The Unfinished Swan - Test
Schwan oder Schmierfink? Wie sich ein ausnehmend schönes
The Unfinished Swan ist mit Sicherheit eines der auffälligsten Spiele, die man in diesem Jahr zu Gesicht bekam. Gleichzeitig ist es eines der schönsten. Unglücklicherweise gilt beides allein für die kunstfertige Gestaltung der anfangs in weißestes Weiß gehüllten Erkundungstour einer Traumwelt durch die Augen des Waisenkindes Monroe.
Dabei darf man nicht unterschlagen, dass das Spiel alleine von diesen sagenhaften Schauwerten schon exzellent leben kann. Auf der Suche nach dem unvollendeten Schwan, der auf magische Weise aus dem Gemälde seiner verstorbenen Mutter verschwunden ist, verschlägt es ihn in eine Welt, die komplett weiß ist und in die nicht einmal Licht einfällt, dass ihr mit Schatten Kontur verleihen würde. Die müsst ihr dem königlichen Garten, als der sich der Schauplatz des Ersten von vier Kapiteln herausstellt, schon selbst geben.
Zu diesem Zwecke macht Monroe das Einzige, was er bis kurz vor Schluss des Spieles kann: Farbbälle werfen, die alles, worauf sie treffen, mit satten schwarzen Spritzern bedecken. Für die ersten 20 bis 30 Minuten, die man für die einleitende Episode braucht, zieht einen die Kleckserei voll und ganz in ihren Bann. Wie groß ist der Raum, in dem ich mich befinde. 'Ist es überhaupt ein Raum?' fragt man sich, bevor man zur Probe einen Ball senkrecht in die Luft wirft und sich klar wird, dass man sich unter freiem Himmel befinden muss.
So seinen Weg durch eine Welt ohne eigene Anhaltspunkte zu finden - der König, der diesen Garten errichtete, fand ihn zu schön für irgendeine Farbe - das ist ein absolut neuartiges Spielgefühl. Als bewege man sich durch das Negativ eines vollkommen dunklen Raumes. Es dauert eine Weile, bis die Augen gelernt haben, die Welt zwischen den Spritzern zu "lesen", Parkbänke, Tier-Statuen, Büsten und Treppen als solche zu erkennen, während man nebenher interessiert auf der Suche nach den in der Welt verstreuten Märchenbuchseiten ist, die die Geschichte des Königs und seiner Verbindung zu Monroe erläutern. So hofft man jedenfalls.
Bevor man der Kleckserei müde wird, schaltet das Spiel im nächsten Kapitel Lichter dazu, die dem gleißend hellen Königreich mit ihren Schlagschatten zumindest auf der der Sonne abgewandten Seite ein Gesicht geben. Und was für ein Gesicht es ist. Das Gefühl, sich neugierig durch eine weiße Finsternis zu bewegen weicht ehrlichem imponiert sein, wenn man von einer Mauer auf ein nie enden wollendes Labyrinth aus rechten Winkeln blickt, in deren Mitte sich ein scharf geschnittenes, makelloses Disney-Märchenschloss erhebt.
Im Schloss habt ihr statt schwarzer Farbe auf einmal Wasserbälle im Gepäck, mit denen ihr verkümmerte Ranken über jegliche Oberfläche schießen lässt, wie ein Rudel ausgehungerter Schlangen. An ihnen klettert ihr selbst steiles Mauerwerk empor und verleiht der zuvor so sterilen wie schönen Welt ein bisschen Leben. Spielerisch ist dies allerdings nicht gerade das Glanzstück des Pakets, denn so schön der Anblick der magischen Pflanzen auch ist, die sich eifrig über die perfekt gekalkten Oberflächen fressen, so wild beginnt man hier doch auch, wild mit Wasserbällen um sich zu schmeißen, um herauszufinden, an welchen Oberflächen es für die grüne Gefolgschaft weitergeht und wo Risse das Vorankommen verhindern. Wohl wissend gibt euch das Spiel an einer Stelle sogar einen Feuerwehrschlauch in die Hand - das ist dann der Punkt, an dem man sich am Ende wundert, dass man doch den Weg gefunden hat und trotzdem nicht genau weiß, welcher Schwall Wasser des Rätsels Lösung war.
Visuell setzt das Spiel im letzten Kapitel noch einmal vollkommen neue Akzente und zieht auch in Sachen Stimmung noch einmal an, wenn ihr in völliger Dunkelheit bunte, organische Laternen anstupst, um in ihrem Schein vor spinnenäugigen Monstern Schutz zu finden. Selbst ein neues Spielelement wird kurz im abschließenden Kapitel vor den spielbaren Credits noch einmal eingeführt, bei dem ihr - ohne zu viel zu verraten - ein wenig gestalterisch werdet. Es scheint ein bisschen beliebig eingeworfen, beschert euch aber einige wirklich interessante Perspektiven auf die Welt. Selbst für die relativ kurze Spieldauer von nur etwa zwei Stunden, eher etwas weniger, bringen die jungen Entwickler also noch viel Abwechslung in den Titel.
Schade, dass am Ende mehr als deutlich durchscheint, dass dieses Projekt als Technik-Demo startete. Denn so sehr die bittersüße Musik und die Geschichte vom Waisenkind, seiner toten Mutter und des Königs, der nie etwas vollendete, euch auch eine Regung entlocken wollen, so zusammengewürfelt wirken am Ende doch die Themen und bildsprachlichen Andeutungen, mit denen Giant Sparrow den Spieler überhäuft. Wenn es etwas zu sagen hatte, ging es in seinen eigenen Metaphern verloren. Ich wage zu bezweifeln, dass viele Spieler hier am Ende eine zentrale Aussage oder zumindest eine schöne Geschichte mitnehmen, wie sie die vielen Märchenbuchseiten, die es zu finden gibt, andeuteten. Anfang, Ende oder 'Moral von der Geschicht' - ich wüsste sie nicht zu benennen. Und was trauriger ist, ich habe auch nicht das Gefühl, dass Giant Sparrow das könnte.
Natürlich, ein Spiel wie Journey sagt noch weniger, aber das ist auch irgendwo die Kunst. Vage zu bleiben, Spielraum für Interpretation zu bieten und doch in seinen Motiven so eindeutig zu bleiben, dass die Gedanken des Betrachters um ein zentrales Thema kreisen können. Hier aber tauchen Figuren, Bilder und Spielelemente auf, nur um wieder zu verschwinden. Klar, am Ende schließt sich irgendwie ein Kreis, aber warum und wieso genau? Weil … Kunst! Wer sich zumindest für die gestalterische Seite von Videospielen interessiert, erhält hier ein wirklich visionäres kleines Spiel, für dessen Förderung Sony einmal mehr großes Lob gebührt. Alle anderen sollten sich gut überlegen, ob ihnen die Schauwerte die veranschlagten 13 Euro wert sind.