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Sunless Sea - Test

Seemannsgarn und wie es gemacht wird.

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Nur für Lesefreunde: Wie hypnotisiert lasst ihr auf diesem unterirdischen Ozean Leben um Leben und ergründet eine unvergleichliche Welt.

Bevor wir über The Sunless Sea sprechen, sollte man vielleicht die Vergleiche mit FTL: Faster Than Light ein bisschen relativieren, die sich zwangsläufig in den Vordergrund schälen, wenn man hiervon liest. Einem Spiel, bei dem man sein eigenes Schiff kommandiert und ausrüstet, seine Crew zusammenstellt und noch einmal von vorne anfängt, wenn aus dem stolzen Kahn ein brennendes Wrack wurde. The Sunless Sea tut all diese Dinge, beziehungsweise lässt sie euch tun, aber es nähert sich dem Thema aus einer vollkommen anderen Ecke.

Wo das brillante FTL im Herzen ein Taktikspiel ist, trägt Failbetter Games' düstere Schipperei reichlich Text-Adventure-DNA in sich. Wo die atemlose Flucht vor blutrünstigen Weltraumrebellen Erkundungs- und Fortbewegungsaspekte auf ein Minimum reduzierte, machen lange - und langsame - Reisen und ausufernde textliche Szenenbeschreibungen mit diversen Wahl- und Antwortmöglichkeiten Sunless Sea zu einem Erlebnis näher an einem interaktiven Roman. Stellt euch darauf ein, viel zu lesen und im vermeintlichen Leerlauf auf der Reise ins Ungewisse Treibstoff- und Proviantbalken beim Schmelzen zuzuschauen, während sich düster-faszinierende Melodien in eueren Gehörgang eingraben wie ein Einsiedlerkrebs in ein verlassenes Schneckenhaus.

Jede neue Insel erzählt ihre eigene kleine Geschichte, eure Antworten und Entscheidungen machen euch zum Co-Autoren.

Das ist alles unglaublich effekt- und vor allem stimmungsvoll, versteht mich nicht falsch. Aber man muss sich auch darauf einlassen und am besten nicht bei allzu tiefer Nacht beginnen. Nicht zuletzt seine wortgewaltige, poetische Sprache irgendwo zwischen Hemingway und Poe (leider ausschließlich Englisch, und eine Übersetzung videospielüblicher Qualität würde hier mehr kaputt machen, als richten) verlangt jedwede Aufmerksamkeit von euch, die sie bekommen kann. Auch das vornehmlich sehr gemächliche Tempo lullt einen erst ein, um dann doch immer wieder geistesschnelle Entscheidungen von euch einzufordern. Es ist nichts für einen müden Geist, sollte gleichzeitig aber am besten bei Kerzenlicht und Grog genossen werden. Ein Spiel für gewisse Stunden eben.

Bringt man den notwendigen wachen Kopf und die entsprechenden Vorlieben für absinthfarbene Abenteuer mit, rollt sich eine endlos faszinierende Welt aus, in der die See mit "Z" geschrieben wird, denn eigentlich ist es nicht "die See", sondern ein unterirdisches Gewässer mit Namen Unterzee. Deshalb haben wir es auch mit "Zeefahrern", Zeegang und Zee-Fledermäusen zu tun, denn letztere ersetzen in diesem ewig düsteren, gewaltigen Gewölbe mit seinen falschen Sternen - glitzernde Mineralien im "Dach" dieser Höhle vielleicht? - die Möwen. Wie man hierhin kam? Nun, zur Regentschaft Königin Victorias wurde London im Ganzen vom Erdboden verschluckt, oder "von Fledermäusen gestohlen", wie die Einleitung des Spiels lapidar behauptet. Die Bürger der gefallenen Themsemetropole fanden sich fortan fern der Sonne, umspielt von einer pechschwarzen See wieder - und machten das Beste draus.

Mittlerweile sind viele der Inseln hier bewohnt, aus den überall sprießenden Pilzen ließ sich sogar Wein herstellen und eine eigene, verschrobene Kultur bildete sich heraus. Musste wohl auch sein, um in einer Welt, in der Ratten und Meerschweine zu sprechen in der Lage sind und gegeneinander Krieg führen, nicht den Verstand zu verlieren. Ihr, als neuer Kapitän, wählt eure Herkunft und euer Ziel fürs Leben, benennt euch selbst und tauft euer Schiff. Dann tuckert ihr vom gefallenen London im immer gleichen Westen in diese eigenartige Welt hinaus. Nach Osten hinaus werden ihre Inseln und Geschichten prozedural auf der Karte verteilt, sodass der Start die einzige Konstante bleibt. Stirbt euer erster Charakter - was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Fall sein wird -, erlebt der nächste eine zu weiten Teilen veränderte Unterzee.

