The Silver Lining: What is Decreed Must Be
Die Rückkehr des Königs
Ich will keinen Vorsatz unterstellen, aber wie Roberta Williams und Sierra damals ihre populäre King’s-Quest-Reihe mit The Mask of Eternity selbst um die Ecke gebracht haben, war schon spektakulär. Bis heute kann ich mir kein patenteres Rezept vorstellen, eine Marke zu killen: Man kippt einfach das gesamte Universum, das man über Jahre hinweg aufgebaut hat, im Hau-Ruck-Verfahren in eine komplett neue Spielmechanik.
In diesem Fall wurde aus einem malerischen 2D-Point’n’Click-Adventure eine actionorientierte 3D-Geschichte und die etablierte Charakterriege zu Randfiguren degradiert. Heutzutage würde man wohl Spin-Off dazu sagen – zumal auch die „VIII“ im Titel fehlte – aber so wie es ist, stellt das bis heute letzte King’s Quest den unrühmlichen Schlusspunkt einer eigentlich schönen Geschichte dar. Die Gruppe Fans, die im Jahr 2000 beschloss, die Marke als nicht-kommerzielles Projekt wiederzubeleben und sich mittlerweile Phoenix Online Studios nennt, sah das offenbar genauso.
Deshalb ignoriert The Silver Lining, das nach Absprache zunächst mit Vivendi, dann mit Activision auf den King’s-Quest-Zusatz im Titel verzichten muss, Die Maske der Ewigkeit mehr oder weniger komplett und widmet sich wieder der Familie König Grahams – und zwar wie es sich gehört als klassisches Point’n’Click-Abenteuer. Die erste von fünf Episoden, What is Decreed Must Be, erschien dieser Tage als kostenloser Download.
Die Geschichte spielt erneut auf den grünen Inseln, die auch schon für den Höhepunkt der Reihe, das famose King’s Quest VI, den Hintergrund bildeten. Hier steht gerade Grahams und Valanices Tochter Rosella vorm Altar, um ihren Edgar zu ehelichen, als sie und ihr Bruder Alexander (Held von KQ VI) von einem unheimlichen Zauber getroffen werden. Katatonisch liegen die beiden darnieder. Zeit für König Graham, erneut zu roter Robe und Federhut zu greifen und den Bann über seinen Sprösslingen zu brechen.
Diese erste Episode zu benoten, ist nicht wirklich möglich. Nicht einmal für sich betrachtet und unter Berücksichtigung des Gratis-Faktors mag ich What is Decreed Must Be be eine Wertung verpassen. Es ist schlicht zu kurz. Wer den Weg kennt und Zwischensequenzen wegdrückt, flitzt netto binnen 15 Minuten durch das komplette, knapp 350 MB große Abenteuer-Paket. Mit Dialogen, einigen überflüssigen Wegen, ergebnislosen Erkundungsspaziergängen und dem Betatschen jeder Vase im Schloss habe ich etwas über eine Stunde gebraucht. Ortschaften und Bildschirme durchwandert ihr zwar einige, aber spielrelevante Interaktionen sind in ihrem Umfang arg beschränkt. Echte Rätsel gibt es sogar überhaupt keine. Dafür verspricht die erste Folge mit gut gefilmten Zwischensequenzen in Spielengine und in ihren umfangreichen Gesprächen aber eine spannende und mysteriöse Geschichte. Allein, ob sie diese dann letzten Endes auch liefert…
Die Technik hat ihre besten Zeiten schon hinter sich. Ohne zu wissen, welches Spiel man hier vor sich hat, würde man die dreidimensionalen Szenarien mit ihren verschwommenen Texturen und den recht klotzigen, unrund bewegten Charaktermodellen sowie die problematische Wegfindung in etwa auf das Jahr 2000 datieren. Das ist zwar nicht mehr besonders hübsch anzusehen, aber angesichts der Entstehungsgeschichte des Projektes auch wieder irgendwie passend.
Auch das Interface mit den ausschließlich manuell umzuschaltenden Gehen-, Benutzen-, Sprechen- und Schauen-Mauszeigern ist noch feste im letzten Jahrtausend verhaftet. Ohne Zweifel ist das auch so gewünscht, um den großen Vorgängern so nahe wie möglich zu kommen. Mir half es, mir einfach vorzustellen, dass ich es hier mehr oder weniger mit dem spielbaren Intro des offiziellen neunten King’s Quest aus dem Jahre 2000 zu tun habe, zu dem es leider nie gekommen ist.
Und das ist gar nicht mal schwer zu glauben, denn Phoenix Online sind wirklich unglaubliche Kenner der Reihe und wandeln außerordentlich sicheren Fußes durch Roberta Williams' Märchen-Universum. King’s-Quest-Fans wird hier in Wort und Grafik ein immenser Wiedererkennungswert geboten. Man hat zu keiner Sekunde das Gefühl, dass hier irgendwelche dahergelaufene Amateure Schindluder mit der Marke treiben würden. Immer und immer wieder spielt die etwas wechselhaft motivierte Erzählerstimme (die wie alle übrigen Sprecher hin und wieder einfach im Ton danebenliegt, aber Schwamm drüber) auf Ereignisse vergangener Teile an und sorgt damit dafür, dass man nicht übel Lust bekommt, seine alten Favoriten noch einmal herauszukramen. Aber wozu gibt es YouTube?
Ein abschließendes Urteil hebe ich mir also für die letzte Episode auf – oder den Zeitpunkt, wenn die Einzelepisoden einen bewertbaren Umfang aufweisen. Was ich aber sagen kann, ist, dass in The Silver Lining tatsächlich der Geist von King’s Quest zu stecken scheint: Ein dialogverliebtes Adventure alter Schule, dem sehr viel an seiner fein ausgearbeiteten Welt und den Figuren liegt. Bei einem Preis von zwei Händen Luft sollte Adventure-Fans jedenfalls nichts davon abhalten, sich zur offiziellen Seite von Phoenix Online zu begeben und sich von What is Decreed Must Be für einige Augenblicke etwa zehn Jahre in die Vergangenheit zurückversetzen zu lassen – eine Vergangenheit, in der Williams und Co. ein neuntes King’s Quest gemacht haben.