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The Secret World - Test

Hereinspaziert, hereinspaziert! Sehen sie ein MMO mit außergewöhnlichen Quests, einzigartigem Setting und einer Handvoll Schattenseiten!

Bei The Secret World muss ich immer an diese Southpark-Folge denken, in der Cartman einen Vergnügungspark nur für sich alleine kauft, weil er Schlange stehen hasst und andere Menschen sowieso generell verabscheut. Im Herzen will Funcoms jüngstes Werk auch ein Freizeitpark sein. Nur spricht das Design eher den Cartman in mir an, als den geselligen MMO-Spieler, der Attraktionen nur in Gruppen lustig findet.

Ich schlendere von NPC zu NPC, fasziniert von den tollen Geschichten und Einzelschicksalen, begeistert von den skurrilen Ideen und Charakteren. Ich probiere all ihre abwechslungsreichen Quests aus, rätsle mir die Gehirnwindungen wund, kämpfe, kombiniere, schleiche, sammle, eskortiere, hüpfe, recherchiere - alles spannend und geradezu wegweisend für das Genre umgesetzt. Schon in meinem Ersteindruck war mir klar, dass die abwechslungsreichen Missionen die größte Stärke von The Secret World sind. Dass das Spiel dadurch zu einem totalen Egotrip verkommt, kristallisierte sich allerdings erst nach einer Weile heraus.

Sobald ich meine Quests verfolge, gehen die Scheuklappen für alles andere runter. Und wenn ein fremder Spieler im gleichen Auftrag unterwegs ist, weckt das eher den Futterneid als die Hilfsbereitschaft. Wer löst zuerst die geforderten Trigger aus und zwingt den anderen zum Warten, weil es immer ein paar Sekunden dauert, bis man wieder mit den Objekten interagieren kann? Wer killt als Erster die Monster? Wer schafft als Erster den Sprung? Nur bei Bossen kommt es zu gelegentlichem Teamwork. Da metzelt man das Vieh einmal für den Kollegen, wartet auf den Respawn und erledigt das Getier dann ein zweites Mal für sich selbst. Nicht gerade berauschend für ein MMO. Guild Wars 2 zeigt mit seinen dynamischen Events derzeit, wie man das besser löst.

Dabei ist The Secret World beileibe kein schlechtes Spiel. Im Gegenteil. Die abwechslungsreichen Aufgaben und das einzigartige Setting sind alleine schon Grund genug, sich den Titel auf den Wunschzettel zu schreiben. Endlich keine Elfenohren, Drachen oder Orks mehr. Kein Königreich, das von irgendwelchen Monstern bedroht wird. Stattdessen moderne Mythen, Legenden und Fabelwesen, gewürzt mit Selbstironie und schwarzem Humor. Dazu Helden in T-Shirt, Jeans und Sneakern mit modernen Waffen, Elektronik und Voodoo-Puppen. Ragnar Tørnquist hat neulich in einem offenen Brief betont, wie einzigartig und anders The Secret World sei. Da hat er recht. Nur hat mich die Story aus seiner Feder auch nach längerer Spielzeit nicht gepackt.

Vielleicht lag das an meinem Helden, der Nintendos Link imitiert und im ganzen Spiel nicht einen Pieps von sich gibt. Die Monologe der NPCs sind zwar unterhaltsam anzuhören (im Deutschen OK, im Englischen brillant) und sprudeln nur so vor witzigen Anspielungen auf diverse Horror- und Mystery-Klassiker der Popkultur. Aber sie ziehen sich, lassen manchmal den Kontext vermissen und erhalten durch die fehlende Replik meines Charakters einen merkwürdig surrealen Touch. Am Ende zählt vor allem, was im Missions-Tracker auf dem Bildschirm steht und was man im Logbuch nachlesen kann.

Die Apathie der NPCs verhagelte mir zusätzlich die Stimmung. Auf der einen Seite tummeln sich in The Secret World unzählige verschrobene, tragische, verrückte und durch die Bank interessante Gestalten. Auf der anderen Seite stehen sie leblos in der Gegend herum, mit einer Handvoll Icons über dem Kopf, und warten nur darauf, endlich in einer Zwischensequenz von der Leine gelassen zu werden. Um wieder das Bild vom Anfang aufzugreifen: Man kommt sich vor wie in einem dieser Märchen-Parks für Kinder, in denen man von Station zu Station pilgert und Knöpfe drückt, damit die Animatronik-Figuren zum Leben erwachen. Was dem Spiel fehlt, sind NPCs, die mit ihrer Umgebung interagieren und der Welt Lebendigkeit verleihen. Stattdessen stehen sie gelassen wie Hindu-Kühe mitten in der größten Zombi-Monster-Todesnebel-Mumienfluch-Apokalypse und glotzen doof. Bei all der zur Schau getragenen Innovationsfreude wundere ich mich, dass Funcom hier nichts Besseres mit den Figuren anzustellen wusste.

The Secret World - Entwicklertagebuch: Charakterentwicklung

Vielleicht hat mir auch das Interface mit seinem sterilen Design im Apple-Look und den vielen abstrakten Symbolen die Immersion versalzen. Im Vergleich mit anderen MMOs kommt einfach nicht so viel Freude auf, wenn ich ein kryptisches Icon XY erbeute, dessen Bedeutung mir erst nach längerem Studium der Statistiken klar wird. Anderswo finde ich ein paar prachtvolle Handschuhe, deren extravaganter Schnitt schon die übermächtigen Boni erahnen lässt. Solche Momente opfert The Secret World zugunsten der Trennung von Charakter-Kleidung und Ausrüstung. Nicht meine Jeans gewährt mir die zusätzliche Angriffskraft, sondern diverse Talismane. Trotzdem hätte das Interface ruhig weniger klinisch sein dürfen. Bei der Übersichtskarte im Touristen-Faltplan-Look geht es doch auch.