Wer mag, wechselt in den 'Merciful Mode', der springt mit euch zwar nicht unbedingt gnädiger um, aber ihr dürft immerhin manuell speichern und so Fehler korrigieren.

"Es ist ein Spiel, das den Mund sehr voll nimmt, schleierhafte, blumige Sprache liebt und hofft, sie bleibe euch nicht im Halse stecken."

Natürlich wiederholen sich bestimmte Geschichten irgendwann, aber Failbetter reicht immer neue nach, die das Spiel im Hintergrund herunterlädt. Weil die Mini-Handlungsfäden auch unterschiedliche Abzweigungen nehmen können, bleibt das Erlebnis deutlich länger frisch als etwa bei FTL, dessen Textfenster man irgendwann eifrig wegklickt, weil man nur an den Konsequenzen interessiert ist. Es ist ein Spiel, das den Mund sehr voll nimmt, schleierhafte, blumige Sprache liebt und hofft, sie bleibe euch nicht im Halse stecken.

Charakterwerte heißen etwa "Mirrors", "Iron", "Hearts", "Veils" und "Pages". Das zentrale Zahlungsmittel nennt sich "Echoes" und "Terror" zeigt den Wasserstand des Wahnsinns an, der zwangsläufig brodelnd ansteigt, wenn einem lebendige Eisberge und riesige Krebse nach dem Leben trachten. Unrast unter der Crew hat häufig tragische Folgen. Denkt daran, wenn ihr das nächste Mal einen getöteten Schwarm blutsaugender Fledermäuse in den Kochtopf werft - oder besser nicht. Das Regelwerk dieses Spiels ist ebenso kryptisch wie seine Welt, nur schwerlich kann man sich davon loseisen, so anders und verschroben tickt Sunless Sea.

Es wundert nicht, dass in einem von der Außenwelt so abgeschnittenen Reich Neuigkeiten, Seemannsgarn und Spukgeschichten ebenso harte Währung sind wie die Waren, die man zwischen verschiedenen Häfen hin und her schippert, wenn sich ein entsprechender Auftrag auftut. Ohne Mandat, etwa Pilzwein nach Venderbight zu befördern, ist der Handel den Treibstoff und den Proviant, den Schiff und Crew in rauen Mengen verzehren, aber kaum wert. Versteht The Sunless Sea also nicht als Handelssimulation. Letzten Endes dreht sich alles darum, sein Schiff während all dieser Erlebnisse am Laufen zu halten. Die Ressourcenknappheit geht so weit, dass man nach einer Heimkehr ins gefallene London schon mal auf seinen Kontostand und in sein Lager schaut und sich nicht sicher ist, ob man überhaupt noch einmal in Zee stechen oder gleich die Kapitänsmütze an den Nagel hängen sollte.

Mit rückwärtsgerichteten Kanonen oder Torpedonetzen kommen aber schön taktische Gefechte zustande - wenn man sie sich endlich leisten kann.

Strandet ihr im Ozean, packt niemand die Paddel aus, um die letzten Meter zur rettenden Tankstation zu erreichen. Und wer so weit ist, dass er einem der diversen Götter der Unterzee ein Menschenopfer bringt, läuft Gefahr, mit dem gewonnenen Treibstoff nicht mehr schnell genug fahren zu können, um ans Ziel zu gelangen. Irgendjemand muss schließlich das Schiff steuern, die Kohlen nachschippen und so weiter und so fort. Auf der anderen Seite behilft man sich bei Proviantnot mit getöteten Riesenkrabben, wenn man sie bekommen kann, oder dankt dem verblichenen Ersten Maat seinen Dienst, indem man wirklich jedes letzte Bisschen von ihm zum Erhalt der Crew einsetzt. Bleibt ja unter uns. Buchstäblich.

Die Hartherzigkeit der Zee entmutigt, ja, lähmt sogar bisweilen. Bis man so weit ist, überhaupt über zusätzliche Kanonen auf seinem Kahn nachzudenken, die dem prinzipiell attraktiven, aber bis dahin sehr limitierten Schiffkampfsystem etwas Tiefe verleihen würden, vergehen viele, viele Stunden. Stunden, in denen man wiederholt verängstigt und ziemlich aufgeschmissen in dieser einzigartigen Unterwelt Schiffbruch erleidet und schließlich von seinem randvollen Sack fabelhafter Anekdoten in ein nasses Grab gezogen wird. Noch nie habe ich etwas wie The Sunless Sea gespielt. Es ist unzähmbar und unbegreiflich wie die See selbst. Wer sich trotzdem hinauswagt, dem tun sich neue Horizonte auf.

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