The Raven - Legacy of a Master Thief: Kapitel 1 - Test
Ein Fest für Krimi-Fans, wenn auch etwas einfach für Adventure-Experten.
Mit The Book of Unwritten Tales und Die Vieh Chroniken setzte King Art Games bislang eher zum Angriff auf die Adventure-Lachmuskeln an. Und abseits des Kickstarter-Projekts Battle Worlds: Kronos vollführt man nach den Abenteuern mit dem pinkfarbenen Vieh nun fast schon eine 180-Grad-Wende. Das neue Adventure der Entwickler richtet sich eher an die Fans klassischer Krimis und will zugleich auch Einsteiger für sich gewinnen - aber ob man dabei die Genre-Veteranen vielleicht verschreckt?
Spannung aufbauen
Für The Raven - Legacy of a Master Thief setzt man auf das vor allem durch Telltale bekannt gewordene Episodenmodell. Insgesamt drei Kapitel wird The Raven umfassen. Das Erste erscheint jetzt im Juli, das Zweite folgt Ende August und den Abschluss gibt es dann Ende September. Dass man euch am Ende des ersten Kapitels daher ein wenig mit einem Cliffhanger quält, dürfte nicht überraschend kommen.
Wie schon gesagt, will man mit The Raven eher die Fans klassischer Krimis ansprechen. Das heißt: Keine Fantasie-Welten, keine abgedrehten, vielleicht unlogischen und völlig übertriebenen Rätsel. Nachvollziehbar soll alles sein - und das ist den Machern auch gut gelungen. Man bietet euch in The Raven sehr bodenständige Rätsel an, die mit etwas Logik und gesundem Menschenverstand problemlos zu knacken sind.
Zugegeben: Besonders Adventure-Experten dürften damit keine großen Probleme haben, unterhaltsam sind die rund vier Stunden Spielzeit des ersten Kapitels aber allemal. Die größte Herausforderung besteht hier noch darin, einen Draht so zu verformen, dass ihr mit ihm ein Schloss knacken und eine Tür öffnen könnt. Gar nicht so einfach, zumal sich der Draht, wenn man ihn mit gedrückter Maustaste verformt, nicht unbedingt nach einem echten Draht anfühlt. Es erweckt mehr den Eindruck einer Linie, die man in Photoshop anhand bestimmter Punkte auseinanderzieht. Ein wenig zu fummelig.
Detektiv spielen
The Raven spielt in den 60er Jahren und dreht sich um einen gleichnamigen Gentleman-Dieb, der spektakuläre Raubüberfälle verübt und dabei niemandem ein Haar krümmt. Nachdem er vermeintlich erschossen wurde, scheint sich der Rabe nun vier Jahre später - 1964 - wieder zurückzumelden. Aber ist es wirklich der alte Rabe? Oder doch nur ein Nachahmer? Zumindest verhält er sich anders als früher, verletzt und tötet Menschen, was auch Inspektor Nicolas Legrand bemerkt, der den Raben einst erschoss - glaubte er zumindest bis dahin.
Ihr selbst spielt den Schweizer Wachtmeister Anton Jakob Zellner, der schon gehobenen Alters ist und mit Herzproblemen zu kämpfen hat. Er begleitet Legrand und einen Scotland-Yard-Mitarbeiter im Orientexpress, in dem das Juwel „Das Auge der Sphinx" nach Kairo transportiert werden soll - erst per Zug, dann per Schiff. Und hier wird er mitten in den jüngsten Coup des angeblichen Raben hineingezogen.
King Art Games ist es dabei wirklich gut gelungen, nicht gleich schon am Anfang offensichtlich zu machen, wer nun der Täter ist. Und tatsächlich fängt man schon nach kurzer Zeit an, sich selbst so seine Gedanken zu machen. Steckt dieser verdächtig aussehende Typ da vielleicht hinter all dem? Nein, wäre zu offensichtlich. Oder ist es vielleicht diese junge Frau? Schließlich würde ja niemand eine Frau vermuten, nicht wahr? Wohl eher auch nicht ... Ihr werdet immer wieder auf die Probe gestellt. Jemand hat hier etwas beobachtet, ein anderer dort etwas gesehen. Könnte etwas bedeuten, aber vielleicht auch nicht. Sicher ist: Ihr werdet im Verlaufe des ersten Kapitels mehr als nur eine oder zwei Personen verdächtigen. Das tut dem Spiel gut und sorgt dafür, dass ihr die ganze Zeit über angeregt mitgrübelt.
