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The Touryst auf der Switch: "In 20 Jahren Entwicklung [...] haben wir gelernt, dass man Nintendo nie unterschätzen darf"

Und warum Shin'en kein F-Zero machen möchte.

Arbeiten, soziale Verpflichtungen, Hobbys und so weiter. Im Leben gibt es tagtäglich viel zu tun und irgendwann gelangt jeder einmal an den Punkt, an dem er reif für den Urlaub ist. Ganz egal, wie ihr diesen verbringt. Ob ihr wegfahrt oder zuhause bleibt und einfach die Füße hochlegt, Hauptsache einfach nichts tun, was an Arbeit erinnert. Es ist noch nicht lange her, da verbrachte ich ein Wochenende nahezu komplett ohne was im Fernsehen zu schauen oder zu spielen, ich machte nicht viel, blieb obendrein dem Handy weitestgehend fern. So entspannt fühlte ich mich lange nicht mehr. "Digital Detox" nennt sich das heutzutage und diese Wirkung erzielt ein Urlaub im Normalfall ebenso.

Und wenn es nicht für einen richtigen Urlaub reicht, dann bleibt euch der Versuch, virtuell ein wenig Urlaubsstimmung aufkommen zu lassen. Oder: den "Urlaub deines Lebens" zu erleben, wie es Manfred Linzer, Geschäftsführer des Münchner Studios Shin'en Multimeda, ausdrückt. Die Rede ist von The Touryst, dem neuesten Spiel des 1999 gegründeten Unternehmens, das sich nicht zuletzt durch seine FAST-Rennspielreihe auf den Nintendo-Konsolen einen Namen machte.

Woher die Idee für The Touryst kam? "Wir probieren gerne neue Grafik-Konzepte aus, bevor wir uns mit der eigentlichen Spielidee befassen", erzählt mir Linzer. "Eines dieser Konzepte war einfach eine schöne Insel mit einer blauen Lagune und ein paar geheimnisvollen Ruinen. Wir wussten aber nichts damit anzufangen. Es war dort einfach zu schön, kein typisches Game-Setting. Wir machten dann Späße, dass es doch toll wäre, dort einfach mal Urlaub zu machen - und dann machte es "KLICK"! Wir wussten, das ist unser Spiel: Ein Spiel, in dem es um Urlaub geht!"

Einfach mal entspannen ...

Einige Ecken des Spiels entstammen dabei 1:1 den Erlebnissen der Entwickler in ihren Urlauben. Andere Dinge haben Verbindungen zum Werdegang der Macher, die bis zur Demoszene-Zeit zurückreichen. "Solche Anspielungen gibt es zuhauf", sagt er.

Zirka drei Jahre arbeitete Shin'en insgesamt an The Touryst, wozu verschiedene Unterbrechungen gehören, "weil wir auch an anderen Titeln dran waren", merkt Linzer an. Und wer denkt, dass sie in dieser Zeit viel vorausplanten, liegt falsch. "Wir planen selten etwas", verrät er. "Bis auf den Schluss und einen Twist in der Mitte des Spiels ist fast alles spontan entstanden."

"Ein umfassendes Konzept gab es nicht", ergänzt Linzer. "Nur der Grafik-Stil stand sehr schnell fest und wurde auch nicht mehr geändert. Auch die Art der Musik war von Anfang an klar. Die größte Änderung war die 'To-do'-Liste. Sie zeigt einem detailliert, was man noch alles im Spiel erledigen kann. Am Anfang waren dafür nur Tipps von den NPCs geplant." Was sich im Endeffekt nach Arbeit angefühlt habe, nicht nach Urlaub. Aus der steigenden Anzahl der Aufgaben resultierte dann die Einführung der To-do-Liste. "Wir waren dann überrascht, dass sich das Spiel dadurch sogar noch entspannter anfühlte."

Oder am Spielautomaten zocken.

Im Hinblick auf die Beschäftigungsmöglichkeiten, die euch im Spiel erwarten, habe das Studio einiges ausprobiert. Dadurch, dass es keine Gewalt im Spiel gibt, hätten sich einige Beschäftigungen regelrecht aufgedrängt. "Wir haben aber auch einiges aus dem Spiel geworfen, was sich nicht gut genug anfühlte oder eine Wiederholung war", führt er aus. "Wir wollten in The Touryst keine Wiederholungen. Alles sollte überraschend sein. Wie ein richtig guter Urlaub!" Dass ein Spiel, in dem Urlaubsstimmung aufkommt, in den kalten, dunklen Monaten des Jahres erscheint, war dabei kein Zufall, sondern in jedem Fall geplant: "Wir wollten das Spiel in den kalten Tagen veröffentlichen und einem so ein bisschen Urlaubsstimmung verschaffen."

