The Sinking City - Test: Tentakel allein bringen's nicht
Weiter auf der Suche nach dem optimalen Lovecraft-Spiel.
Es gibt eine Quest in The Sinking City, die nennt sich Quid pro quo - "dies für das" oder sinngemäß und freier "Eine Hand wäscht die andere". Ich kann gar nicht mehr sagen, was ich genau im Rahmen dieses Teilstücks meiner Ermittlungen in der untergehenden Stadt von Oakmont, Massachusetts herausfand. Es hatte mit dem Verschwinden einer Archäologin zu tun, die ich für einen gewissen Mr. Throgmorton aufspüren sollte. Aber wichtig ist: Jede andere Quest könnte ebenso heißen und der Name wäre nicht verkehrt gewählt.
Es ist wirklich bedauerlich, wie häufig man für das Absolvieren eines Teils eines Falles nur einen weiteren Hinweis auf eine Kontaktperson bekommt, die, statt mit der benötigten Info rauszurücken, nur schon wieder etwas von euch will. Niemand verrät euch hier etwas einfach nur so, so scheint's. Ihr werdet viele Hände waschen und von vielen Leuten die Hände gewaschen bekommen, im Verlauf dieser langen Ermittlung.
Das passiert ja häufiger mal in Quest-getriebenen Spielen, aber bei all die neuen Aufgaben, die man dabei so anhäuft, verzettelt man sich manches Mal im Gewirr mal wichtigerer, mal unwichtigerer Handlungsfäden und vergisst immer wieder, worum es eigentlich ging: Herauszufinden, was die Organisation EOD in Oakmont vorhat - Moment! Falsch: Ergründen, was mit der Expedition von Mr. Throgmorton geschehen ist! Nee. Mist. Aufklären, wer seinen Sohn Albert auf dem Gewissen hat! Auch falsch. Ach ja: Den finsteren Visionen von Protagonist Charles Reed auf den Grund zu gehen. Deshalb sind wir ursprünglich mal hergekommen.
Nun gut und wie gesagt: Man kennt das, aber hier ist es wirklich arg berechenbar und die Häufigkeit, in der man sich fühlt, als hätte man gerade wirklich einen Durchbruch erzielt, könnte gerne deutlich höher sein. Ansonsten ist es eigentlich ganz gefällige Ermittlungsarbeit, die man hier leistet, auch wenn sich vieles von selbst erledigt und die Abläufe sich häufig gleichen: Sucht einen (Tat-)Ort auf, interagiert mit allen entsprechend gekennzeichneten Gegenständen und Dokumenten und entschlüsselt mit eurem dritten Auge Begebenheiten aus der Vergangenheit. Dazu lauft ihr durch drei, vier geisterhafte Abbilder früherer Ereignisse und bringt sie dann ohne Probleme in Ethan-Carter-light-Manier in die richtige Reihenfolge.
Sind alle Hinweise eingetütet, kombiniert im "Mind Palace"-Menü die Erkenntnisse zu Schlussfolgerungen, die ihr euren Auftraggebern präsentiert und die für euch nochmal resümieren, was geschah. Was ganz hilfreich ist, denn hier und da könnt ihr binäre Entscheidungen treffen, die sehr drastisch auseinanderklaffen. Deckt ihr jemanden oder sagt ihr eurem Auftraggeber die Wahrheit und liefert das Subjekt damit der Wut eures mächtigen Gönners aus? Solche Dinge. Es ist nicht unbedingt inspiriert und das Spiel lässt euch häufig zu lange zappeln, euch die Konsequenzen eurer Entscheidungen zu zeigen. Aber einige waren schon haarig und nicht leicht zu treffen. Werdet ihr zum Mittäter bei einem potenziellen Massenmord oder lasst ihr einem möglicherweise den Weltuntergang heraufbeschwörenden Kult freie Hand? Das ist alles andere als elegant oder feinsinnig, aber bereitet dennoch Bauchschmerzen, die mir lieber sind als ein einziger vorgeschriebener Quest-Ausgang.