Wobei ich die Möglichkeit sehr zu schätzen weiß, beliebig viele Fenster abzukoppeln und im HUD festzupinnen. Auch das Minecraft-artige Handwerkssystem ist spitze. Das Kampfsystem ärgert mich zwar noch immer, weil ich meinen Charakter extra manuell auf den anvisierten Gegner ausrichten muss, aber irgendwann hat man sich selbst daran gewöhnt.

Mittlerweile sehe ich die klassenfreie Charakter-Entwicklung, die Waffenfertigkeiten und das Kräfte-Rad etwas differenzierter. Anfangs fand ich die Idee spannend, alle Waffen und Skills mit einem einzigen Char erlernen zu können und jederzeit zwischen verschiedenen Builds zu wechseln. Mich störte allenfalls, dass ich in den einzelnen Skill-Kategorien die Fähigkeiten in einer fest vorgegebenen Reihenfolge freischalten muss. Da war ich für die Templates dankbar, an denen ich mich orientieren konnte. Manche Skill-Reihen hätte ich wegen ihrer laschen Anfänger-Fähigkeiten nämlich nie angerührt, wenn ich nicht über das Template von den späteren Synergien erfahren hätte. Außerdem suchen Gruppen im Chat nach wie vor die üblichen Damage-Dealer, Heiler, Tanks und Konsorten. Solche Klassen aus den unzähligen Skills selbst zusammen zu basteln war mir irgendwann zu viel Grübel-Arbeit. Meine frühere Überlegung, dass der Verzicht auf Klassen dem Gruppenspiel im Endgame Würze und Flexibilität verleihen könnte, erwies sich somit als Trugschluss.

Ein weiterer Nachteil des klassenlosen Systems ist, dass man nie so recht einschätzen kann, wie weit man nun eigentlich vorangekommen ist bei der Charakter-Entwicklung. Die Missionen werden als "schwer", "sehr schwer" oder "vernichtend" gekennzeichnet, abhängig von euren Fähigkeiten und eurer Ausrüstung. Doch oft entpuppte sich eine vermeintlich schwere Quest als Pille-Palle. Dann wieder stand ich nach einem Nerven-zehrenden Fußmarsch im Missionsgebiet, erhaschte einen Blick auf die übermächtigen Monster, brach die Quest ab und machte mich wieder auf den langen Rückweg, um einen leichteren Auftrag zu suchen. Außer Spesen nix gewesen.

Ich möchte jetzt nicht den falschen Eindruck erwecken. The Secret World fesselte mich länger vor dem Monitor und unterhielt mich dabei besser als viele MMOs der letzten Monate. Allein wegen der genialen Quests und der zahlreichen frischen Ideen verdient Funcoms Baby ein großes Lob. Im Grunde sollte jedes MMO-Entwickler-Studio den Titel als ein Beispiel für intelligentes Missionsdesign auf den Tisch geknallt bekommen. Auch wegen seines Settings hätte The Secret World so etwas wie Bestandsschutz verdient. Doch leider schwimmen ein paar Haare in der Suppe, die sich nicht ignorieren lassen.

Auf der einen Seite fehlt jene beiläufige Verführung zum Teamspiel, die zum Beispiel bei Rift oder Guild Wars 2 zu finden ist. Tools zur Gruppensuche gibt es ebenfalls nicht. Will man The Secret World als echtes MMO erleben, bringt man besser ein paar Freunde mit oder bemüht sich aktiv um eine Verbindung (so heißen die Gilden). Spontane Parties sind hingegen so rar wie scharfe Fotos vom Yeti.

The Secret World - Trailer

Auf der anderen Seite fiel es mir wegen der oben aufgezählten Eigenheiten des Spieldesigns schwer, tiefer in die Story einzutauchen. Und das ist bei einem Titel mit derart interessanter Prämisse (Mystery, Legenden, Fabelwesen, Popkultur) verdammt schade. Der tollste Vergnügungspark leidet irgendwann unter Besucherschwund, wenn die Laufwege zwischen den Attraktionen zu lang und mit Schlaglöchern übersäht sind. In diesem Fall nahm ich die Unzulänglichkeiten in Kauf, weil die Quests mich gut unterhalten haben. Aber sobald man alles gesehen hat, wird es verdammt schwer, die monatlichen Gebühren zu rechtfertigen.

Denn The Secret World kostet nicht nur einmaligen Eintritt sondern finanziert sich mit einem klassischen Abonnement-Modell (knapp 15 Euro im Monat). Kein wunder, dass viele Spieler nach dem ersten Inklusivmonat oder den drei kostenlosen Probe-Tagen nur auf die Meldung warten: "The Secret World wird free-to-play." Auch wenn sich die Macher bei Funcom kämpferisch geben - in einem Markt mit derart vielen qualitativ ebenbürtigen Alternativen ohne monatliche Folgekosten tut sich selbst ein außergewöhnlicher Titel wie The Secret World sehr schwer.

7 / 10

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