität müsste das Spiel unverändert eigentlich auf der PS4 laufen - und würde dann immer noch eher durch seine bestechend scharfe und kontrastfreudige Art Direction auffallen. In diesem eher reduzierten Stil ist das schon in Ordnung, ein Titel, der aber so auf Spielfluss und Geschwindigkeit setzt, hätte aber auf der neuen Konsole gerne mit 60fps laufen dürfen. Immerhin: The Pathless ist kostenlos auch in Apple Arcade enthalten und spielt sich da nicht weniger gut, was auch der Grund ist, dass ich es auf meinem iPad Pro beendet habe (wo man es sowohl per guter Touchscreen-Einbindung als auch mit einem PS4-Controller spielen kann)
The Pathless im PlayStation Store für 34,99 Euro kaufen.
The Pathless Test - Fazit
Ganz die emotionale Fallhöhe oder Nachhaltigkeit eines The Last Guardian oder Shadow of the Colossus erreicht The Pathless zwar nicht. Dafür ist das Spiel an sich ungleich befriedigender und tonal ist die rhythmisch dahinfließende Wiederbelebung dieses Landes ohnehin eine hervorragende Ersatzdroge, bis Ueda ankündigt, womit es für ihn nun weitergeht. Ich brachte die knapp achtstündige Reise jedenfalls gerne zu Ende. Vor allem Spieler auf Gaming-tauglichen iOS-Geräten, die Uedas Titel nur aus Erzählungen kennen, klatschen kräftig in die Hände, denn The Pathless ergänzt das ohnehin schon starke Spieleportfolio von Apple Arcade um einen Vollblut-Indie-Titel mit viel Herz und noch mehr Hirn.
- Entwickler / Publisher: Giant Squid / Annapurna
- Plattformen: PS5, PS4, iOS, PC (getestet auf PS5 und iPad Pro)
- Release-Datum: erhältlich
- Sprache: Deutsch, Englisch und weitere
- Preis: ca. 34 Euro, gratis in Apple Arcade enthalten