Schwierig sind die Ermittlungen indes nicht. Wenn man länger braucht, dann eher, weil das Spiel es tatsächlich ernst damit meint, euch mit dem Schlamassel allein zu lassen und das HUD nicht immer so besonders effektiv darin ist, euch zu vermitteln, wo ihr interagieren könnt. Sobald man merkt, wie The Sinking City tickt, rauscht ihr aber zügig durch die Fälle und stellt dabei fest, dass alles vom Ablauf her durchweg ziemlich gleichbleibt und die Geschichte eine Weile braucht, bis sie ihre ersten Glanzpunkte setzt. Die sind dann fast immer atmosphärischer, nicht erzählerischer Natur, denn die Handlung dümpelt im trüben Wasser ein wenig zu gemütlich vor sich hin, um echte Spannung zu erzeugen. Aber es gab sie schon, die Momente, in denen man wieder zur Screenshot-Taste langen wollte und in denen Musik, Art-Direction und Szenenbild eine wirklich gute Stimmung heraufbeschworen.
Wirklicher Grusel kam dabei trotzdem nie auf und das hat diverse Gründe: Viel zu oft sieht man die Kreaturen, die einem hier nachstellen - entweder in Ermittlungsbereichen oder in extra als "befallen" gekennzeichneten Gebieten auf der Karte - in Gänze und im prallen Licht, wobei direkt auffällt, dass sie nicht besonders einfallsreich designt sind. Vor allem sind sie nur allzu sterblich. Unvorstellbare Schrecken, wie man sie mit Lovecrafts moralisch-politisch problematischen, aber wirkungsvollen Werken verbindet, sehen anders aus als diese zuckeligen Fleischklumpen, die man, genügend Munition vorausgesetzt, auf die übliche Videospielmanier aus dem Weg räumt. Das zieht dem interdimensionalen Grauen, der sich hier eigentlich auftun sollte, wirklich alle Zähne.
Wenn die Kämpfe wenigstens Spaß machten - aber sie sind einfach zuckelig zu steuern. Träges, schwachbrüstiges Gunplay, unpräzise Nahkampfattacken und fußlahme Fortbewegung treffen auf zu flinke Gegner, Angriffen, denen schwer auszuweichen ist, oder Schwachpunkte, die man nicht gut treffen kann. Das Spiel sagt in einem Ladebildschirm zwar, dass man Feinden besser aus dem Weg geht, meint das aber sicherlich auf die Survival-Art und damit anders als ich mit meiner Empfehlung jetzt: Lasst das Kämpfen sein! Es ist von vorneherein nicht gut und wird auch später nicht besser. Weder das Handling noch das "Encounter-Design", wie ein Spieleentwickler sagen würde, erzeugen auch nur den Anflug von Spaß - nun, vielleicht, wenn einer der größeren Gegner mal wieder an einem Umgebungshindernis festhängt.
Das Gute ist, die meiste Zeit kann man die Kämpfe tatsächlich ignorieren und spart sich so auch, die Umgebungen immer und immer wieder nach Ressourcen für das Munitionscrafting abzugrasen. Ich sympathisiere mit den Entwicklern: Es ist alles andere als einfach, dem Spieler effektive Waffen in einem Horrorspiel in die Hand zu drücken, ohne Angsteinbußen hinnehmen zu müssen. Aber hier wäre weniger - oder gar kein - Kampf wirklich mehr gewesen. Er ist nicht nur spaßlos, er sabotiert auch die Stimmung und den Gedanken an eine außerweltliche Gefahr, der unmöglich beizukommen ist.