Shin'ens Portfolio auf der Switch präsentiert sich bis dato als bunte Genremischung. Als erster Titel erschien ein Rennspiel (Fast RMX), gefolgt von einem Rätselspiel (Art of Balance) und jetzt eben The Touryst. Ein herausfordernder Wechsel? "Nein, das beflügelt uns eher", merkt Linzer an. "Wir machen Spiele seit den 90ern. Würden wir immer im gleichen Genre bleiben, würde das unseren Spielen und auch uns nicht gut tun. Es motiviert uns, neue Ideen in anderen Genres auszuprobieren."

Wie er sagt, war damals eine schnelle Entwicklung von Fast RMX für die Switch erforderlich, "weil Nintendo uns gebeten hatte, das Spiel für den Launch fertigzustellen". Im Zuge dessen lernte das Studio, Dinge schnell zu testen und zu verwerfen, wenn sie sich als nicht gut genug erwiesen. Und davon profitierte später The Touryst: "Anstatt davon auszugehen, dass ein Feature im Spiel bleibt, gehen wir jetzt davon aus, dass es eher temporär ist. Das hat zu einem Softwaredesign geführt, welches das Ausprobieren von neuen Ideen in den Mittelpunkt stellt."

Einen kleinen Bootsausflug machen.

Als größte Herausforderung benennt er, das Spiel mit 60 Frames pro Sekunde laufen zu lassen und dafür zu sorgen, dass es keine Ladezeiten gibt. Beides sei von Anfang an fest eingeplant gewesen. Und um dies zu erreichen, habe es ständige Optimierungen gebraucht. Davon abgesehen, spricht Linzer von einer "ziemlich perfekten" Entwicklung ohne große Probleme. "Vor allem, nachdem wir die ersten beiden Inseln fertig hatten und ein Gefühl für das Spiel entwickeln konnten", führt er aus. "Lustig war auch, dass unsere Spiel-Tester viel Zeit in der Arcade verbracht haben (es gibt eine Arcade in The Touryst), aber nur weil sie unsere Highscores knacken wollten!"

Und wie sieht es mit Crunch aus, einem nicht erst seit gestern wichtigen Thema in der Industrie? "Crunch gibt es bei uns nicht", versichert er. "Ich glaube auch nicht, dass wir sonst noch Spiele machen würden."

Maßgeblich entscheidend dafür, dass Shin'en heute noch Spiele entwickelt, ist natürlich ihr Erfolg. Den feierte das Studio ebenso auf der Wii U, wo sich die Shin'en-Titel "ziemlich gut" verkauften. "Aber natürlich ist nach oben hin auf der Switch deutlich mehr Potenzial", sagt er zu Nintendos aktueller Konsole. Einfacher ist es dort aber nicht: "Es ist mittlerweile sehr schwierig, im eShop nicht unterzugehen", erklärt er. "Es reicht schon lange nicht mehr, ein erstklassiges Spiel zu haben. Du musst absolut herausstechen."

Und ein Abenteuer bestreiten.

Eine Gefahr durch die bevorstehende Veröffentlichung von PlayStation 5 und Xbox Series X sieht er für die Switch indes nicht. Nintendo wisse, dass die besten Spiele dafür ausschlaggebend sind, ob eine Plattform erfolgreich ist oder nicht. "Und darüber muss man sich derzeit keine Sorgen machen", ist er überzeugt. "In 20 Jahren Entwicklung für Nintendo-Konsolen haben wir gelernt, dass man Nintendo nie unterschätzen darf."

The Touryst ist für die Entwickler mit der Veröffentlichung noch nicht abgeschlossen. "Wir bleiben auf jeden Fall an The Touryst dran", erläutert Linzer, ohne konkrete Details zu nennen. "Lasst euch überraschen." Was künftige Spielgenres anbelangt, gehen den Entwicklern zwar langsam die Ideen aus, "aber neue Ideen wird das nächste Projekt bestimmt haben."

Immer wieder ein Thema ist indes Shin'en und F-Zero. Manch einer sähe es gerne, wenn sich die Münchner Entwickler mit Nintendos Marke befassen würden. Dabei schrieben sie vor mittlerweile sieben Jahren auf Twitter, dass sie ein solches Angebot mit großer Wahrscheinlichkeit ablehnen würden. Gilt das nach wie vor? "Wir fühlen uns da natürlich sehr geschmeichelt, aber das wäre nichts für uns", begründet Linzer diese Einstellung. "Wir schätzen unsere (Genre-)Unabhängigkeit sehr."

Daher gilt: Was immer in Zukunft vom Münchner Entwicklerstudio zu erwarten ist, ein F-Zero ist es nicht. In Anbetracht ihrer bisherigen Spiele solltet ihr deswegen nicht weniger gespannt darauf sein.


Mehr zum Spiel lest ihr auch in Alex' The Touryst Test.

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