The Walking Dead - Season 2, Episode 3: In Harm's Way - Test
Holy shit.
Bislang hatte es die zweite Staffel von The Walking Dead noch nicht so richtig geschafft, mich vor den Bildschirm zu fesseln und zu packen. Sicher, es war immer noch solide Unterhaltung, aber irgendwas fehlte. Etwas, das Telltale nun mit der dritten Episode liefert und den vorläufigen Höhepunkt der Ereignisse darstellt, die sich in den ersten beiden Episoden bereits andeuteten.
Interessant ist dabei vor allem, wie es Telltale schafft, so ziemlich von der ersten Minute an dafür zu sorgen, dass ihr eine starke Antipathie gegen Carver und seine Gefolgsleute aufbaut oder - ausgehend von der letzten Episode - noch weiter steigert. Auf meiner persönlichen Hassskala steht er auf der gleichen Stufe wie der Gouverneur aus der Serie. In jeder Szene würde man ihm am liebsten selbst den Hals umdrehen, muss aber vielmehr hilflos zusehen, wie er die Dinge tut, die er eben tut - ohne hier großartig zu spoilern.
Keine Rücksicht
Telltale setzt dabei den für Clementine gewählten Weg konsequent fort und lässt sie im Mittelpunkt stehen, anstatt sie einfach aus den gefährlichen Situationen rauszuhalten, weil sie ja ein kleines Mädchen ist oder so. Ganz im Gegenteil: Sie erlebt die schonungslose Realität am eigenen Leib, muss sogar Schläge mit der Hand oder dem Kolben eines Sturmgewehrs einstecken. So steigert Telltale zugleich aber auch die Bindung zu ihr. Ihr wollt ihr helfen, sie beschützen, aber gleichzeitig ist es auch ein interessanter Test, auf den das alles hinausläuft. Wie weit geht ihr wirklich mit ihr, wie weit führt euch euer Beschützerinstinkt - und schlägt er vielleicht sogar ins Gegenteil um und lässt euch Dinge tun, die ihr so eigentlich nicht erwartet hättet? Clementines Entwicklung schreitet von Episode zu Episode voran. Aber ob das auch in die richtige Richtung geht, thematisiert man hier auf interessante Art und Weise.
In Harm's Way ist von Beginn an eine emotionale Achterbahnfahrt. Nicht nur für Clementine selbst, sondern auch für ihre Begleiter, zu denen sich hier einige neue hinzugesellen. Und dabei werdet ihr stets mit der Frage konfrontiert, wem ihr nun eigentlich wirklich trauen könnt. So ganz klar ist das nämlich nicht wirklich. Ist es eure Gruppe mit vertrauten Personen wie Kenny, mit denen ihr in dieses Camp gekommen seid? Oder sind es am Ende sogar Carver und seine Leute? Nichts ist hier sicher und diese Ungewissheit zieht sich auch durch die Dialoge und Szenen, bei denen ihr euch stets unter Zeitdruck fragt, welche Auswirkungen das Ganze nun haben wird und ob die Dinge so sind, wie sie zu sein scheinen.
Spielerisch anspruchslos
An anderer Stelle macht Telltale jedoch keine Anstalten, zurück zu den anfänglichen Rätseln der Reihe zurückzukehren. Alles ist ziemlich geradlinig, echte Rätsel gibt es eigentlich keine. Ihr schleppt etwa nicht mehr so viele Adventure-typische Gegenstände mit euch herum, wie es noch in Staffel 1 der Fall war. In den Actionsequenzen beziehungsweise Quick-Time-Events kommt es wie üblich auf schnelle Reaktionen an, ansonsten habt ihr auch bei den Dialogen mal mehr, mal weniger Zeit für eine Antwort. Die spielerischen Momente bleiben also eher oberflächlicher Natur und sind relativ leicht zu bewältigen. Falls ihr euch hier Besserung erhofft habt, dürftet ihr wohl enttäuscht werden.
Telltale scheint es mittlerweile weitestgehend um die erzählerischen Aspekte zu gehen - aber immerhin in diesem Punkt konnte man liefern. Sofern ihr den DLC 400 Days gespielt habt, werdet ihr in Carvers Gemeinschaft übrigens die Personen wiedersehen, die Tavia am Ende der Zusatzepisode gefolgt sind. Wirklich groß fallen ihre Rollen aber nicht aus, mal abgesehen von Bonnie, die ja bereits in der zweiten Episode wieder auftauchte.
"Telltale scheint es mittlerweile weitestgehend um die erzählerischen Aspekte zu gehen."
Technisch gesehen scheint das Walking-Dead-Team zumindest die Xbox 360 langsam im Griff zu haben. Größere Ladepausen gibt es eigentlich nur noch bei kompletten Szenenwechseln, ansonsten läuft das Spiel im Gegensatz zum noch verbesserungswürdigen The Wolf Among Us recht gut auf Microsofts Konsole und macht kaum Probleme.
In Harm's Way ist ganz großes Kino, zumindest im erzählerischen Bereich. Vom ersten Moment an ist man bei der Sache und will den Controller eigentlich gar nicht mehr aus der Hand legen, bis man die Episode zu Ende gespielt hat - auch wenn dabei die Blase drückt und man schon etwas unruhig auf seinem Stuhl herumrutscht. Ich bin gespannt, ob man in den beiden abschließenden Episoden dieses Niveau halten kann oder ob Episode 3 am Ende doch der Höhepunkt der Staffel war. Spielerisch sieht es hingegen weiter mau aus. Eure grauen Zellen werden mangels irgendwelcher Rätsel nicht großartig angestrengt, nur auf schnelle Reaktionen kommt es in den Quick-Time-Events an. Was die Spielzeit betrifft, wird euch auch In Harm's Way einmal mehr rund anderthalb Stunden beschäftigen. Aber es sind eben einfach verdammt gute anderthalb Stunden. Vor allem dann, wenn euch die spielerische Ebbe nicht allzu sehr stört.