Dazu passt, dass das Spiel immer wieder mit "Wahnsinnseffekten" spielt, wenn man zu viele der Schrecken anschaute. Die das Bild überlagernden Videoschnipsel wiederholen sich aber häufig und sind eher nervig als alles andere. Einfach nur eine weitere Ebene, auf der das Spiel Ressourcen abfragt, wenn ihr euch statt einer First-Aid-Spritze ein Medikament reindrückt, dass eure mentale Stabilität wiederherstellt.
Zu guter Letzt stellt sich auf die volle Länge auch die ambitionierte offene Welt als Nullsummenspiel heraus: So sehr The Sinking City von der Offenheit und der angemessen räudigen Gestaltung Oakmonts profitiert - allen voran, weil es euch nicht bei der Hand nimmt und ihr euch selbst in der Stadt zurechtfinden und Marker setzen müsst - so regelmäßig sabotiert die einfache Tatsache, dass sich ein kleines Team wie Frogwares schlicht an dieser offenen Welt verheben musste, die Atmosphäre. NPCs streifen wie Roombas mit kaputter Sensorik ohne Sinn und Verstand durch die Straßen und Gassen, erscheinen wieder und wieder aus dem Nichts und Polizisten vergessen jegliches Vergehen, wenn ihr euch nur zwanzig Meter von ihnen entfernt (sofern sie noch da sind, wenn ihr euch wieder nähert). Überhaupt wirkt alles simuliertes Leben hier wie in einem Open-World-Spiel von vorgestern.
Und dann die Rückstände der prozeduralen Generierung erst: Auch im Innenbereich haben Türen schonmal Briefschlitze und Klopfer, manche Räume ergeben keinen Sinn oder sind identisch zu Orten, die man bereits besuchte. Solche Dinge sind in Oakmont nicht die Ausnahme, sondern die Regel. The Sinking City als Open-World-Spiel aufzuziehen, stellt sich ergo als Fluch und Segen zugleich heraus: Auf der einen Seite das schöne Gefühl, diesen Ort näher kennenzulernen, weil man sich seinen Weg selbst suchen muss, auf der anderen kommen so technische Schwierigkeiten ins Spiel, denen Frogwares nicht vollends gewachsen war. Hätte das Projekt vielleicht noch eine Idee mehr Zeit bekommen, ich würde die offene Welt vielleicht als deutlichen Gewinn sehen. So bin ich unschlüssig, ob und wie viel dadurch gewonnen wurde.
Schlecht ist The Sinking City trotzdem nicht. Am Ende ist es eben doch ein Ermittlungsspiel und diese Aspekte sind zwar nicht besonders originell oder knifflig, aber sie manövrierten mich oft genug in unangenehme Zwickmühlen, dass ich wissen wollte, welches Ende das hier nehmen würde. Die meisten Charaktere sind nicht uninteressant - ausgerechnet mit Ausnahme des schlaftablettigen Hauptdarstellers - und einzelne Stories waren wirklich nett erzählt. Aber unterm Strich reiben sich Schießereien und Ermittlung eben doch zu sehr aneinander, baut der Ablauf auf zu wiederholungsanfälligen Zyklen und fehlt letzten Endes bei aller Stimmung doch irgendwo die Spannung, von der ein solches Abenteuer lebt, um eine vollumfängliche Empfehlung auszusprechen. Begreift es als Adventure, ignoriert seine Crafting- und Action-Elemente und kneift unterwegs in der offenen Welt ein wenig die Augen zu, dann erlebt ihr hier ein erfreulich ambitioniertes Lovecraft-Spiel, dem ein größeres Team mit mehr Zeit die Türen zu größerem Horror aufgestoßen hätte.
Entwickler/Publisher: Frogwares/Bigben - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One, Switch - Preis: ca. 50 Euro - Erscheint am: 27. Juni, Switch später - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: nein - Getestete Version: PC
PC-Spiele testen wir auf Lenovo Legion PCs und Laptops, die uns von Lenovo zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt wurden. Hier erfahrt ihr mehr über Gaming-Laptops 2019 im Allgemeinen und hier geht es zur Website von Lenovo Legion Gaming.