"Die Charaktere selbst haben die Entwickler dezent überzeichnet, ohne sie dabei jedoch lächerlich wirken zu lassen."
Die Charaktere selbst haben die Entwickler dezent überzeichnet, ohne sie dabei jedoch lächerlich wirken zu lassen. Da haben wir den typisch englischen Scotland-Yard-Mitarbeiter mit seinen rötlichen Haaren, den leicht arrogant wirkenden Inspektor, eine alternde Krimi-Autorin, einen ebenso alternden, übergewichtigen Kapitän. Und dann wäre zum Beispiel da noch die reiche und erwachsene Millionärstochter, die sich auf dem Schiff lieber in der Sonne räkelt, anstatt sich allzu große Gedanken über einen Mord zu machen. Humor gibt es natürlich ebenfalls, und zwar genau in der richtigen Dosis - und das nicht mit der Holzhammer-Methode. Der würde hier auch gar nicht hineinpassen.
Optionale Hilfen
Obwohl die Rätsel logisch aufgebaut und man stets in alter Adventure-Tradition gut den Bildschirm nach Objekten absuchen oder mit Personen sprechen sollte, kann es ja mitunter schon mal vorkommen, dass euch nicht gleich das Lichtlein aufgeht. Falls dem so ist, bietet King Art Games dezente Hilfestellungen an. Einmal natürlich die bekannte Hotspot-Funktion, mit der alle Interaktionsmöglichkeiten auf dem Bildschirm hervorgehoben werden.
Andererseits notiert sich Wachtmeister Zellner automatisch Dinge über verschiedene Personen oder Gegebenheiten in seinem Notizblock, wo ihr sie jederzeit nachschlagen könnt. Auch dort lassen sich auf Wunsch noch kleinere Hinweise per Mausklick aufdecken. All das kostet wiederum Adventure-Punkte, von denen ihr anfangs 1.000 Stück habt. Ein Druck auf die Leertaste zum Anzeigen aller interaktiven Objekte verbraucht etwa 10 Punkte. Da ihr für einige erfüllte Aufgaben oder gelöste Rätsel zuweilen Tausende Adventure-Punkte dazubekommt - am Ende hatte ich rund 8.000 Stück -, sollte The Raven letztendlich für niemanden eine unlösbare Aufgabe darstellen.
"Sehr gut gelungen ist auch die Vertonung von The Raven. Ein echtes Qualitätsmerkmal des Spiels."
Sehr gut gelungen ist auch die Vertonung von The Raven. Man hat sich dafür richtig Mühe gegeben und die Dienste allerlei bekannter Synchronsprecher für das Adventure gesichert. Ihr bekommt etwa die deutschen Stimmen von Kevin Costner, Tommy Lee Jones, Morgan Freeman, Judi Dench, Sandra Bullock, George Clooney und einigen anderen zu hören. Gut investiertes Geld und ein echtes Qualitätsmerkmal des Spiels.
Der Anfang ist getan. King Art Games hat das erste Kapitel von The Raven recht gut gemeistert, stellt die Charaktere, die Geschichte und Hintergründe in angemessenem Umfang vor und bietet solide, wohldurchdachte Rätselkost. Profis mögen vielleicht von den Aufgaben ein wenig unterfordert sein, aber dadurch wird The Raven auch zu einem Zeitvertreib für eher unerfahrenere Spieler. Um es kurz machen: The Raven ist ein gutes und realistisches Krimi-Adventure mit ansprechender Geschichte, die zum Mitdenken anregt. Ob ich am Ende wohl mit meinen bisherigen Vermutungen richtig liegen werde? Ich bin jedenfalls schon gespannt auf das zweite Kapitel.